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9.17. Fest- und Weihespiele der Zwischenkriegszeit[2827] (Karl Müller) - Langtext

9.17.1. Einleitung

Im gerade noch geduldeten Freiraum des Kabaretts ABC konnte man sich zwischen Mai und Juli 1936 an einer „Geschichtsstunde im Jahre 2035“ ergötzen, die aus der Feder von Jura Soyfer stammte und im Rahmen eines Programmes mit dem Titel „Zwischen Himmel und Erde“ gespielt wurde. Ein Professor ist gerade beim Prüfen. Folgender Dialog entwickelt sich:

Professor: Lörk, was können Sie mir über das Kulturleben der Zeit [gemeint sind die dreißiger Jahre] sagen?
Lörk: Nix.
Professor: Sehr gut. Setzen! (Lörk setzt sich.) Lörk, mit Ihnen geht es aufwärts.[2828]

Nach einer polizeilichen Hausdurchsuchung bei Jura Soyfer im November 1937 landete auch dieser Text in den Archiven der Staatspolizei,[2829] so wie Soyfers Original-Typoskript des noch fragmentarischen Romans „So starb eine Partei“ aller Wahrscheinlichkeit nach im polizeilichen Reißwolf verschwand und damit auch das Original jenes Roman-„Vorspiels“, in dem Soyfer die psychosoziale Befindlichkeit eines österreichischen Kleinbürgers namens Franz Josef Zehetner darstellt. Dort hätte man schon damals aus satirisch-verständnisvoller Perspektive u. a. lesen können: „Sanierung! Zehetner genügte es. Er ließ sich gern das Stück Gehalt abzwacken. Würde nun endlich Ordnung ins Land einziehen? (231) [...] Er hatte Platzangst vor den vierzehn Jahren Republik. [...] Zu einer anderen, früheren Epoche, genannt ‚In Friedenszeiten‘, war das Leben durchaus ordentlich, übersichtlich, verständlich verlaufen. Alles aber, was ‚nach dem Umsturz‘ geschehen war und noch immer geschah, gehorchte unbekannten, unheimlichen, chaotischen Gesetzen. Kein Ding stand auf seinem Platz und nichts stand fest. (235f) [...] Zehetners Verwirrung trieb ihn zeitweise fast bis zum Verfolgungswahn. (237) [...] Ja, Zehetner war Deutscher, war Arier, war Österreicher, war Christ, war der Sklave von Versailles und Saint- Germain, war die Zielscheibe marxistischen Terrors und der Eichbaum, an dessen Wurzeln Juda nagte. Auch in ihm, dem Vorsichtigen, trieb endlich ein Etwas zum Aufbruch, nur daß er noch nicht wußte, ob es der Ruf des Blutes oder die Stimme des Herrn war. (239) Aber wo blieb die Seelensanierung, die der Prälatenkanzler versprochen hatte? (231)“[2830]

Franz Josef Zehetner, ein „autoritärer Charakter“, wie ihn später Theodor W. Adorno genannt hat: anpasslerisch, katzbuckelnd und verlogen, angstbesetzt, abergläubisch, hasserfüllt und wehleidig, sentimental und militaristisch infiziert, je desorientierter, umso mehr nach Ordnung rufend. Franz Josef Zehetner, eine vernunft-abholde Figur, aufbereitet für alle nur erdenklichen Erlösungsformeln und Phrasen aus dem Ideologieapparat der Patriotisch-Heimattreuen, der Volksbefreier und kämpferischen Gott-Verkünder, der Reichs- und Rassebewahrer, der Abendlands- und Vaterlandsretter. Franz Josef Zehetner, für den die Nachkriegszeit zu einem von Proleten, Juden sowie volks- und gottlosen Elementen gegängelten und überfluteten Sünden-Babylon verkommen ist.

„Aber wo blieb die Seelensanierung?“, wie sie Franz Josef Zehetner so sehnsüchtig erwartet? Das not-wendende ‚Aufbruchswerk‘ in Zeiten der Not, des Auseinanderbrechens des Ganzen, des gefährdeten Sinns und in Zeiten der fehlenden einheitlichen Orientierung war schon im Gange, nicht zuletzt mit Hilfe der Kunst und des Theatralischen.

In der Nachkriegszeit boomte – in allen politischen Lagern – eine Fest- und Weihekultur von ähnlicher ästhetischer Konstruktion, aber unterschiedlicher ideeller Zielgerichtetheit. Die österreichische Arbeiterbewegung entwickelte seit 1918 einen sozialistischen Festkalender, in dem das Theatrale nicht fehlte und mit dem Anspruch auftrat, vom „Neuen Menschen“ getragen zu sein und zugleich diesen zu entwickeln: Republikfeier jeweils am 12. November, die Maifeier, Gedenktag an die Märzgefallenen von 1848, Trauertag für die Toten vom 15. Juli 1927 sowie Feiern zu Ehren von „Märtyrern der Freiheit“ und „Helden des Geistes“. Anlässlich der Eröffnung der Zweiten Arbeiterolympiade in Wien wurde im Juli 1931 im neu errichteten Wiener Stadion ein Festspiel von Robert Ehrenzweig aufgeführt, das die „Entwicklungsgeschichte der Arbeit und der Arbeiterklasse seit dem Ende des Mittelalters“[2831] darstellen sollte. Ein Jahr später, 1932, fand am selben Ort im Rahmen der Maifestspiele, veranstaltet vom Arbeiterbund für Sport und Körperkultur in Österreich, ein weiteres Festspiel statt, produziert von Marie Deutsch-Kramer und Steffi Endres.[2832] Und in Linz wurde das Spiel „Flammen der Nacht“ aufgeführt.[2833]

9.17.2. Empirische Daten: Dokumente, Inszenierungen, Aufführungen

Seit den Jahren 1933 und 1934 aber brachen – hüben und drüben – die Hoch- und Heil-Zeiten der literarischen und theatralen Fest- und Weiheprodukte in Form panegyrischer Dichtung, völkischer und vaterländischer Sprechchöre, in Form herrschafts-verklärender Szenen und geschichtsmetaphysisch getränkter Spiele an. Es wurde an keinen seelensanierenden und massenmobilisierenden Attraktionselementen gespart, um „die gewaltige Geisterschlacht des Jahrhunderts“[2834] so Rudolf Henz 1935, im Sinne des „Volksganzen“ bzw. des neuen „christlich-ständisch-autoritären“ Reiches, errichtet „im Namen Gottes des Allmächtigen“[2835] endgültig zu entscheiden.

Ab 1934 konnte sich aufgrund des Verbotes der NSDAP in Österreich eine der NS-Bewegung verbundene Festspiel- und Weihe-Kultur, die zum selben Zeitpunkt im Deutschen Reich gerade einen ihrer Höhepunkte erlebte, nicht frei entwickeln. Bis dahin war sie aber im deutsch-völkischen Lager Österreichs durchaus vorhanden. Sogenannte Jul-Festspiele,[2836] weiters Spiele, die für das „ganze Deutschland“[2837] warben, aber auch deutsch-völkische Festspiele, die sich z. B. des Themas der Kärntner Abwehrkämpfe und der Volksabstimmung im Jahre 1920 annahmen, z.B. von Josef Friedrich Perkonig und Karl Springenschmid,[2838] können hier genannt werden. Oft waren die deutschen Turnerbünde Österreichs federführend und nahmen die Dichter in ihren Dienst. Im Falle Perkonigs und Springenschmids waren es offizielle Stellen. Das Stück „Land im Leid“ (1930) hatte Springenschmid z. B. der Kärntner Landesregierung „für die Zehnjahrfeier der Freiheitskämpfe und der Volksabstimmung“ als Geschenk überreicht.

Eine zunehmend größere Anzahl von Partei und Staatsstellen kümmerte sich im Dritten Reich um Fest und Feiergestaltungen zu verschiedensten Anlässen, sehr oft unter Einschluss von weihevollen Spielen und Szenen. Klaus Vondung hat schon 1971 in seinem Buch „Magie und Manipulation“[2839] die ca. 70 wichtigsten Feierspiele der bekanntesten 20 NS-Autoren im Rahmen der sogenannten Thingspielbewegung aufgelistet sowie über den Einsatz von Spielen anlässlich von Feiern im NS-Jahreskreislauf und im Rahmen von Morgen- und Lebensfeiern berichtet. Diese wurden z. B. von SA, SS, der Reichsjugendführung, der Reichspropagandaleitung, den diversen Ämtern für Feier- und Freizeitgestaltung, vom NS-Lehrerbund, vom Reichsarbeitsdienst oder der Fichte-Gesellschaft initiiert.

Welche Angebotsfülle an Spielen für Feier und Weihe gegeben war – darunter auch Beiträge aus der sogenannten Ostmark, z. B. von Karl Springenschmid, dem nach 1938 hauptverantwortlichen NS-Kulturfunktionär im Gau Salzburg –, belegt eine gigantische Menge von Publikationen „für Fest und Feier“, so z. B. auch das im Jahre 1936 veröffentlichte Suchbuch mit dem Titel „Volksspiel und Feier“.[2840] In ihm werden, geordnet nach nicht weniger als 42 Kategorien – z. B. Werke für Massenformationen und Freilichtraum, für eine Volksdeutsche Gedenkstunde, zum Thema Treu zur Scholle, Bekenntnis zu Acker und Boden, für Feierstunden aus dem Geiste der NS Volksgemeinschaft usw. – über 500 (!) Beispiele genannt. Das Motto der Sammlung, die durch die überlieferten und neuen Beiträge zu einem „Blut und Rasse“ gemäßen Brauchtum beitragen wollte, zu einer neuen Volkskultur – getragen auch von einer stark geförderten Laienspielbewegung – lautete: „Die Veräußerlichung der Veranstaltungen, an denen der Einzelne und die Gemeinschaft innerlich völlig unbeteiligt waren, muß den Forderungen eines gesunden völkischen Lebens weichen. [Des völkischen Brauchtums Wert und seine Notwendigkeit liegen darin, daß es] [...] der höchste Ausdruck völkischer Selbstentfaltung ist; die höchste Sinngebung des völkischen Lebens, in der persönliches und völkisches Erlebnis ihre innigste Verbindung eingehen, ja völlig gleich werden. Wirklich gedeihen kann es daher nur in den gewachsenen oder durch einen gemeinsamen Grundwillen zusammengeschlossenen völkischen Lebensgemeinschaften, die sowohl in der Sippe wie in der Dorfgemeinschaft, in der Kampfgemeinschaft wie in der Werkgemeinschaft bestehen können.“[2841]

Bringt man die biologistischen Tendenzen in Abzug, bleibt eine genügend große Bandbreite an Programmatik übrig, die es den vaterländischen Stellen Österreichs erlaubte, sich mit den hier formulierten Zielen einverstanden zu erklären. Auch hier war man nämlich bestrebt, eine neue Volkskultur – von oben – zu installieren und die Dichter „zur Gestaltung des zur Form drängenden gemeinsamen Lebens [in Dienst zu stellen], auch um den Preis, ein Stück seiner Persönlichkeit zu opfern“, wie Rudolf Henz 1935 formulierte.[2842]

Denn die Zeit des „individualistischen Theaters“, des individualistischen Künstlers und des „falsch verstandenen Persönlichkeitswahns außerhalb der Gemeinschaft“ sei „irgendwie abgelaufen“, wie sich Rudolf Henz ausdrückte, es gehe um das Abschwören des „Anders-sein[s] um jeden Preis“, des Abschwörens des Sich-Erhaben-Fühlens über die „göttliche und natürliche Ordnung“, über das „Sittengesetz und alles Volkhafte“.[2843]

Nicht zufällig wurde denn auch ab 1934 die reichsdeutsche NS-Fest- und Weihespiel-Szene, auch das soeben zitierte Sammelwerk „Volksspiel und Feier“, trotz des Verbotes der NSDAP in Österreich z. B. in der offiziösen Zeitschrift „Österreichische Rundschau“, ab 1934 von der ständestaatlichen Zentralstelle für Volksbildung im Bundesministerium für Unterricht herausgegeben, insofern wohlwollend rezensiert, als die Spiele sich auf die Propagierung von Werten beschränkten, die auch im Austrofaschismus en vogue waren: Treue, Pflichterfüllung, soldatische Kampfbereitschaft, Glaube an Heimat, Volk und Vaterland sowie Unterwerfung und Unterstellung unter ein Führertum. Die genannte Sammlung wurde von der „Österreichischen Rundschau“ demgemäß als „willkommene Gabe“ für ein „neues volkhaftes Leben“ gelobt.[2844]

Der Bundesstaat Österreich verstand sich als eine ständisch-autoritäre Erneuerungsbewegung, die auch im Bereich der Kultur eine „Vereinheitlichung“, besser Gleichschaltung nach gegenaufklärerischen, romantizistisch-volkhaften Leitlinien anstrebte. Bis 1936 sollte diese durch ein „Kulturreferat“ der Einheitspartei „Vaterländische Front“ bewerkstelligt werden, ab 1936 war dafür das VF-Werk „Neues Leben“ zuständig.[2845] In diesem gab es analog z. B. zur NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“-Referate für Festgestaltung sowie für Volks- und Laienspiel, die aber bis zum März 1938 nicht mehr viel auf die Beine stellen konnten.

Deklariertes Ziel war es, die Kunst verschiedener Sparten „bei allen Festen und Feiern des N. L.“ einzusetzen, um durch „Angriff und Abwehr, Stellungskampf und Aufklärung“ die „wahre österreichische Volksgemeinschaft“ aufzubauen und „die Idee der Gestaltwerdung des christlichen, deutschen und berufsständischen Staates [zu verwirklichen] und schließlich die neue europäische Geisteshaltung der jungen Generation [zu sichern], die um die Überwindung von Materialismus und Positivismus, eines übersteigerten und dadurch zerstörenden Individualismus und Liberalismus bemüht ist und ihren wahren Lebensinhalt aus einer neuen Metaphysik, aus den Kräften des Volkstums und einer organischen Gemeinschaft bezieht.“ Dies formulierte Rudolf Henz 1936 als Bundeskulturleiter des „Neuen Lebens“.[2846] Offenherzig und wahrheitsgemäß konnte er im gleichen Artikel schreiben: „Wir bebauen kein Brachland. Wir wollen nur eine planmäßige Wirtschaft [...].“[2847] Was sich hier relativ moderat anhört, klang in den schon seit dem Ende der zwanziger Jahre von ihm selbst verfassten, insbesondere für den Volksbund der Katholiken Österreichs, den Reichsbund der katholischen deutschen Jugend, für die Christliche Gewerkschaft oder die Pfadfinder verfassten Chören, Gelöbnissen, Sprüchen und Bekenntnissen, aber ganz besonders in seinen Spielen für die Jugend, z. B. „Pfingstfeuer“ (1932),[2848] „St. Michael, führe uns!“ (1933), „1. Mai 1934. Kinderhuldigung im Stadion“ (1934) und in seiner „Huldigung der Stände“ (1934) kämpferischer und bedrohlicher.

Henz ist zwar der prominenteste der vaterländischen Festspieldichter, der sich auch als Weihespiel-Theoretiker profilierte, neben ihm aber gab es eine Reihe von Initiativen für ein neues volkstümliches und patriotisches Festefeiern mit Hilfe von Fest- und Weihespielen sowie Sprechchören aller Art. So wurden z. B. vom VF-Werk „Neues Leben“ ab 1936 sogenannte „NL- Werkblätter“ versandt, um die künstlerische Qualität des Festefeierns, auch unter Einbeziehung von Weihespielen, zu steigern. In Tirol wurden in Anlehnung an die sogenannten Talthinge sogenannte Taltage initiiert, die die „arteigenen“ Einheimischen mit Hilfe von Trachtenaufmärschen und Festspielen zur christlich-deutschen Volksgemeinschaft zusammenschweißen sollten. 1937 wurde die Tiroler Andreas Hofer-Landesgedenkfeier mit dem Spiel „Es ist Zeit“ angereichert. Lehrgänge über „Neues Festefeiern“ wurden veranstaltet.

Anlässlich des sogenannten 1. Sachwalterappells für Wien und Niederösterreich im Jahre 1936, an dem ca. 350.000 Menschen teilgenommen haben sollen, wurde im Wiener Musikverein ein Bekenntnisspiel inszeniert. Anlässlich eines sogenannten Volkskunsttages im oberösterreichischen Rohrbach kam Adalbert Depinys Ständespiel zur Aufführung.[2849] Es gab weiters Sprechchor-Wettbewerbe, deren Ergebnisse publiziert wurden.[2850] Besonders hervorgetan hat sich die Christlich-deutsche Turnerschaft – für die Durchführung von Henzens Spielen war sie ein wichtiger Träger – mit ihren nicht weniger als 17 Heften der „Blätter für neues Festefeiern“, die schon aufgeführte Fest-Spiele und Sprechchöre mit Titeln wie z. B. „Vaterland“, „Österreichisches Bekenntnis“ und auch dramatisierte Weihnachtsfeiern enthielten, die sogar zu heroischen Geschichtsbildern im Sinne der ständestaatlichen Geschichtsmetaphysik umfunktioniert wurden.[2851] In Graz gab es ein Unternehmen gleichen Namens, geleitet von Georg Maitz.[2852]

Eine ähnliche Schriften-Reihe wurde auch von der schon erwähnten Zentralstelle für Volksbildung im Unterrichtsministerium herausgegeben. In diesen „Schriften für den Volksbildner“ erschien u. a. Henzens „Festliche Dichtung“. Außerdem arbeiteten dort Festspiel- und Feierexperten mit, die ihre damals erworbenen Erfahrungen während der NS-Herrschaft weiterhin gebrauchen konnten, z. B. als Gau-Hauptstellenleiter der Hauptstelle für „Weltanschauliche Feierstunden und Lebensfeiern“.[2853] Insbesondere die Jugend sollte von den neu-alten Ideen beeinflusst werden. Demgemäß trug z. B. die Zeitschrift „Die Österreichische Schule“ ihr Scherflein zur ständestaatlichen Weihekultur bei. „Aller Ehren ist Österreich voll“, so lautet der patriotische Titel eines einschlägigen Weihespiels der Reihe „Heimat und Vaterland im Schulleben“.[2854]

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit – da zu offiziellen Staats-Weiheakten ab 1934 in Szene gesetzt – erregten die Stände- und Kinderhuldigungs-Spiele von Rudolf Henz und Max Stebich sowie das Spiel „Rotweißrot“ des VF-Kulturreferats-Mitarbeiters Hans Nüchtern,[2855] das zum 1. Mai 1936 im Wiener Stadion aufgeführt wurde. Die „Reichspost“ berichtete jeweils überschwänglich von den tausenden Mitwirkenden und den Besuchermassen, die aber von Jahr zu Jahr immer weniger wurden. Ohne Appelle an soldatische Pflichterfüllung und dem üblichen Zitat der glorreichen österreichischen Heroen-Vergangenheit ging es nicht ab. Prinz Eugen erschien in Nüchterns Stück hoch zu Ross und forderte von der Jugend die Pflicht ein, für das Schuschnigg-Österreich mit dem Leben einzustehen, so wie er vor Jahrhunderten heldenmütig für das Abendland eingestanden sei. Eine Generation mit Sinn für todesmutiges Heldentum und für Treue sollte herangezogen werden, berichtete die Reichspost.[2856]

Hans Nüchterns Jugendspiel führte die Tradition weiter, die Rudolf Henz mit seiner „Kinderhuldigung“ vom Mai 1934 eingeführt hatte. Henz ließ von einem Chronisten in mehreren Bildern die österreichische Geschichte in geschichtsmetaphysischer Optik präsentieren: „Landnahme“, „Österreichs Musik“ und „Heldische Kämpfe der Gegenwart“, so lauteten die Teile der Weihehandlung. Der Blick war hauptsächlich nach rückwärts, in die tausendjährige Geschichte und Kultur Österreichs, gerichtet. Vorgeführt und erlebbar gemacht sollte Österreich als ein „seit einem Jahrtausend des Deutschen Reiches Bollwerk und Brücke zu den anderen Völkern“ und als eine „Stätte deutschen Wesens und christlich-deutscher Kultur.“[2857] Dementsprechend selektiv fiel das Geschichtsbild aus.

Es passt gut ins Bild, dass es im Jahre 1937 anlässlich der Wiederkehr des Jahrestages der Verkündigung der Ständestaats-Verfassung vom 1. Mai 1934 im Rahmen einer seitdem alljährlich stattfindenden Jugendhuldigung an das Regime möglich war, ein Festspiel mit dem Titel „In hoc signo vinces“ eines gewissen Max Stebich[2858] aufzuführen, der sich spätestens 1938 als nationalsozialistisch Gesinnter entpuppte und ab 1938 sogar das Amt des Geschäftsführers der Landesleitung Wien der RSK ausübte.[2859] In das Huldigungsspiel waren nicht nur diverse Ansprachen der höchsten Staatsrepräsentanten und patriotische Melodien[2860] integriert, sondern auch das obligate Dollfuß-Gedenken. Auch die Figur der Austria trat auf und verlangte der Jugend patriotische Schwüre ab, die die Jugendlichen im Sprechchor ableisteten, so z. B. den Schwur: „Bereit für euer Heimat Sein und Leben/den höchsten Preis – euch selber – hinzugeben“.[2861] Als Stebich nach der Annexion von den Nationalsozialisten wegen dieses Stückes befragt wurde, verteidigte er sich in einer umfangreichen Stellungnahme. Er verwies dabei auf seine makellosen nationalsozialistischen Leistungen in der illegalen Zeit und stellte sein Festspiel als einen vom Ständestaat erpressten Beitrag dar, der kein politisches Bekenntnis im Sinne eines österreichischen Separatismus darstelle, sondern hauptsächlich zur vormilitärischen Jugenderziehung in Weiheform gedient habe. Dies sei ja auch im Sinne des Nationalsozialismus gewesen.[2862]

9.17.3. Rudolf Henz und das „moderne Mysterienspiel“

Das ästhetisch ausgefeilteste und ideologisch interessanteste Produkt dieser Weihespiel-Szene ist zweifellos Henzens „St. Michael, führe uns!“, konzipiert als Weihespiel der katholischen Jugend und vorbildhaftes Beispiel der neu zu etablierenden Festspielkultur, als Exempel eines „modernen Mysterienspiels“, anknüpfend an Calderon, in Szene gesetzt 1933 im Wiener Stadion anlässlich des „Allgemeinen deutschen Katholikentags“ und bewusst gegen „nationale“, sprich nazistische, und „sozialdemokratische“ Vorbilder „in Angriff genommen“. Henz kommentierte: „Einmal ist die Zeit des individualistischen Theaters irgendwie abgelaufen [...]. Das anderemal: wir fühlen und hören und leben volksmäßiger oder [...] die Zeit ist gekommen, in der wir wenigstens bei solchen festlichen Gelegenheiten die Rampe zwischen Bühne und Publikum niederlegen können.“[2863]

Das „neue Volksfestspiel“ oder besser das „moderne Mysterienspiel“ werde am Ende, so konzipierte es Henz, „zur vollen Wirklichkeit“,[2864] wenn Kardinal Innitzer mit dem Allerheiligsten, begleitet von Bischöfen, Äbten und 900 Priestern und Mönchen in das Stadion einzieht, nachdem zuvor St. Michael als Vermittler Gott angerufen hat, um das versammelte und geeinte Volk „christlicher Kämpfer“ bei der Rettung des Abendlandes siegreich zu begnaden. Dementsprechend wird das Stadion zum katholischen Dom, in dem das Weihespiel mit dem Ambrosianischen Lobgesang und der Bundeshymne endet – „Stimm, Erde, ein in diesen Sphärenklang, Versinke, Volk, in Staub und Lobgesang!“,[2865] kommentiert der Erzengel und „alte deutsche Kriegersmann“[2866] Michael. Thron und Altar – wieder eine Einheit! „Der Gesang der Fünfzigtausend im vollbesetzten Stadion [...] unter einem klaren herbstlichen Dämmerhimmel“[2867] habe einen überwältigenden Eindruck hinterlassen, kann Henz berichten.

Gemäß der erklärten Absicht, dem durch „Aufklärung und Liberalismus, Rationalismus und übersteigerte[m] Persönlichkeitskult“[2868] angeblich hervorgerufenen „Bühnenmäßigen und Theatralischen“[2869] das angeblich Neue, das absolut Moderne entgegenzusetzen, wird sowohl die Bühnenschranke zwischen den Spielenden und den Teilnehmenden aufgehoben, als auch das fiktive Spielgeschehen im Akt der „sakramentalen Weihe“ zum Raum des Mysteriums durchstoßen, wie es bei den autos sacramentales des Calderon de la Barca noch üblich und selbstverständlich gewesen sei. Henzens Modernität endet ungewollt in der Potenzierung des Theatralischen.

Henz konstruiert einen geschlossenen Bedeutungs-Kosmos, in dem sich ausschließlich Gegensätze gegenüberstehen: Göttliches und Teuflisches, Licht und Nacht, Einheit und Getrenntheit, starkes Mannes- und gesundes Frauentum, Heilige und Zerstörermassen, gläubige Akademiker und Wissenschafter als „Verbrecher des Geistes“ oder einfach Menschen gegen sitten- und hemmungslose Intellektuelle, Recht und Verbrechertum usw.

In klarer, mittelalterlich verbürgter ständischer, transzendent legitimierter Hierarchie und in geschlossenen Körperformationen werden die Menschen – gemeinsam singend, ihre Arbeits- kleider und Landestrachten tragend –, in den Stadion-Dom hereingeführt, um „gegen alle Feinde in euch und außer euch“ zu kämpfen – gegen die Werte der Aufklärung, aber für „die Freiheit des Lebens in der Gnade, die Gleichheit aller Kinder Gottes, die Brüderlichkeit jeder Kreatur“. (S. 38) Die Grenzen des Einsatzes und der Pflichterfüllung aber werden strikt gezogen: Denn der ranghöchste Stand, die Kleriker, stehen „dem Volke unseres Blutes voran“ (S.44).

Der das Schwert gegen die vier Weltgegenden schwingende Erzengel war zu Beginn der Weihehandlung gegen alle dem Liberalismus und Sozialismus zugeordneten Verbrechen angetreten, z. B. gegen die „Spekulanten in aller Welt“, die „Räuber unseres Eigentums“, die „Zerstörer unserer Heimat“, die „heimatlosen Verführer“, die „Heerscharen der Gottlosen“, die „Klassenkämpfer an allen Fronten“, natürlich auch gegen die „Sendlinge des Bolschewismus“ und die „Zerstörermassen, die gegen uns anstürmen“. (S. 36f) Dem gegenüber verpflichten sich die Stände, zuoberst die Akademiker und Kleriker, der „Ordnung der Natur“ nach „göttlichem Plan“ zu dienen, die sie selbst als Führer des Volkes verkünden. Wissenschaft, Kunst und Politik des „Volkes unseres Blutes“ werden in den Dienst des Wahrheitsanspruchs der katholischen Kirche genommen.

Henzens Text schweißt die Bedeutungsgrößen Gott, Ordnung, Natur, deutsches Volk, Heimat, Österreich, Dienen, Kampf, Liebe und Kirche zu einer unzertrennlichen Keule zusammen. Henzens Spiel ist zudem die sinnliche Umsetzung der päpstlichen Enzykliken „Quas primas und Servatoris Jesu Christi“ (11. und 25. September 1925, Papst Pius XI. in der Tradition der Enzykliken von Papst Leo XIII.[2870]) und zugleich die Vorwegnahme des Geistes der ständischen Verfassung vom 1. Mai 1934, indem es den antidemokratischen Charakter des herrschenden Regimes katholisch zu heiligen versucht.

In Henzens „Kinderhuldigungsspiel“ mit dem Titel „1. Mai 1934“ wird schließlich eine schon in seinem „St. Michael“-Spiel angelegte Dimension, nämlich die Verpflichtung den Ahnen gegenüber zugespitzt. Jetzt darf der durch die Geschichte Österreichs führende vaterländische Chronist sagen, bevor die Militärmusik „Die Ehre Gottes“ spielt: „Der ist nicht wert, in diesem Land zu leben,/Der sich nicht seinen Vätern würdig reiht.“ (S.50) Diese Würde besteht naturgemäß in „starkem Gottvertrauen“, „österreichischem Frohsinn“, „deutschem Fleiß“ und stolzer soldatischer Pflichterfüllung gegen Ost, West und Süd. So sei friedliche „neue Form zu prägen menschlicher Ordnung.“[2871] Die behauptete ästhetische und ideelle Modernität erweist sich als eine Peitsche zur Auslöschung des Individuums, zur Verhinderung von Emanzipation und aufrechtem Gang.

Neben dem Stadion-Spektakel gab es während des „Allgemeinen Deutschen Katholikentags“ noch eine Reihe anderer, traditionell ausgerichteter mysterienhafter Festspiel-Aufführungen, so z.B. im Zeremoniensaal der Hofburg das Legendenspiel „Der Sieg des Glaubens“ von B. O. Ludwig, „Das Frauenspiel“ von Margarete Seemann und im Deutschen Volkstheater Calderons „Die Andacht zum Kreuze“, aber auch ein weiteres Kinderhuldigungs-Spiel im Sinne Henzens, nämlich „Österreichs Kinder huldigen vor dem Kreuz“ von Dr. Neumair auf dem Karlplatz – Motto: „Treu bis zum Tode! Amen.“[2872]

Noch in seiner Autobiographie mit dem angesichts der kulturkämpferischen Rolle Henzens seit den zwanziger Jahren besonders schillernden Titel „Fügung und Widerstand“ (1963/2., erw. Aufl. 1981) kommt Henz ins Schwärmen, wenn er von seinem Michael-Spiel im Wiener Stadion spricht, wobei sich ihm noch 1981 die Relationen verschieben und trüben: „Ist das seither innerhalb und außerhalb Europas uns vorexerzierte Experiment, eine schon gar nicht mehr funktionierende Parteiendemokratie durch eine Diktatur zu ersetzen und auf diese Art wenigstens den Staat zu retten, ist dies das schwerste aller staatspolitischen Verbrechen? [...] Die Zuschauer aber erfreuten sich der warmen Septembersonne, und die kerzentragenden Priester zogen dann erst in der Dämmerung ein. Herrlich! [...] Daß wir auf dem rechten Weg waren, beweisen die Versuche in den siebziger Jahren, altmodisch erstarrte Festspiele und Festwochen durch Straßenspiele, Alternativ- und Subkulturfeste aufzulockern, also das Volk, vor allem die Jugend, in die Feste einzubeziehen.“[2873]

Henz als demokratischer Parlamentarismus und Staatsretter sowie alternativer Subkultur-Freak!? Das denn doch nicht. Henzens Karriere als Dichter Politiker hatte im Dollfuß-Staat einen ziemlichen Aufschwung genommen,[2874] was nach 1945 eher eine Visitenkarte als eine Behinderung darstellten sollte. Zwischen 1945 und 1957 war Henz Programmdirektor der RAVAG, 1947 wird ihm der Professorentitel verliehen, zwischen 1948 und 1954 ist er Präsident der „Katholischen Aktion“ Österreichs, 1951 wird er Präsident der Österreichischen Kulturvereinigung (gegr. 1945), 1952 fungiert er als Präsident des Katholikentages, 1953 wird er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und mit einem päpstlichen Orden ausgezeichnet. Seit 1955 war er Herausgeber der offiziösen Literaturzeitschrift „Wort in der Zeit“, genannt nach einem Henzschen Gedichtband aus dem Jahr 1945. Jura Soyfers Name taucht darin nicht einmal auf.[2875] Weitere wichtige Funktionen von Henz waren: Vorsitzender des Österreichischen Kunstsenates, Mitglied des Aufsichtsrates und Vorsitzender des großen Programmbeirates des Rundfunks nach 1957; an Ehrungen erhielt Henz z.B. das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1954), den Literaturwürdigungspreis der Stadt Wien (1956), das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und die Ehrenplakette des Landes Niederösterreich.[2876] Henzens ideologische und literarische Position nach 1945 qualifizierten ihn als einen Mann der Stunde, so wie er dies schon 1933/34 gewesen war, jetzt aber entschlackt von den gröbsten totalitaristischen Zügen: katholisch, kirchentreu, österreichisch, großkoalitionär, abendländisch, pragmatisch, ästhetisch traditionell, ordnungsverbunden, volksverbunden, antisozialistisch.

Auch nach 1945 verstand Henz sein Dichtertum als Engagement für die Zeit in einer Weise, dass man meinen könnte, man lese Sätze aus dem gegenreformatorischen Österreich der dreißiger Jahre: Um das Verkünden, Rühmen, Beschwören und die Bändigung des Chaotischen um uns und in uns gehe es, meinte Henz 1953 in einem Selbstportrait mit dem vieldeutigen Titel „Zwischen den Zeiten“.[2877] Das „Österreichische“ seiner Texte, direkt greifbar z. B. in seinen neuen Österreich-Hymnen, machten ihn wieder zum beliebten Dichter-Repräsentanten der Zweiten Republik. Aber auch seine „alten“ Texte aus dem autoritären Österreich der dreißiger Jahre konnten in die Zweite Republik – mit einigen Retuschen freilich – überstellt werden.

So enthielten Vorschläge zur Gestaltung des österreichischen Nationalfeiertages in den Schulen noch im Jahre 1968 auch Texte von Henz, die anlässlich der Verkündigung der Dollfuß-Verfassung vom 1. Mai 1934 verfasst wurden.[2878] „Schön ist, Österreich zu lieben“, so lautet der Spruch, der aus dem Spiel „1. Mai 1934. Kinderhuldigung im Stadion“ stammt. Der Text wurde am Ende des Spiels gesprochen, bevor Bundeskanzler Dollfuß seine Rede hielt, die Bundeshymne gesungen wurde und nachdem der „Einmarsch der Ehrenkompagnie des IR Nr. 5 [mit einem] Marsch durch die Mitte des Feldes, [die] Ehrenbezeigung und Meldung vor dem Bundeskanzler“ stattgefunden hatte. Für die Feier der Zweiten Republik brauchte man nur jene Passage zu streichen, in der vom „heiligen deutschen Boden“[2879] die Rede war und jenen Singular in den Plural zu verwandeln, in dem von der Hoffnung die Rede war, die „neue Form zu prägen menschlicher Ordnung“.[2880] Nach 1945 hieß es „Formen“. Der Totalitätsanspruch, den Henz 1934 formuliert hatte, wurde jetzt aufgegeben oder vertuscht.

Der Bundesstaat Österreich seit 1934 richtete aber gegen die weitaus besseren wirtschaftlichen, eindeutigeren ideologischen und weitaus professioneller inszenierten Attraktionen des Hitler- Faschismus nicht viel aus. Dazu kam, dass der seit Schönerers Tagen grassierende und damit verankerte Deutschnationalismus, Antislawismus und durch den Reformkatholizismus seit 1848 geschürte und seit Luegers Tagen auch im katholischen Lager wieder salonfähig gemachte Antijudaismus ein so tiefes und damit jederzeit mobilisierbares Fundament war, gegen das sich für viele die unpersönlichen Ständehuldigungen, die der mittelalterlichen ordo-Vorstellung verpflichteten Inszenierungen und der Prinz-Eugen-Huldigungskitsch lächerlich ausnehmen mussten.

9.17.4. Salzburg – Karl Springenschmids „Lamprechtshausener Weihespiel“

Am Beispiel der Festspielstadt Salzburg, des sogenannten deutschen Rom, der Stadt des Sterbens und Erlöstwerdens des reichen Mannes, der „Jedermann“ heißt, sowie des „Salzburger Großen Welttheaters“ (1922), Hofmannsthals Beitrag zu einer Konservativen Revolution nach 1918, lässt sich mit Hilfe der hier grassierenden Weihespielkultur der Kulturkampf der Zwischenkriegszeit gut illustrieren.

Exemplarisch seien nur zwei Momentaufnahmen gemacht: Heute vergessen, war das Salzburg der Zwischenkriegszeit nicht nur der Ort der Festspiele Hugo von Hofmannsthals und Max Reinhardts, die mit ihren „Amalgamierungsversuchen“ eines „außerordentlichen Wirrwarrs inkohärenter Individuen und Denkarten zu einem Publikum“,[2881] wie Hofmannsthal sagte, sogar bei sozialistischen Gemeinschafts-Theoretikern wie Ernst Fischer Beachtung fanden,[2882] sondern zugleich seit den zwanziger Jahren der Ort für deutsch-völkische Festspiele. Träger dieser Aktivitäten war u. a. der Deutsche Turnerbund,[2883] der vor 1934 im 1925 neu eröffneten Salzburger Festspielhaus deutsch völkische Festspiele veranstaltete, die vom Bürgermeister der Stadt Salzburg eröffnet wurden und an denen sogar Musikgruppen aus dem sozialdemokratischen Lager teilnahmen. Aufgeführt wurde das Spiel „Das ganze Deutschland soll es sein!“ von Robert Mimra.

„[...] Herr, mach uns frei!
Geleit uns heim, zu unseren Brüdern,
Stille die Sehnsucht des deutschen Österreich,
Laß uns marschieren [...]
Heim! Ins große Dritte Deutsche Reich!“ (1931)[2884]

Schließlich stand Salzburg nach der Annexion 1938 fast zwei Jahre lang im Zeichen spektakulärer kulturpolitischer Großveranstaltungen, für die z. T. der schon erwähnte Karl Springenschmid verantwortlich war, so z. B. für die einzige Bücherverbrennung in der neuen Ostmark auf dem Salzburger Residenzplatz am 30. April 1938 sowie für die Abfassung des 1938 und 1939 inszenierten „Lamprechtshausener Weihespiels“[2885] auf einer extra dafür errichteten, nach dem Vorbild der NS-Thingspiel-Arenen[2886] geschaffenen Freilichtbühne in dem Dorf Lamprechtshausen bei Salzburg. Das Leben und Sterben des deutschen Jedermann, das Weihespiel vom Sterben des kleinen und armen Mannes,[2887] das zugleich das Sterben des kleinen Mannes einübte, sollte – getragen von einer neu gegründeten Festspielgemeinde – zu einer festen Einrichtung im NS-Feierjahr gemacht werden. Dem aber machte der Zweite Weltkrieg einen Strich durch die Rechnung.

Springenschmid verarbeitete in seinem Weihespiel Lamprechtshausener Vorkommnisse während des NS-Putsches im Juli 1934 – Dollfuß wurde damals in Wien ermordet –, bei dem einige Putschisten ums Leben kamen oder danach ins ständestaatliche Gefängnis wanderten, aus dem sie – entgegen den Behauptungen im Spiel – aber schon 1936 im Zuge der neuen „Befriedungspolitik“ Schuschniggs wieder entlassen wurden.[2888]

Springenschmid will, wie er sagt, „den Kampf und Sieg dieses Dorfes in die Herzen [des Volkes] brennen.“[2889] Die ihm zur Verfügung stehenden ästhetischen Mittel aus dem Reservoir biblisch-religiösen Sprechens, expressionistisch klingender Typisierung und altdeutscher Rhythmisierung nützt er für die Vermittlung des Hitler-Mythos, einer rassistisch begründeten Geschichtsmystik und für die Heiligung der Opferbereitschaft in einem dicht vernetzten Bedeutungsgewebe.

Springenschmids Spiel reaktiviert die im Deutschen Reich schon Mitte der dreißiger Jahre abgeklungene Thingspiel-Mode, um die „Heimkehr ins Reich“ Hitlers als geschichtsendgültige und naturnotwendige Befreiung aus dem Kerker des volksfeindlichen Judenstaates Österreich, des verbrecherischen Kruckenkreuz-Staates, zu feiern. Volksrecht bricht Staatsrecht.

Das Weihespiel Springenschmids ist ein auf allen makro- und mikrostrukturellen Ebenen ausgetüfteltes Konstrukt. Springenschmid bedient sich einerseits einer dualen Struktur, indem er in zwei Teilen, die jeweils aus sechs gleichmäßig gebauten Szenen bestehen, zuerst Aufstand und vorläufige Niederlage der Hitler-Bewegung Österreichs thematisiert und sodann den naturgemäßen Sieg des Glaubens an Hitler, an das deutsche Volk und das Deutsche Reich darstellt. Dabei aktualisiert Springenschmid geschickt die Sehnsüchte nach dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die formale Zweigliedrigkeit trägt zugleich den dargestellten Prozess – von der Spaltung zur Einheit.

Zugleich verwendet Springenschmid eine dreiteilige thingspielgemäße Struktur, die nicht nur in der dreifach gestuften Bühne – private Bauernstube, öffentlicher Raum und Standgerichtsbezirk – fassbar ist, sondern insbesondere der jeweils dreimaligen Namensverkündigung der sechs gefallenen NS-Märtyrer dient, eine klare, ins Positive gewendete Transformation der biblischen Hahnenschreie, die bei Springenschmid Schwankende, Verzweifelte oder politische Feinde jeglicher Herkunft, Ständestaatler, „Bolschewiken“ ebenso wie SA-Männer, wie durch ein Wunder in einer augenblicklichen Metanoia zu Hitler bekehren. Die biblisch-religiösen Bezüge werden in vielfacher Hinsicht ausgeschlachtet: Springenschmid hatte ja ein katholisches Publikum vor sich. Gebete und Gebetsformeln, Bibelzitate und vertraute liturgische Formeln werden eingesetzt. Der Gemeindegesang in Form von Chorälen und Liedern diente der Einübung der nazistischen Volksgemeinschaft. Auch ehemals sozialistische Lieder wurden umgebogen. Hitler erscheint als arischer Heiland: „Der Führer ist unter uns“, heißt es abschließend, oder „auferstanden sind deine Toten“, sagt der mythische Urbauer am Ende, der durch die Weihehandlung geführt hat. Im Standgerichtsprozess gegen die NS-Putschisten wird der Prozess Jesu aktualisiert. Die NS- Märtyrer bekommen erst als Tote ihre individuellen Namen. Kulturell Vertrautes wird angesprochen: Die Bauersfrau erscheint plötzlich als Pieta, ihren toten Sohn und NS-Putschisten bergend. Wenn auf dem Kirchweihfest unter der Aufpeitschung durch den „jüdischen Händler“ getanzt wird, dann ist das ein Totentanz.

Im gesamten Bedeutungsgeschehen steuert alles auf Hitler als arischen Heiland zu. In ihm werden alle positiven Bedeutungen gebündelt. Alle außer dem Juden sind wandlungsfähig – für den Glauben an Hitler. Bei Springenschmid ist es der Urbauer, der NS-Apostel, der die Vermittlungsfigur darstellt: „mit breit gegrätschten Beinen“ steht er da, „mühsam in der Sprache des Dorfes“ sprechend, eine mythische Erscheinung „mitten im Volk“ und zugleich der Nachbar von nebenan. Bei Henz vermittelte der Heilige Michael, der „alte deutsche Kriegersmann“, oder der gesichtslose Chronist die Henzsche Wahrheit. Der ewige Bauer spricht immer offener die NS-Wahrheit aus:

„Der Judas geht um und tut sein Handel
verlogen und falsch ist aller Handel
[...]
Sechs Männer gehn dem Dorf voran,
Ihr Tod hat das Leben aufgetan,
Ihr Opfer kündet das große Reich,
Ihr Namen ist Feldruf und Fahne zugleich.
Fasset Schritt,
Die Toten schreiten mit!“ (S. 38f)

Springenschmid denunziert den Dollfuß- und Schuschnigg-Staat, indem er den Juden auf die Kruckenkreuzfahne schwören lässt und damit den Ständestaat als Judenverschwörung darstellt. Das Auseinanderbrechen der Kerkermauern in der letzten Szene ist deswegen ein theatralisch eindrucksvoller Vorgang, weil er von zwei Hauptbedeutungen getragen wird, die im Verlaufe des gesamten Spiels vorbereitet werden, nämlich der mystizistischen Dimension des Auferstehens und der rassenmystischen Dimension, dass die Wirkkräfte des „Blutes“ gesprochen hätten.

Nicht zuletzt sei auf die wirkkräftige Anlage der Naturbühne nahe dem Dorf verwiesen. Die Volkgenossen saßen, standen und sangen in einer Naturmulde, umrahmt von einem Buchenwald, inmitten von Fackeln und blickten auf ihr Dorf, mit dem Kirchturm in der Mitte. Die Anlage war für 5000 Teilnehmer gedacht. Aber zugleich vergaß man auf die Wirkungen der Technik nicht: „zwei Beleuchtungstürme erfüllen die Aufgabe einer Farbenorgel“, hieß es, eine Mikrophon- und Lautsprecheranlage wurde installiert. Glockengeläute von der nahen katholischen Kirche und Musik aus dem Orchesterraum rundeten die Inszenierung ab.[2890]

Im „Lamprechtshausener Weihespiel“ diente der Hitler-Mythos als Mittel, das Hoffnungen, Begeisterung, Dankbarkeit und Opferbereitschaft wach halten sollte. Einige Wochen nach der letzten Aufführung begann der Krieg, der das Spiel vom Sterben des kleinen Mannes massenhaft in bitterste Realität verwandelte.

9.17.5. Aspektorientierte Schlussüberlegungen

  1. Die Feier-, Fest- und Weihespielbewegungen der Nachkriegszeit sind die verdichtetsten ideologischen Antworten auf das Auseinanderbrechen der im Nachhinein als „goldenes Zeitalter der Sicherheit“ (Stefan Zweig) deklarierten Epoche und des fortschreitenden Säkularisierungsprozesses. Robert Musil hatte in dem Essay „Das hilflose Europa“ schon 1922 seine Analyse der in jeder Hinsicht gespaltenen Befindlichkeit der Nachkriegszeit geliefert: Das Leben sei jetzt „ohne Ordnungsbegriffe“, die „Tatsachen des Lebens überdeck[t]en uns ungeordnet“. Die Auseinandersetzungen zwischen einem „ungegründeten Vernunft- und Fortschrittsglauben“ und den „bekannten Fetische[n] der Epoche, der Nation, der Rasse, des Katholizismus, des Intuitionsmenschen, welchen allen gemeinsam ist eine sentimentale Nörgelei am Verstand und positiv das Bedürfnis nach einem Halt“, seien auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen. Musil sprach von einem „babylonischen Narrenhaus“, aus dessen „tausend Fenstern [...] tausend verschiedene Stimmen, Gedanken, Musiken gleichzeitig auf den Wanderer“ einschreien würden.[2891] Die Feier-, Fest- und Weihespielbewegungen der Nachkriegszeit wollen der nicht-einheitlichen und entgötterten Welt eine in jedem Sinne neue Einheit entgegensetzen, dadurch seelischen Halt stiften sowie eindeutige geistige Orientierung und spirituelle Sinngebung bieten. Sie versprechen einen festen Platz und Sinn in einem fest gefügten Ganzen, ein neues Glück der Entgrenzung in den sakralisierten Volksgemeinschaften und stellen dafür ihre festen Sprach- und Denkformeln sowie Rituale zur Verfügung. Die Fest- und Weihespielbewegungen waren Zusammenschweiß-Instrumente mit absolutem Wahrheitsanspruch. Sie können allesamt unter dem Begriff der „Konservativen Revolution“ subsumiert werde. „Liberales Herrentum auf der einen Seite und marxistischer Sozialismus auf der anderen haben dazu geführt, Volk und Kultur, ähnlich, wie es auf dem Gebiete des Materiellen geschehen war, immer mehr zu entfremden“,[2892] schrieb Guido Zernatto für die Zeitschrift „Neues Leben“ im Februar 1938. Gerade deswegen waren die Fest- und Weihespielkulturen meist eng mit den Laienspielbewegungen verbunden.

  2. So als ob es keine Renaissance, Aufklärung oder die künstlerische Moderne je gegeben hätte, sind die ästhetischen Produkte der Fest- und Weihespielbewegungen antimoderne Gebäude, die jedoch mit dem Anspruch auftreten, modern und revolutionierend zu sein. Ihre ästhetischen Formen spiegeln die zu vermittelnde Einheit und Geschlossenheit wieder. Ironie, Satire, Fragment sind des Teufels. Die Erkenntnisinstrumentarien sind mythisch und romantizistisch- irrational. Geschichtsmetaphysik, ob idealistisch oder biologistisch gedacht, ist eine konstitutive Komponente. Das Individuum wird vom „Ruf des Blutes“ oder/und von der „Stimme des Herrn“, wie es in Franz Josef Zehetner rumort, determiniert.

  3. Die patriotischen und nazistischen Fest- und Weihespiele sind zugleich Zurichtungsinstrumente des Körpers. Einheitlichkeit der Bewegung – in Massenformationen –, der Gleichschritt in Reih' und Glied sollen Ausdruck des einheitlichen Geistes und des einheitlichen Fühlens der Massen sein. Es ging um die Thematisierung von Sprache, Geist und Körper. Es handelte sich um „eine neue anthropologische Dimension von ‚Feier‘“, nämlich um die Vollziehung der „institutionalisierten Auslöschung, sogar tätig betriebene Selbstauslöschung des Individuums zugunsten seiner Teilhabe an einem ‚objektiven‘ Geist. [...] Aufgrund [der] archaisierenden Verknüpfung von Körper und Sprache sollen Feste und Feiern ‚nicht rationalen Zwecken‘ dienen, sondern ‚reine Bewegung, höheres Spiel, Ausdruck überpersönlicher Verbundenheit, im tiefsten Grunde metaphysischer Akt‘ sein“.[2893]

  4. Viele Weihespiele erinnern immer wieder an eine als angeblich gemeinsam und einheitlich erfahrene Vergangenheit und konstruieren so Vergangenheit. Es soll sich eine homogene „Erinnerungsgemeinschaft“ bilden.[2894] Weihespiele wollen kollektive Identitäten herstellen, befördern und bestimmen, was der Erinnerung wert ist und was vergessen werden kann.

Bei den Wiener Festwochen des Jahres 1980 hielt Friedrich Heer im Rahmen einer Ringvorlesung einen Vortrag zum Thema „Kultur und Politik in der Ersten Republik“. Heer sprach u. a. über die Problematik der damals „neben- und gegeneinander lebenden Ghetto-Kulturen“ und lernte auf seine Weise aus der österreichischen Geschichte. Er sagte nämlich: „Die Problematik der neben- und gegeneinander lebenden Ghetto-Kulturen in Wien, in der ganzen Ersten Republik – eine Problematik, die sich in formal und mental neuen Formen heute wieder stellt, macht auf das riesenhafte Problem aufmerksam, das sich heute in allen Staaten dieser Erde zeigt: ihre Bürger sind nur kalendarisch Zeitgenossen, sie sind mental, psychisch, geistig Nicht-Zeitgenossen, die in verschiedenen Epochen leben, sich also schwer ‚verstehen‘, ‚sprechen‘ können.“[2895]

Ja, auch Franz Josef Zehetner ist einer von diesen kalendarischen Zeitgenossen. Apropos „Verspielte Zeit“. Soyfers Analysefähigkeit, Menschenliebe und Utopie wären Angebote gewesen, die verspielt wurden. Professor Gucks Bilanz in „Der Weltuntergang“ lautete zugespitzt und traurig:

„Falsch ist falsch und wahr ist wahr,
Spricht der Narr. [...]
Wahr ist falsch und falsch ist wahr:
Merk dir's Narr!“ (S. 599)



[2827] Erstveröffentlicht unter: [MüllerK 1997].

[2828] [Soyfer 1980], S. 520. Das Stück ist voll von zeitgenössischen Detail-Anspielungen auf Personen und Vorkommnisse, z. B. auf Robert Klein- Lörk und Aenne Kagan, zwei Mitglieder des ABC-Ensembles, auf den Überfall Mussolinis auf Abessinien, auf das Symbol der Heimwehren, den Hahnenschwanz, auf die heftigen Auseinandersetzungen in der Regierung zwischen Heimwehrleuten und Schuschnigg über den richtigen vaterländischen Kurs, auf den jüdischen Fußballklub Hakoah oder auf Walter Adam, den damaligen Propagandaleiter der Bundesregierung. Darüber hinaus leistet die kleine satirische Szene eine erhellende Auseinandersetzung mit Ideologemen und zentralen Erscheinungsweisen des ständestaatlichen Regimes, z. B. mit der Österreich-Ideologie und dem Koplex Zensur und „Vereinheitlichung“ des Kulturlebens.

[2829] Auch Soyfers „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“, „Vineta“ und die Texte zur Revue „Wir klagen an“ wurden beschlagnahmt.

[2833] [Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik 1981], S. 90. Dazu auch: [Pfoser 1982]. Zum Bereich der sozialistischen Sprechchor-Bewegung und zum politischen Kabarett in Österreich: [Magschok 1983].

[2838] Vgl. [Springenschmid 1930]. (Salzburger Landesarchiv, Volksbildungsreferat, Karton 6).

[2839] [Vondung 1971], S. 239ff.

[2840] [Reichsamtsleitung des NS-Lehrerbundes 1936]. Insgesamt werden für die Jahresring Festgestaltung sowie für die Gestaltung von Nationalen Feiern (geordnet nach ca. 25, z. T. heterogenen Kategorien) ca. 500 (Fest )Spiele und Weihetexte anderer Gattung angeboten und kurz vorgestellt. Unter den Autoren scheinen auch „Ostmärker“ auf: Mirko Jelusich, Max Mell, Georg Rendl (!) und Karl Springenschmid. Auffallend ist, dass sich die NS Lehrerschaft auch nicht scheute, Beiträge aus dem Bereich des christlich katholischen Volkstums und Volksgemeinschaftsgedankens aufzunehmen. Im Geleitwort der Publikation heißt es aber unmissverständlich: „Ein neues Volk hat Adolf Hitler geschaffen. Ein neues Volk ist wieder zu den Quellen seines ewigen Wesens vorgestoßen. [...] Höhepunkte im Leben eines Volkes sind seine Feiern, seine kleinen und großen Feste, in denen das Werk des Alltags geheiligt und überstrahlt wird vom Glanze tiefen Erlebens. Denn in ihnen erlebt das Volk sich selbst. [...] Das Laienspiel, der Sprechchor [...] sind Ausdrucks und Erlebnismöglichkeiten gemeinsamer Feiergestaltung als Erlebnis des alle bindenden, alle tragenden Seins des gleichen Blutes, der gleichen Freude, des gleichen Leides, des gleichen Zieles.“

[2846] [Henz 1936].

[2847] [Henz 1936], S. 486. Ähnliches schrieb Guido Zernatto, der Generalsekretär der V. F. und ab Oktober 1937 als Nachfolger von Rudolf Henz Bundeskulturleiter des VF Werkes „Neues Leben“, in der seit Dezember 1937 vom „Neuen Leben“ herausgegebenen Zeitschrift: „Liberales Herrentum auf der einen Seite und marxistischer Sozialismus auf der anderen haben dazu geführt, Volk und Kultur [...] immer mehr zu entfremden. [...] Es gibt keine ‚Kunst für die Kunst’ und es gibt keine Klassenkultur und Klassenkunst. Sie ist da für das ganze Volk, zur inneren Bereicherung und zu edlem Genuß.“ ([Zernatto 1938]).

[2848] Dieses Festspiel wurde 1932 im Rahmen der Bundestagung des Reichsbundes der katholischen deutschen Jugend Österreichs in Eisenstadt zum ersten Mal aufgeführt (vgl. Festführer. Bundestagung des Reichsbundes der katholischen deutschen Jugend Österreichs. Pfingsten 12.–16. Mai 1932). – Das gereimte Motto „Mitten in betörter Zeit ...“ zu dieser Veranstaltung stammte von Rudolf Henz: „Schirmen wir die deutsche Mark,/Daß sie nicht verzage./Binden, was vor uns entzweit. [...]/Wer nicht Ganzheit spürt im Blut,/Wird uns nie begreifen.“ – In seiner Autobiographie „Fügung und Widerstand“ (1963/1981) behauptete Henz wahrheitswidrig, sein einziges politisches Lied sei das sogenannte „Dollfußlied“ gewesen. Er habe es deswegen nicht in seine Sammlung „Festliche Dichtung“ aufgenommen, um in weiser Voraussicht sein und des Komponisten Dostal gemeinsames Synonym nicht lüften zu müssen. Letztlich hätte diese Tat im Jahre 1938 sogar das Leben des Komponisten Hermann Leopoldi gerettet, dem von den Nationalsozialisten die Autorschaft am „Dollfußlied“ unterstellt worden war – Henz, der „Widerständler“. (vgl. [Henz 1981], S. 180ff.)

[2849] Vgl. [SchubertR 1978], S. 106, 115, 118f., 145,152, 159, 296f., 306f. Adalbert Depiny war bis 1938 Bundesstaatlicher Volksbildungsreferent in Oberösterreich, zwischen 1934 und 1936 Landeskulturreferent und ab 1936 Landessachwalter des VF Werkes „Neues Leben“ in Oberösterreich.

[2851] [Blätter für neues Festefeiern] (z. B. Nr. 3: Heinzl, Friedrich /Reimitz, Heinrich: Vaterland, ein turnerisches Weihespiel, Nr. 4: Otto Steinegger: Südtiroler Weihespiel, Nr. 6: Sprechchöre für Turnfeste und Feiern, Nr. 13: Heinrich Reimitz: Behelfe für Festefeiern, Nr. 15: Behelfe für Weihnachtsfeiern und Turnfeste, Nr. 16: Österreich!, Nr. 17: Für Fest und Feier. Vaterländische Sprechchöre und Lieder).

[2852] [Blätter für neues Festefeiern] (z. B. Reimitz, Heinrich: Weihnacht des Vaterlandes, Adolf Wimmer: Unter Österreichs Fahnen).

[2853] [Schriften für den Volksbildner] (z. B. Nr. 29: Franz Vogl: Weihnachtsfestkreis). Franz Vogl scheint während der NS-Zeit als Gau-Hauptstellenleiter der Hauptstelle „Weltanschauliche Feierstunden und Lebensfeiern“ auf, die eine Schriftenreihe in Mappenform herausgab: I. Die Gestaltung der Lebenszeitlichen Feiern, II. Geburtstagsfeier, III. Hochzeitsfeier, IV. Totenfeier.

[2855] Nüchtern, Hans (1896–1962) war außerdem Lyriker, Romancier und Regisseur bei der „Länderbühne“ des „Neuen Lebens“, zwischen 1924 und 1938 sowie ab 1946 literarischer Direktor der RAVAG.

[2857] Zum Thema der ständestaatlichen Versuche, im Konkurrenzkampf gegen den reichsdeutschen Faschismus eine österreichische Identität zu entwickeln: vgl. [Staudinger 1978]; – Zuletzt zum selben Thema, aber unter Einbeziehung der aktuellen, im Österreich der neunziger Jahre geführten Debatten um ein von Hammer und Sichel „gereinigtes“, angeblich neues Bundeswappen – schon die Dollfuß-Regierung hatte diese republikanischen Symbole entfernt – vgl. [Sonnleitner 1992], S. 5f.

[2859] Zu den Debatten um Max Stebich wegen dieses Festspiels von 1937 in der NSDAP ab 1938 vgl. AVA Bürckel Akten (Reichskommissar, Personen) sowie Akten des BDC, Berlin. Vgl. auch die Darstellung von [RennerG 1986].

[2860] Z.B. „Österreichische Fanfare“ von Karl Pauspertl-Drachenthal, „Österreichisches Weihelied“ von K. Schmetterer.

[2862] Vgl. Stebich, Max: An das Hohe Gaugericht der N.S.D.A.P. in Wien (ohne Datum, wahrscheinlich 1940)/AVA-Bürckel-Akten (Reichskommissar, Personen).

[2870] Nach dem Ersten Weltkrieg, während dem auch die katholische Kirche den Monarchien die Waffen und die Kriegsfahnen gesegnet hatte – Karl Kraus' „Die letzten Tage der Menschheit“ sind die satirische Abrechnung damit –, propagierte „Quas primas“ nicht nur den unmittelbaren, autoritären und totalen weltlichen Herrschaftsanspruch von Jesus Christus bzw. der katholischen Kirche, sondern zugleich die Aufhebung der für die Demokratie konstitutiven Gewaltentrennung zwischen Legislative, Jurisprudenz und Exekutive.

[2871] [Henz 1935c], S. 46ff.

[2872] Vgl. Reichspost vom 3. 9. 1933, 6. 9. 1933, 8. 9. 1933 und 10. 9. 1933.

[2873] [Henz 1981], S. 170, S. 164.

[2874] Schon 1929 wurde Henz in seiner Funktion als Referent des „Volksbundes der Katholiken Österreichs“ Mitglied des Programmbeirates der RAVAG, 1931 zum Leiter/Direktor der Wissenschaftlichen Abteilung der RAVAG berufen (Zu Henzens Position als Radiomann vgl.: [Venus 1986]). 1934 wird Henz Mitglied des Bundeskulturrates und bis 1938 mehrfach ausgezeichnet: Ritterkreuz des Österreichischen Verdienstordens, Ehrenzeichen pro Ecclesia et Pontifice, Ehrenkreuz I. Klasse für Kunst und Wissenschaft. Der biographische Abriss in der 1977 zu seinem 80. Geburtstag veröffentlichten Festschrift über die Zeit der NS Herrschaft lautet: „Besetzung Österreichs durch Adolf Hitler. Nach § 4 (aus politischen Gründen) wird der leidenschaftliche Kämpfer für Österreich fristlos und ohne Pension von der RAVAG entlassen. Militärische Dienstleistung vor dem Krieg (Mai bis Juni 1939) als Oberleutnant des Stabes der VI. Armee; Schriftsteller. Versicherungsagent, dann Vertreter der Tiroler Glasmalerei und Mosaikanstalt; als solcher Mitarbeiter des Denkmalsamtes, Restaurator alter Scheiben (Klosterneuburg, Laxenburg) und Leiter der Bergungsstelle alter Scheiben. Publiziert fünf Romane bei den beiden einzigen katholischen Verlagen ‚Alber‘ (Zweigverlag von Herder) in München und der ‚Buchgemeinde Bonn‘“ ([Suchy 1977], S. 5.). Rudolf Henz wurde in die RSK aufgenommen. (vgl. Schriftsteller Verzeichnis. Hrsg. von der Reichsschrifttumskammer. Berlin 1942, S. 83.) Am 20. 12. 1938 schrieb er in einem Brief an den Hauptamtsleiter Claus Selzner: „Erst im Vorjahre erhielt ich für meine Teilnahme an der olympischen Jury für Dichtkunst mit Dekret des Führers das olympische Ehrenzeichen II. Klasse.“ (Brief von Dr. Rudolf Henz an Herrn Hauptamtsleiter Claus Selzner vom 20.Dezember 1938, BDC, Henz – Im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes Nr. 16.353 – Claus Selzner (* 1899): Stellvertretender Leiter der NSBO, Organisationsleiter der Deutschen Arbeitsfront, SA Führer und Mitglied des Reichstags.) Er habe mit seiner Unterschrift sein „rückhaltloses Eintreten“ für den NS Staat besiegelt: „Als Militärakademiker und gut ausgezeichneter Frontkämpfer werde ich meine Pflicht als deutscher Offizier jederzeit erfüllen. Einen stärkeren Einsatz als das Leben des Soldaten aber kenne ich nicht. [...] Entweder kann ich mich für den Staat einsetzen oder nicht, ein Deuteln gibt es in dieser Frage nicht. [...] Ich möchte auch nicht als ein Ausgestoßener in diesem Reiche leben, schon als deutscher Schriftsteller und Soldat nicht.“ (BDC, Henz. In diesem Akt auch kritische und neutrale Stellungnahmen zu Henz von der NSDAP Gauleitung Niederdonau, vom Kreispersonalamt der Gauleitung Wien, der Reichsschrifttumskammer [M. Stebich] und diversen Funktionsträgern.)

[2876] Vgl. [Hackl 1988], S. 67–81.

[2879] Zu Henzens katholischen Reichvorstellungen vgl. „950 Jahre Österreich. Feierspruch“, „In uns lebt noch das Reich ...“

[2882] Vgl. [Pfoser 1982], S. 70f.

[2883] Der Deutsche Turnerbund hatte im Jahre 1931 116.064 Mitglieder. Im Vergleich dazu: die Christlich deutschen Turner Österreichs hatten 1929: 28.000, 1930: 38.000 und 1931: 44.000 Mitglieder. Zu den „nationalen“ und katholischen Organisationen der Zwischenkriegszeit vgl.: [Wache 1933]; [Hudal 1931]; [Katholische Almanach].

[2886] Zur NS Thingspiel Bewegung vgl.: [Eichberg 1977]; [Stommer 1980]. Nicht minder spektakulär war die Ausstellung „Entartete Kunst“, die nach München, Berlin, Leipzig und Düsseldorf auch im NS Salzburg gezeigt wurde. Salzburg frohlockte, die fünfte „deutsche“ Stadt und die erste der „Ostmark“ zu sein, die diese Ausstellung beherbergen durfte. Auch bei dieser Prangerschau bewies sich der Sinn der Nationalsozialisten für volkstümliche Effekthascherei. Über den Objekten (George Grosz' Kapitalisten; Emil Noldes Altarbild mit dem Gekreuzigten; das Manifest für den Achtstundentag [Albert Birkle und andere Unterzeichner] prunkten Hetzparolen und „Führerworte zur echten Kunst – groß und geschmackvoll aufgemacht“. Die Resonanz übertraf alle Erwartungen: In vier Wochen sahen ca. 40.000 Menschen die Ausstellung (vgl. [Kerschbaumer/Müller 1989], S. 44ff.).

[2887] Vgl. [Kerschbaumer 1988], S. 136ff.

[2893] [Hopster/Nassen 1983], S. 50, S. 53. Hopster und Nassen zitieren Belstler und Stolz aus dem Jahr 1932.

[2894] Vgl. [StockerG 1996], S. 63.

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