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Bräuche und Landschaft (Ulrike Kammerhofer-Aggermann)

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Sinnstiftung über integrative Natur-Kultur-Konzepte

Unsere soziokulturelle Umwelt unterliegt ebenso wie die Bewertung und Betrachtung der natürlichen Umwelt den jeweils erlernten Natur-Kultur-Konzepten. Auch das gegenwärtige integrative Natur-Kultur-Modell[209] – es vernetzt Natur mit Naturbetrachtung und damit mit Kultur – ist jener historisch konstituierte und konkret sozialisierte Bezugsrahmen, durch den wir Natur wahrnehmen und bewerten.[210]

Natur-Kultur-Konzepte stellen nicht nur jene Brille dar, durch die wir unser gesamtes Umfeld wahrnehmen, gestalten und bewerten, sondern sie sind auch Grundlage unserer Kulturgestaltung und Sinnstiftung. Sie prägen nachhaltige Entwicklungen auf allen Sektoren des Lebensumfeldes im Traditions-, Gesellschafts- und Umweltverständnis von Menschen und Menschengruppen.

In diesem Bezugsrahmen entscheidet sich, was wir als „naturgegeben“ ansehen, ob und wie wir mit Natur umgehen, ob wir Landschafts- und Naturschutzbestimmungen oder Flächenwidmungspläne errichten, was wir als „Urlaubsregionen“ und „Ideallandschaften“ oder als „Wildpflanzen“ und „Unkraut“ bewerten.

Das Verhältnis von Kultur und Natur

Helge Gerndt hat das Verhältnis von Kultur und Natur beleuchtet und vier Modelle festgestellt, von denen die ersten beiden dualistisch und die weiteren integrativ sind. Viele dieser älteren Natur-Kultur-Modelle finden sich noch immer in unseren alltäglichen Bewertungen sowie in den Wissenschaftstheorien. Daher erscheint es sinnvoll, diese kritisch zu betrachten:[211]

  1. Kultur als Akzident (das zufällig Hervorgehende) der Natur: Kultur ist der „Überbau“, das „Aufgesetzte“, das die elementaren Lebensnotwendigkeiten übersteigt. Demnach erzeugt – als grundsätzlich negativ gewerteter menschlicher Eingriff – Modernisierung fortschreitend Verluste, die durch Kulturprodukte kompensiert werden.

  2. Kultur als Gegensatz der Natur: Kultur ist das vom Menschen Gemachte und somit schlecht; Natur ist das von der Natur bzw. von Gott Gegebene und somit gut.

  3. Kultur als Teil der Natur: Kultur ist evolutionistisch gesehen die Fortsetzung und Erweiterung von Natur. Daher ist Kultur auch mit naturwissenschaftlichen Methoden messbar; Kultur ergibt sich von selbst und muss / soll nicht vom Menschen gesteuert werden.

  4. Kultur als Hülle oder Brille der Natur: In diesem Modell ist Kultur alles das, was menschlich überformt und gedacht mit Bedeutung besetzt ist. Damit ist gleichzeitig auch unsere Ansicht über das, was Natur ist oder sein soll, Produkt unserer Kultur. Natur ist in diesem Sinne nur durch den Schleier oder die Brille der Kultur wahrnehmbar.

Die Kombination „Brauch und Landschaft“

Die Kombination „Brauch und Landschaft“ ist brisant, denn beide werden mit „Ursprünglichkeit“ und „Echtheit" bewertet, woraus sich dann aus ihrer Kombination die Bewertungen „urig“, „gemütlich“, „heimelig“ und „heimatlich“ ergeben.

Über Jahrhunderte enthielten beide Aspekte religiöse Konnotationen, über ein Jahrhundert lang haben wir erlernt, dass Bräuche an Regionen geknüpft seien. Aus diesem Grunde haben auch unterschiedliche Bewegungen erhaltend, stilisierend und bewertend in lebendige kulturelle Entwicklungen eingegriffen bzw. abgekommene Bräuche für neue Zwecke erweckt und instrumentalisiert.

Aus der Entstehungszeit der Volkskunde heraus waren diese Bräuche an stadtferne Landschaften, an vermeintlich heile Welten, an Naturmythologie und Rassismus – vielfach auch an „das Alpine“ geknüpft. Vieles ist mit der Zeit geradezu zu einer alpenländischen „Brauchtums-Industrie“ verkommen. In weiten Bevölkerungskreisen wurden Abneigungen gegen diese Genres entwickelt und die Suche nach einem Stil der Gegenwart und nach einer neuen „alpinen Authentizität“ in den 1980ern ausgelöst. An Ferienorte wurden in dieser Zeit neue Anforderungen („zweite“, „eigentliche“ Heimat, „Familienersatz“, das „wahre Leben“) gestellt. Als Garant zur Erfüllung dieser Wünsche wurde die Symbiose von Landschaft und Volkskultur angesehen.

Stereotypen und Klischees des Alpinen, des Ländlichen, des Urwüchsigen stellen reflektierte Bilder zeittypischer kultureller Entwicklungen dar und sind nicht absolut setzbar.



[209] Menschliche Eingriffe sind in diesem Modell nicht „grundsätzlich schlecht“, sondern zwingend vorgegeben, die Frage ist nur, nach welchen Grundhaltungen sie erfolgen und zu welchen Zielvorstellungen sie führen. Nationalpark, Alpen, Almbauer, Tourist und Themenpark schließen einander weder subjektiv noch objektiv völlig aus, sondern können sich – sensibel geplant – ergänzen und fördern.

[210] [Gerndt 1996]. – Siehe auch [Gerndt 2003].

[211] [Gerndt 1996], bes. S. 170.

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