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„Heidi wohnt hier nicht mehr“ (Rosemarie Fuchshofer)[109]

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Von der Problematik der Peripherie

Viele strukturschwache Gebiete werden zu Entleerungsräumen. Naturräumliche Schönheiten und ländliche Idylle allein können fehlende Arbeitsplätze, Einkommensgefälle, fehlende Infrastruktur und mangelnde Konsummöglichkeiten nicht aufwiegen – Abwanderung prägt das Szenario. Dies ist aber kein Symptom der Gegenwart. Zu allen Zeiten gab es Abwanderungsströme vom Land in die Stadt. Doch früher waren es einzelne Personen, heute sind es ganze Generationen und soziale Gruppen.

Viele Jugendliche machen Matura und studieren. Nach Abschluss ihrer Berufsausbildung kehren sie jedoch nicht in die Dörfer zurück, in denen sie aufgewachsen sind. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen dem autochthonen (alteingesessenen) intellektuellen und kreativen Potential und der eingeschränkten Möglichkeit, Gelerntes und Erfahrenes für die Entwicklung der peripheren Grenzregionen einzusetzen. Ist es möglich, die Schere zwischen Lebensraum und Arbeitsfeld zu schließen? Können dann auch Hochgebildete in einer Region gehalten werden und ihr Wissen zum Bestehen der Gemeinwesen einsetzen? Welche Vorgaben muss eine Region leisten, was darf sie von den RückkehrerInnen erwarten?

Die Thematik der Studie „Heidi wohnt hier nicht mehr“ betrifft nicht nur den Lungau, sie betrifft Grenzregionen allgemein: das Mühl- und das Waldviertel, die Orte entlang des früheren „Eisernen Vorhangs“ und die Gebirgstäler, die jenseits der touristisch genutzten Gebiete liegen. Ähnliche Probleme ergeben sich aber auch in jenen Regionen, in denen die Industrie an Bedeutung verloren hat.

Bildungsangebote und Berufsaussichten

Im Schulbereich waren im Lungau in den letzten Jahren Bemühungen sichtbar, das Angebot an die aktuellen beruflichen Erfordernisse anzunähern. Die SchülerInnenzahlen im Lungau sind aber rückläufig, immer mehr Jugendliche nutzen höhere Bildungseinrichtungen außerhalb der Region.

Die Bildungslaufbahnen sind unterschiedlich: Während AbsolventInnen der HAK eher dazu neigen, gleich ins Berufsleben einzusteigen und dies in ihrer Herkunftsregion tun, neigen AHS-AbsolventInnen zu ausgedehnteren Bildungskarrieren, die eine Rückkehr unwahrscheinlich werden lassen. Je höher die Bildung ist, desto dauerhafter bleiben diese Hochgebildeten weg. Diese Grundannahme der Studie „Heidi wohnt hier nicht mehr“ kann bestätigt werden. Chancen für AkademikerInnen und andere Höhergebildete werden als gering erkannt, persönliche Arbeitsmöglichkeiten in der Region von den wenigsten gesehen. Der Hauptgrund für die Wanderungsströme des kreativen und innovativen Potentials sind mangelnde Arbeitsaussichten.

Die soziale und emotionale Bindung an die Region ist jedoch bei den meisten Abgewanderten sehr hoch. Ausgeprägt ist der „Heimwehfaktor“ bei denjenigen, die noch sehr jung sind und erst kürzlich die Region verlassen haben. Bei denjenigen, die einen Großteil ihres Erwachsenenalters außerhalb der Herkunftsregion verbracht haben, kommt so etwas wie ein „Heile-Welt-Faktor“ zum Tragen. „Binde-Mittel“ sind eine gewisse Stabilität, Verlässlichkeit und Unverrückbarkeit, die in der Kindheit in den Dörfern erlebt wurden. Auch Familie und das Gemeinschaftsleben gehören dazu.

Fehlende Arbeitsplätze – intellektuelle Vereinsamung – soziale Kontrolle

Fehlende Arbeitsplätze sind einer der Faktoren, warum viele nach Abschluss ihrer Berufsausbildung nicht mehr dauerhaft in ihrer ländlichen Herkunftsregion leben. Daneben gibt es eine Reihe von Aspekten, die ein Wiedereinfügen in die Gesellschaft erschweren:

Als Problem wird die „intellektuelle Vereinsamung“ empfunden. Darunter versteht man das ständige (oder sich periodisch wiederholende) Verlassenwerden der „DableiberInnen“ bzw. „HeimkehrerInnen“ von ihrem hoch mobilen Freundeskreis. Als private Einschränkung erlebt wird von vielen auch die „soziale Kontrolle“: die formale Einhaltung von Handlungsübereinkünften und die sichtbare Unterwerfung unter gesellschaftliche Normen.

Manche beschreiben die dörfliche Nähe als „Pseudo-Geborgenheit“. Kontakte und Bekanntschaften halten sich auf einer sehr oberflächlichen Ebene. Unangepasste Lebenskonzepte und ein Abweichen von der Norm werden von wenigen toleriert. Gerade bei der Gruppe der sozialen Aufsteiger wird „Erfolgsangst“ ausgelöst, da diese sich dem Neid der sozialen Umgebung besonders stark ausgesetzt fühlen.

Lösungsmöglichkeiten und Handlungsansätze

Damit sich ländliche Lebensräume und Regionen wie der Lungau nicht zu Reservaten entwickeln, ist die Gestaltung als Lebensraum notwendig. Der Lungau wird für die meisten hochgebildeten, hochmobilen LungauerInnen kaum mehr ständiger Wohnsitz sein. Durch die Verbundenheit mit der Herkunftsregion spielt der Lungau auch bei den „weichenden Kinder“ eine tragende Rolle. Insofern kann eine zumindest zeitweise Bindung an die Region ermöglicht werden. Es gilt, die Teilzeit-LungauerInnen als Bestandteil des Lungaus zu erkennen und ihre Kapazitäten zu nutzen.

Was den Arbeitsmarkt im Lungau anbelangt, werden noch viele Neuorientierungen notwendig sein. High-Tech-Firmen könnten zumindest ein Standbein im Lungau aufbauen. In der Land- und Forstwirtschaft liegen zukunftsweisende Konzepte vor. Im Bereich Tourismus liegen die Stärken in der optimalen Nutzung des Vorhandenen. Der regionale Kulturbetrieb kann zur Schaffung eines positiven Selbstbildes und zur Ausbildung einer regionalen Identität beitragen und zum Wirtschaftsfaktor werden.

Solche Handlungsansätze können aber keine Fertigbauteile, keine standardisierten Bausätze sein. Vor Ort und unter Einbeziehung der Betroffenen müssen eigenständige Modelle entwickelt werden. Aus (passiv) Betroffenen sollen – bei Gelingen – aktiv Handelnde werden.



[109] Kurzfassung von Ilona Holzbauer und Melanie Lanterdinger

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