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„Schädlicher Bettel“ – „würdige Versorgung“ (Sabine Veits-Falk)

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Armutsursachen im 18. und 19. Jahrhundert

Armut konnte (und kann) viele Ursachen haben: individuelle (z. B. Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall), strukturelle (z. B. lebenslängliche Ehelosigkeit aufgrund von Heiratsverboten) und konjunkturelle (z. B. Hungersnöte und Naturkatastrophen). Für viele Frauen und Männer der unteren und kleinbürgerlichen Schichten, die weder eine eigene Familie hatten, die sie im Notfall unterstützte, noch Vermögen besaßen, bedeutete das Nachlassen der körperlichen Kräfte im Alter oder bei Krankheit den nahezu unvermeidlichen Weg in die Armut. Armut war auch ein Problem von unterschiedlichen Lebensphasen und hatte ein geschlechtsspezifisches Merkmal, von dem Frauen stärker betroffen waren als Männer. Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen in Salzburg seit der Säkularisation des Erzstifts 1803 bereiteten den Menschen große Anpassungsschwierigkeiten, die erst ab den 1860er-Jahren überwunden werden konnten und zusätzlich zu Arbeitslosigkeit und Verarmung führten.

Die Natur konnte über ganze Siedlungen und Landstriche Armut bringen. Von den großen europäischen Hungerkatastrophen der Jahre 1770/72, 1816/18 sowie 1847/48 waren auch die Menschen in Salzburg stark betroffen. Krankheiten, eine höhere Seuchenanfälligkeit sowie die Zunahme von Fehlgeburten und Sterblichkeit waren die Folge. Daneben konnten Brände von einem Tag auf den anderen eine relativ sichere Lebensgrundlage vernichten, wie z. B. 1811 in Saalfelden oder 1818 in der Stadt Salzburg. Hochwasser bedrohte bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ständig die an den zahlreichen Gebirgsbächen und an der Salzach gelegene Kultur- und Naturlandschaft. Fatal konnte sich vor allem für die Angehörigen der Unterschicht das Zusammenspiel verschiedener Armutsursachen auswirken.

Reaktionen auf Armut: Unterstützung oder Strafe

Auch in Salzburg war der Umgang mit Armut im 18. und 19. Jahrhundert durch die traditionelle Ambivalenz zwischen Unterstützung und Repression geprägt. 1754 erließ Erzbischof Sigmund Schrattenbach eine Almosenordnung, welche den Umgang mit einheimischen „würdigen“ Armen und fremden „unwürdigen“ Bettlern erneut regelte. Im gleichen Jahr wurde im ehemaligen Pestlazarett St. Rochus (heute Gelände der Stieglbrauerei) eine Korrektionsanstalt für 35 „Züchtlinge“ errichtet, nach dem Motto der warnenden Inschrift über dem Tor: „Abstine aut sustine (Meid’ oder leid’)“.

Auf dem Land war die Armenfürsorge großteils durch das Einlagewesen geregelt, worunter man das Quartierwechseln armer, meist alter Menschen für unterschiedlich lange Zeit verstand. Bei den einzelnen Höfen erhielten die Einleger Unterkunft und Verpflegung gegen leichte Arbeiten, sofern sie dazu imstande waren. Die zeitliche Dauer richtete sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Hofes. Das konnte nur ein einziger Tag oder konnten auch mehrere Wochen sein. Arme Kinder, vor allem Kinder lediger Mütter, wurden meist gegen ein „Zuchtgeld“ bei Pflegefamilien „angestiftet“, d. h. aufgenommen.

Spitäler – Bruderhäuser – Armen- und Versorgungshäuser

Eine wichtige, jedoch von ihrer Aufnahmekapazität her betrachtet eingeschränkte Funktion, kam den Einrichtungen der geschlossenen Armenfürsorge zu. 1868 wurden beispielsweise im gesamten Land Salzburg rund 3,4 Prozent der Bevölkerung durch offene Fürsorge und nur rund 0,6 Prozent der Bevölkerung in insgesamt 37 Versorgungshäusern betreut.

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hielten diese Einrichtungen zu einem überwiegenden Teil noch die Tradition der Multifunktionalität der alten, zum Teil im Hoch- und Spätmittelalter gegründeten Hospitäler aufrecht. So fanden ursprünglich neben alten, arbeitsunfähigen und kranken Frauen und Männern, Menschen mit Behinderungen und Waisenkindern auch Fremde (Reisende, Vagierende, Pilger, Wallfahrer) für unterschiedlich lange Zeit Aufnahme. Daneben bestand auch für Vermögende die Möglichkeit, sich „einzukaufen“, um sich einen Platz im Alter zu sichern. Die Situation der Anstalten der geschlossenen Armenfürsorge in der Stadt Salzburg war bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts festgefahren: weder in eine Verbesserung der Räumlichkeiten noch der Lebensbedingungen in den Häusern wurde investiert.

Die Stadt ergriff erst Ende des 19. Jahrhunderts mit einem großzügigen Neubau im äußeren Nonntal die Initiative. 1898 wurde das städtische Versorgungshaus eröffnet, im gleichen Jahr erfolgte auch die Eröffnung einer Landesblinden- und Taubstummenlehranstalt sowie einer Irrenanstalt in der Stadt.

Armenfürsorge im frühen 19. Jahrhundert

1799 rief der aufgeklärte Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo zur Eindämmung des Bettels und zur Regelung der Unterstützungen für die Armen eine Armenkommission in der Stadt Salzburg ins Leben, die als dauerhafte Einrichtung bis ins 20. Jahrhundert bestand.

Als erste Maßnahme wurde eine Armenkonskription (fragebogenähnliche Armenbeschreibung) in der Stadt Salzburg veranlasst, um die Unterstützungswürdigkeit der Bittstellerinnen und Bittsteller zu überprüfen. Wie in anderen Residenzstädten auch fällt dabei der hohe Frauenanteil mit 71 Prozent und die Dominanz der Ledigen auf. Aus dem Armenfonds wurden regelmäßige Unterstützungen, das „Wochenalmosen“, verteilt oder ein „Handalmosen“ in Form von Geld oder Naturalien (Lebensmittel, Brennholz, Kleidung, Medikamente etc.) gereicht.

Im frühen 19. Jahrhundert wurde auch das Armenwesen auf dem Land durch eine Verordnung neu geregelt. 1827 wurden Pfarrarmeninstitute verpflichtend eingeführt, die ebenfalls die Versorgung der einheimischen Armen und die Bekämpfung der vagierenden Bettler zum Ziel hatten. Die Pfarrarmeninstitute standen unter der Leitung des Pfarrseelsorgers, die Pfarrsprengel dienten als Einteilungmodus. Die wichtigsten Unterstützungsarten waren neben Geldspenden und der Vergabe von Naturalien die Einlage und die Unterbringung pflegebedürftiger Menschen in Armenhäusern, sofern solche bestanden.

Heimatrecht und Landes-Armengesetz 1874

Das provisorische Gemeindegesetz von 1849, die Reichsgemeindeordnung von 1862 und das Heimatgesetzvon 1863 übertrugen die Armenpflege endgültig in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Besonders folgenreich erwies sich das Heimatrecht von 1863. Im Verarmungsfall war nicht der ständige Wohnsitz die Basis für eine Anspruchsberechtigung für eine Unterstützung, sondern die „Zuständigkeit“ zu einer bestimmten Heimatgemeinde, meist die Geburtsgemeinde. Über die Aufnahme in den Heimatverband entschied die Gemeinde ohne Berufungsmöglichkeit der Bewerber. Viele Menschen konnten nun an ihrem Aufenthaltsort keine Unterstützung beziehen. 1896 sah sich der Staat schließlich gezwungen, das Gesetz von 1863 zu novellieren. Nach einem zehnjährigen, ununterbrochenen Aufenthalt in der Wohnsitzgemeinde konnte das Recht auf Unterstützung wieder (wie vor 1863) „ersessen“ werden. Das Heimatrecht blieb bis 1938 Grundlage der kommunalen Fürsorgepraxis.

Das Salzburger Landes-Armengesetzes von 1874 führte zu einer Rechtsvereinheitlichung und ordnete die Armenpflege der Gemeindeselbstverwaltung zu. Zugleich hatten damit die Gemeinden die finanzielle Hauptlast zu tragen. Das Gesetz hielt außerdem erstmals fest, dass die Kommunen nicht nur bei schon bestehender Armut eingreifen, sondern auch durch verschiedene Maßnahmen einer Verarmung vorbeugen sollten.

Staatliche Sozialversicherungen und kommunale Armenfürsorge

In den 1880er-Jahren erfolgte der so genannte „take-off des österreichischen Sozialstaats“. 1887 wurde die Unfallversicherung und ein Jahr später die Krankenversicherung als Pflichtversicherung eingeführt. Sozialversicherungen wollten nun ein Mindestmaß an Hilfe gegenüber den gängigen Risiken des Lebens (Folgen von Krankheit, Unfällen, Invalidität, Alter sowie in der Folge gegen Arbeitslosigkeit) gewähren. Die kommunale Armenpflege war hingegen für die Folgen der bereits eingetretenen Verarmung verantwortlich. Aufgrund der beschränkten staatlichen Leistungen blieb die Fürsorgetätigkeit von Gemeinden und Ländern die Grundlage für diejenigen, die in Armut leben mussten.

Außer einigen Novellierungen von Einzelbestimmungen des Salzburger Landes-Armengesetzes, blieb die Rechtslage bis zur Einführung des deutschen Reichsfürsorgerechts und der deutschen Gemeindeordnung durch die Nationalsozialisten 1938 unverändert. Damit wurde der enge Konnex zwischen Heimatrecht und Armenversorgung aufgelöst und die Gemeinde wurde aus einem Personenverband zur Aufenthaltsgemeinde. Nach der österreichischen Bundesverfassung von 1955 fällt das Armenwesen in die Zuständigkeit des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung. Das Land ist für die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung zuständig. Eine entscheidende Umgestaltung des Salzburger Fürsorgewesens erfolgte mit dem Salzburger Sozialhilfegesetz aus dem Jahr 1974, das die reichsdeutschen fürsorgerechtlichen Bestimmungen endgültig außer Kraft setzte. Die Rechtssprache hat inzwischen auch den Terminus „Armenfürsorge“ durch „Sozialhilfe“ ersetzt.

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