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4.23. Der 1. Mai – ein proletarischer Brauch? (Ewald Hiebl)

4.23.1. Vom „Feiertag der Arbeiterschaft“ zum traditionellen Maiaufmarsch

Der 1. Mai ist Kampf- und Feiertag der internationalen Arbeiterschaft zugleich. Er wurde von der Zweiten Internationalen in Paris 1889 als Festtag für das Proletariat bestimmt. Die US-amerikanische Arbeiterbewegung hatte bereits zuvor für den 1. Mai 1890 eine Großkundgebung für die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag ausgerufen. Deshalb wurde dieser Tag von der Internationalen zum weltweiten Kampftag bestimmt.

Der Erste Mai entstand also als weltweit koordinierter Kampftag der Arbeiterschaft in der Bewegung für den 8-Stunden-Tag. Er war in den ersten Jahren kein anerkannter Feiertag. Die Arbeiter streikten, um an den Feiern teilnehmen zu können. Nach und nach akzeptierten die Dienstgeber den Ersten Mai als Feiertag der Arbeiterschaft und gaben den Arbeitern frei, häufig unter der Voraussetzung, dass sie die Arbeit an anderen Tagen wieder „hereinbringen“ mussten.

Von einer Institutionalisierung des Ersten Mai als jährlichem Feiertag der Arbeiterschaft war zunächst nicht die Rede. Erst der Erfolg des ersten Kampftages im Jahr 1890 veranlasste die organisierte Arbeiterbewegung, den 1. Mai als Kampf- und Feiertag nun jährlich zu begehen.

4.23.2. Warum am 1. Mai ein Kampf- und Feiertag der Arbeiterschaft?

Mit den traditionellen Maibräuchen hat der Erste Mai gar nichts gemein. Die „Unruhnacht“ auf den 1. Mai, in der unter anderem geheime Liebschaften offenbart, Gerümpel herumgetragen und morgens die Maibäume aufgestellt werden, verlieh dem ersten Tag im Monat Mai zwar traditionell eine besondere Funktion. Diese mit dem neuen Kampf- und Feiertag der Arbeiterschaft zu verbinden, war jedoch nie geplant.

Vielmehr entstand der Erste Mai in den USA. Dort begann am 1. Mai 1884 im Kampf um die Arbeitszeitverkürzung ein mehrtägiger Generalstreik. Der Grund für die Terminwahl lag darin, dass der 1. Mai in den USA traditionell ein „moving day“ war, an dem alte Verträge ausliefen und die Arbeiter sich neue Dienstgeber suchten. Durch den Generalstreik sollte erreicht werden, dass die verkürzte tägliche Arbeitszeit in den neuen Verträgen verankert würde.

Zwei Jahre später (1886) kam es wieder zu Generalstreiks und zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Dezember 1888 beschlossen Gewerkschaftsdelegierte in St. Louis, am 1. Mai 1890 neuerlich Streiks und Kundgebungen durchzuführen, um ihren Forderungen nach dem 8-Stunden-Tag Ausdruck zu verleihen. Damit schlug die Geburtsstunde des Ersten Mai als internationalem Kampf- und Feiertag der Arbeiterbewegung.

4.23.3. Erster Mai in Salzburg

In der Stadt Salzburg wurde 1890 die erste Maikundgebung abgehalten. Die Hauptforderung der rund 400 Teilnehmer war der 8-Stunden-Tag. Das „Lied der Arbeit“ schloss die Kundgebung.

Der Erste Mai setzte sich zunächst nur in den wenigen sozialdemokratischen „Inseln“ im durchwegs christlichkonservativ oder deutschnational geprägten Land Salzburg durch, neben der Stadt Salzburg vor allem in der Industriestadt Hallein und im Eisenbahnermarkt Bischofshofen. Doch langsam drang der Erste Mai auch in die ländlichen Gebiete vor. Schon 1910 feierten sieben Sozialdemokraten im Lungauer Ramingstein den Ersten Mai.

Zentrum der Maifeiern war bis 1914 vor allem die Stadt Salzburg. In sternförmigen Demonstrationszügen kamen die Arbeiter aus den Vororten in das Stadtzentrum, wo Kundgebungen und Feiern abgehalten wurden. Wie in anderen österreichischen Städten auch vereinte das Programm des „Salzburger Ersten Mai“ Elemente volksnaher Unterhaltung und anspruchsvolle „bürgerliche“ Kultur. Im Jahr 1905 nahmen in Salzburg 3.500 Menschen an den Feiern zum Ersten Mai teil.

4.23.4. Der Erste Mai als Symbol des Selbstbewusstseins der Arbeiterschaft

Der Erste Mai reihte sich – gemeinsam mit Bällen, Kostümfesten, Gartenfesten, Christbaumfeiern und anderen Festivitäten – in einen neuen stabilen alljährlichen Festrhythmus der politisch organisierten Arbeiterschaft. Doch vor allem der Erste Mai selbst wurde in der Folge zum Symbol des zunehmenden Selbstbewusstseins der Arbeiterschaft.

Die Arbeiterschaft nahm die zentralen Plätze und Straßen der Städte und Orte zumindest für diesen einen Tag in Besitz und demonstrierte damit ihre Forderung, „nicht mehr Bürger zweiter Klasse zu sein“. Selbst in den ländlichen Regionen, wo die Sozialdemokratie bis weit ins 20. Jahrhundert nur schwach verankert war, beeindruckte die in den Maifeiern zur Schau gestellte Kraft der Arbeiterbewegung auch die anderen sozialen Gruppen.

Die Maifeier wurde zum „Fest der kommenden Welt“ und symbolisierte die Hoffnungen auf die Durchsetzung der sozialdemokratischen Idee. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die Sozialdemokratie im Vakuum der zusammengebrochenen Monarchie kurz staatstragende Bedeutung zugewiesen bekam, wurde der Erste Mai – neben dem 12. November – in Österreich sogar zum Staatsfeiertag.

4.23.5. Die Pervertierung der Ideen des Ersten Mai

Gut vierzig Jahre nach der ersten Maifeier wurde der sozialdemokratische Maiaufmarsch am 1. Mai 1933 von der christlich-totalitären Regierung Dollfuß verboten. Die Sozialdemokratie propagierte das Fest daraufhin als Familienfest: Tausende Maifeiern im Kreis der Familie statt einer und Spaziergänge durch die Städte wurden als Alternativen empfohlen. Rote Bettwäsche wurde in die Fenster gehängt. An die Stelle des sozialdemokratischen Ersten Mai trat ein von der Regierung verordneter Gedenktag der austrofaschistischen Verfassung.

Auch die Nationalsozialisten verboten die Maifeiern nicht, sondern vereinnahmten die Tradition. Sie machten den 1. Mai zum staatlich verordneten „Ehrentag der nationalen Arbeit“. Bis Kriegsbeginn wurden pompös inszenierte Massenaufmärsche durchgeführt, an denen die Arbeiter – bewacht von Einheiten der SA und der SS – teilnehmen mussten. Die nationalsozialistische Vision der Volksgemeinschaft, an der alle sozialen Gruppen mitwirken mussten, sollte dadurch symbolisiert werden. Der Kampf- und Feiertag der Arbeiterbewegung verkam damit zu einer von den nationalsozialistischen Machthabern inszenierten Farce.

4.23.6. Der Erste Mai heute

Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes konnte die Tradition des Ersten Mai als Kampf- und Feiertag der sozialistischen Arbeiterschaft neu erstehen. Der Erste Mai verlor jedoch seine provokante Symbolik. Die Sozialdemokratie – zur jahrzehntelangen Regierungspartei gewandelt – inszenierte den Ersten Mai nun als Bekenntnis zur Zweiten Republik und als Leistungsschau der Erfolge sozialdemokratischer Politik. Der Tag wurde zum Fest der „Freundschaft“ und der „Freude“.

Die Kommunisten begingen den Ersten Mai nach 1945 getrennt von den Sozialdemokraten. 1968 kritisierten im Sog der internationalen Aufbruchsstimmung Jungsozialisten, Linksintellektuelle und Antiautoritäre die Inhaltsleere des Ersten Mai und forderten verstärkte Diskussionen über gesellschaftliche Probleme. Seit den 1970er-Jahren übernahmen auch andere „linke“ Gruppierungen den Feiertag, wodurch der Erste Mai deutlich stärker kämpferische Züge annahm als in den Jahrzehnten zuvor. Sprechchöre, Debatten, Weltmusik oder Kabarettaufführungen sollen die provozierende Tradition des Ersten Mai in das ausgehende 20. Jahrhundert bzw. in das beginnende 21. Jahrhundert retten.

Literaturauswahl

[Cardorff 1983] Cardorff, Peter: Was gibt’s denn da zu feiern? Linke Festlichkeit von den Anfängen der Arbeiterbewegung bis heute. 1. Aufl. Wien 1983.

[HaasH 1988a] Haas, Hanns: Es geht vorwärts. Die Salzburger Arbeiterbewegung von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. In: Bauer, Ingrid (Hg.): Von der alten Solidarität zur neuen sozialen Frage. 100 Jahre Sozialdemokratie. Ein Salzburger Bilderlesebuch. Wien [u. a.] 1988 (Veröffentlichung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung), S. 9–72.

[HaasH 1988b] Haas, Hanns: Salzburg in der Habsburgermonarchie. Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung. In: Dopsch, Heinz; Spatzenegger, Hans (Hg.): Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Bd. II/2: Neuzeit und Zeitgeschichte. Salzburg 1988, S. 661–717.

[Kropf 1987] Kropf, Rudolf (Hg.): Arbeit – Mensch – Maschine. Der Weg in die Industriegesellschaft. Oberösterreichische Landesausstellung 1987, 30. April bis 2. November 1987 in Steyr-Wehrgraben / Oberösterreichische Landesausstellung 1987. Linz 1987.

[WiesingerU 1989] Wiesinger, Udo B.: „Ihr wißt es, was der erste Mai will“. Maifeiern in Oberösterreich 1890 bis 1918. In: Greussing, Kurt (Hg.): Die Roten am Land. Arbeitsleben und Arbeiterbewegung im westlichen Österreich. Steyr 1989, S. 57–72.

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