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8.3. Ich hab' wunderbare Hilf erlangt. Das Wallfahrtswesen von der Barockzeit bis zur Gegenwart (Walter Pötzl) - Langtext

„Ich hab wunderbare Hilf erlangt.”[1151] Mit diesen oder ähnlichen Worten bekundeten Menschen auf Votivtafeln oder in Mirakelbüchern, dass ihnen in einer Gefahrensituation durch eine Wallfahrt auf wunderbare Weise geholfen wurde. Ähnliche Formulierungen finden wir auch in den Einschreibebüchern, wie sie noch (oder wieder) an vielen Wallfahrtsorten, mitunter auch in anderen Kirchen (z. B. in den Autobahnkapellen) aufliegen.

Wallfahrtsorte kennen sowohl die Hoch- als auch die Naturreligionen. Dabei liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Gottheit an bestimmten Orten dem Menschen besonders nahe ist, was dazu führt, dass sie vornehmlich dort ihre Anliegen vorbringen und bei erlangter Hilfe Dank abstatten. Im Christentum haben sich die aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen vom Wallfahrtswesen abgewandt. Das wird vor allem mit der Ablehnung der Heiligenverehrung, die das Wallfahrtswesen stark bestimmte, begründet.[1152] Zur Wertigkeit der Heiligenverehrung und des Wallfahrens in der katholischen Kirche sei daran erinnert, dass diese nicht heilsnotwendig sind.

8.3.1. Die Bewältigung des gefährdeten Alltags im Glauben[1153]

Um die Intensität des Wallfahrtswesens in der Barockzeit besser begreifen zu können, sollte man die Votivtafeln und Votivgaben in den großen Wallfahrtsorten (z. B. Maria Kirchenthal, Altötting oder St. Walburg in Eichstätt) betrachten oder in Mirakelbüchern lesen. Wichtig ist es auch, sich vor Augen zu halten, dass die Medizin damals in vielen Fällen nicht helfen konnte bzw. die Ärmeren die Ärzte nicht zu bezahlen vermochten. Darüber hinaus besaßen die Menschen auch keine Möglichkeit, sich gegen viele Risiken des Lebens durch Versicherungen zu schützen. Auch wenn die Medizin heute in vielen Fällen Heilung bewirken kann, bleiben aber noch viele Krankheiten, die nicht geheilt werden können. Die Kranken fühlen sich in solchen Fällen oft verlassen und suchen Hilfe im Glauben. Die Krankenzüge nach Lourdes oder moderne Dankeszeichen an den Wallfahrtsorten zeugen davon. In den Einschreibebüchern lassen sich neben Gesundheitsproblemen als weiterer großer Komplex seelische Nöte und soziale Schwierigkeiten (Partnerschaft und Ehe) ausmachen. Das ehedem breite Spektrum der Unfälle konzentriert sich heute stärker auf Verkehrsunfälle. Die Hinwendung zu einem Wallfahrtsort, die Votation, setzt aber den Glauben voraus, an einem Wallfahrtsort in einer bedrohten Situation Hilfe erfahren zu können.

Die Auswertung von Mirakelbüchern öffnet den Blick auf die vielfältigen Gefährdungen, denen die Menschen ausgesetzt waren.[1154] Nach der Aufklärungszeit wurden nur noch selten Mirakelbücher geführt, gedruckte Mirakelbücher, die in der Barockzeit viel frommen Lesestoff lieferten, verschwanden fast zur Gänze, doch manche Wallfahrtsorte wie das Loreto-Kloster in Salzburg oder St. Walburg in Eichstätt nehmen noch heute „Wunder”-Berichte an und sammeln diese. Die Einschreibebücher, wie sie heute ausliegen, vereinen allgemeine Anheimstellungen, Bitte und Dank. Im 19. Jahrhundert schließlich lebte die Votivtafel, die das bedrohende Geschehen ins Bild bringt, wieder auf.

Den größten Komplex bilden in der Barockzeit die Erkrankungen des Körpers, wobei am Kultort alle Bereiche angesprochen werden können.[1155] Mirakelbücher (und Votivtafeln) enthalten so viel medizingeschichtlich interessantes Material. Den Topos von den vergeblichen weltlichen Mitteln, dem auf den Votivtafeln die abgestellte Medizin entspricht, können detaillierte Schilderungen von Heilversuchen ersetzen.[1156]

Unter den zahlreichen Wallfahrtsorten hoben sich manche heraus, indem sie sich durch Zuständigkeiten für besondere Anliegen auszeichneten. Bei der Maria gravida vom Bogenberg lag es nahe, dass sich vor allem schwangere Frauen angesprochen fühlten. Gegen Krankheiten, deren Sitz man im Kopf vermutete (z. B. Besessenheit), wandte man sich an Heilige, von denen man nach dem Prinzip similia similibus ein Kopfreliquiar im Heilbrauch verwenden konnte wie bei der heiligen Anastasia in Benediktbeuern oder beim heiligen Simpert in Augsburg.

Solche speziellen Zuständigkeiten können aber auch aus der Gründungslegende erwachsen sein. So wandte man sich um Hilfe für Irrsinnige besonders nach Maria Weißenstein, weil die Entstehung der Wallfahrt auf das Gelübde eines irrsinnigen Bauern zurückgeht. Nach Ausweis der Mirakelbücher wurde der heilige Vitalis schon im Mittelalter bevorzugt bei Anliegen angerufen, die die Kinder betreffen, in der Barockzeit verdichtet sich das bei den Fraisen und bei Problemen bei der Geburt. Die Auswertung der Mirakelbücher von Grafrath ergab, dass der heilige Rasso besonders bei Steinleiden angerufen wurde (und die „Wunderkammer” wirkt noch heute wie ein urologisches Kabinett).[1157] Bei epidemisch auftretenden Krankheiten verlobten sich oft ganze Gemeinden und begründeten so die jährlichen Gemeinschaftswallfahrten.

Ein besonderes Kapitel bilden die ungetauften toten Kinder. Der Brauch, sie sub conditione zu taufen, scheint sich im 15. Jahrhundert von Frankreich über die Nordschweiz bis nach Tirol ausgebreitet zu haben. Diese Votationen wurzelten in dem Glauben an die unbedingte Heilsnotwendigkeit der Taufe, so erstrebten die Eltern dieser tot geborenen Kinder vor allem die Taufe. Der Brauch fand seinen Höhepunkt im schwäbischen Ursberg, wo zwischen 1686 und 1720 angeblich über 24.000 tote Kinder vor dem mächtigen Kruzifix getauft wurden. Zum Teil von weit her brachten die Väter ihre tot geborenen Kinder und legten sie in der Hoffnung auf den Altar, dass sie in irgendeiner Weise ein Lebenszeichen geben würden. In mehreren Taufmatrikeln auch der weiteren Umgebung werden solche Kinder als „Ursbergenses” geführt, in St. Peter in Kösching (nördlich von Ingolstadt) erinnert ein Epitaph an ein solches Kind. Rom verbot 1729 den „Missbrauch, tote Kinder zu taufen”, doch Ursberg wehrte sich dagegen, was 1737 zur Erneuerung des Verbotes führte.[1158] Nur der im Volk so fest verwurzelte Glaube an die Heilsnotwendigkeit der Taufe erklärt Votivtafeln, wie sie noch an manchen Wallfahrtsorten (z. B. in Trens oder in Maria Lugau) hängen, auf denen durch das Kreuz Neugeborene als gestorben gekennzeichnet werden. Die Eltern ließen diese Votivtafeln malen, weil diese Kinder noch getauft werden konnten, bevor sie starben.[1159]

Bei den Unfällen verdeutlichen Fuhrunglücke, die oft auf Votivtafeln dargestellt werden, die Gefährlichkeit der Arbeit und des Reisens. Bei Wallfahrtsorten in der Nähe von Flüssen wie in Mariahilf ob Passau spielen Schiffsunglücke (verbunden mit der Gefahr des Ertrinkens) eine große Rolle. Ausgebrochene Feuer griffen oft auf die benachbarten Gebäude über und weiteten sich zu ganzen Dorfbränden aus. Oft wurden sie durch die Soldaten verursacht. Dem Gnadenbild von Neumarkt an der Etsch sprach man deswegen eine besondere Wirkung bei der Feuerabwehr zu, weil es nicht verbrannte, als es ins Feuer geworfen wurde. Auch Kriege finden in der Regel ihren Niederschlag in den Mirakelbüchern und Votivtafeln, mitunter auch in am Wallfahrtsort aus Dankbarkeit zurückgelassenen Kanonenkugeln oder Gefangenenketten.

Dürre oder zu lange anhaltender Regen, welche die Ernte gefährdeten, veranlassten die Gemeinden ebenso eine jährliche Gemeinschaftswallfahrt zu versprechen wie Viehseuchen, aber auch die Sorge um einzelne Tiere taucht auf den Votivtafeln oft auf.[1160] In Zeiten landwirtschaftlicher Überproduktion und entsprechender Schadensregelungen finden wir zu solchen Verlöbnisinhalten nur schwer einen Zugang. Erhebliche Ernteeinbußen oder ein Viehsterben konnten ehedem die wirtschaftliche Existenzgrundlage stark gefährden, sodass es schon verständlich wird, dass eine arme Witwe aus Angst um ihre einzige Kuh eine Votivtafel malen ließ. In der Sorge um das Vieh vertraute man sich seit der Barockzeit vornehmlich auch dem heiligen Leonhard an, der im Mittelalter vor allem als Gefangenenbefreier fungiert hatte.[1161]

So aufschlussreich die Auswertung von Mirakelbüchern und Votivtafelbeständen auch sein mag, schließlich erfahren wir aus ihnen am meisten über die Motive der Wallfahrer und viel über Bräuche, so erfasst man damit doch nur einen geringen Teil der Wallfahrer. Dort, wo sich Hostienrechnungen erhalten haben oder wo die Kommunikanten registriert wurden, haben wir verlässliche Zahlen über die Frequenz. In Maria Hilf auf dem Lechfeld z. B. wurden im Wallfahrtsjahr 1683/84 35.100 Kommunionen ausgeteilt und 4.400 Messen gelesen, es kamen 163 Prozessionen, aber nur 28 Mirakel wurden zur Verkündigung freigegeben. Im Jahre 1723/24 z. B. lag die Relation bei 105.000:6.600:163:112. Allerdings wird auch bemerkt, dass man zwar um weit mehr Mirakel wusste, aber nur die sicher beglaubigten nach Augsburg meldete (s. u.).[1162]

Wallfahrten waren aber auch als Gelegenheit zu intensiverem Gebet, zu Buße, Beichte und Kommunion allgemein geschätzt und es bedurfte dazu nicht der Motivierung durch irgendeine Not. Die Ablässe, die oft im Festkalender der großen Wallfahrtsorte verzeichnet waren, warben in der näheren und weiteren Umgebung mit Gnadenangeboten. Dankwallfahrten, die nicht nur nach überstandener Not abgestattet wurden, und vor allem Bittwallfahrten werden in den Mirakelbüchern kaum erwähnt. Die Ingolstädter Studenten wandten sich im Umfeld der Examina nach Bettbrunn, die Augsburger (St. Salvator) auf den Kobel (Loretokapelle), die Innsbrucker nach Hötting. Dass gerade dieser Kultort angegangen wurde, liegt in der Entstehungslegende begründet, denn ein schwacher Student hatte einst einer Kopie des Gnadenbildes von Maria Waldrast sein Leid geklagt und dann schließlich sein Examen bestanden. Das Gnadenbild trug deswegen auch den Titel „Studentenzuflucht”. Zahlreiche Wallfahrtsorte wurden besonders von jungen Ehepaaren aufgesucht. Sie stellten ihr persönliches Glück unter den Schutz einer wirksamen Mittlerin und ließen Bräutigamsposchen und Brautstrauß als Identifikationsopfer am Kultort. Das Gnadenbild von Absam bei Innsbruck wurde deshalb als „Maria Kuppleri” betitelt.[1163]

In den Einschreibebüchern unserer Tage haben sich auch noch gegenüber dem 19. Jahrhundert die Gewichte deutlich verschoben. In Maria Plain (1958 –1984) stehen Sorgen und Nöte in der Familie (202) vor den Gesundheitsproblemen (189), wobei allerdings beide oft auch zusammenhängen.[1164]

8.3.2. Votation und "Wunder"

Der sich bedroht oder gefährdet fühlende Mensch wendet sich in der Hoffnung an den Wallfahrtsort, um dort, auch auf wunderbare Weise, Hilfe zu erlangen. Viele vor ihm hatten das getan. In der Barockzeit konnte der Mensch davon in Mirakelbüchern lesen und viele Wallfahrtsorte beeindrucken noch heute durch Wände voller Votivtafeln und durch Mirakelbilder, durch aus Dankbarkeit zurückgelassene Gegenstände mit Zeugnischarakter und durch Votivgaben. Oft findet sich, besonders auf Votivtafeln, die Wendung „EX VOTO”. In den Mirakelbüchern entsprechen dem Ex voto Wendungen wie „sich verloben”, „sich versprechen”, „Zuflucht nehmen zu” (z. B. 1685: „Georg hueder […] hat sich wegen seines fuess halber alher Zu vnser L. Frauen uf den Berg mit disem Täfel verlobt vnd versprochen” oder „Ein Jüngling aus der Gemeinde Sarnen nahm Zuflucht zu Maria der göttlichen Gnadenmutter in Rickenbach, versprach eine Vototafel und eine Wallfahrt, da er von großen Schmertzen und Übel befreyt worden, so sei Gott und Maria gedankt gesagt, im Jahre 1859.”) Ein Augsburger nahm sich eines verunglückten Fuhrmanns an und hat ihn „mit einer heiligen Meß versprochen, welches Verloben” dem Mann zu völliger Heilung verhalf.

Eine Votation wurde oft auch für andere unternommen, insbesondere von Eltern für ihre Kinder oder für den Ehepartner (z. B. „Zu Ehren der gebenedeitisten Junckfrauen vnd Muetter gottes Maria hat alhero verlobt die Tugentsame Barbara Etlin, des erbarn Wolff Etl eheliche Hausfrau, ihren Mann sambt ihren kindern, weilen si groß anligen und kumernus gehabt, dadurch si erledigt worden. 1692”). Fast das ganze Wortfeld der Votation erscheint in der Geschichte der Stadtbergener Spitalbäuerin (Biberbach 1759): Sie „nimmt […] ihre Zuflucht unter großem Vertrauen, Schreyen unf Bitten zu dem Heil. Creuz, verlobt das arme Kind mit einem Wallfahrtsgang, Opfer und Heil. Meß hierher, […] Wegen welcher ungemein grossen Gutthat nicht allein die Eltern ihr gemachtes Versprechen allhier mit schuldigster Danksagung abgelegt, sondern auch der Herr Pfarrer […] diese wundersame Heylung, so […] nur auf gemachtes Gelübd und Anrufung des Heil. Creutz erfolgt ist, […] bekräfftiget hat”.

Das Verloben und Versprechen wird zum Gelübde, wenn als Gegenleistung für die Rettung aus einer Notsituation eine Verpflichtung eingegangen wird, die in geistlichen Übungen (Wallfahrt, Messe, Gebete), in Sachopfern (Geld, Wachs, Getreide, Tiere) oder in Gaben mit Zeugnischarakter (vor allem Votivtafeln und Votivgaben) besteht. Das Gelübde gilt als Rechtshandlung, als Vertrag, zu dessen Erfüllung der Gläubige nach erlangter Hilfe und Heilung verpflichtet ist (s. u.). Der Kern der Votation ist die Anheimstellung an eine höhere Mächtigkeit.[1165]

Die erfahrene Hilfe und Heilung wird von den Votanten so selbstverständlich als Wunder empfunden, dass sie relativ selten als solches bezeichnet wird. Im Deutschen ist das sprachliche Spektrum breit, die lateinische Sprache konzentriert sich mehr auf die Worte miraculum oder beneficium. Für die Bewahrung vor einer drohenden Feuersbrunst sagt der Pfarrer von Gersthofen 1625 „vmb die empfangene Wol- vnd Gutthat” Dank. Ein Vater aus Feigenhofen lässt 1756 die seinem Kind „wiederfahrne Gnad” öffentlich verkünden. Ein Bauer aus Schwabmünchen will dafür sorgen, dass „dises Wunderwerck”, das St. Simpert gewirkt hat, überall verkündet wird. In diesem Zusammenhang sind auch die Titel der gedruckten Mirakelbücher interessant. Salzburger Titel etwa lauten: „Lauretanischer Gnaden-Schatz, Oder: Das in seiner Bildnuß kleine, In seinen Wundern grosse Sogenannte Saltzburger-Kindl” (1754), „Marianischer Gnaden Schatz/ Das ist: Beschreibung jener Gutthaten […]” (Kitzbühl, 1744), „Wahrhafte Beschreibung Viler grossen Gnaden” (Saalfelden, 1738), „Auserlesene Gnaden-Geschichten” (Maria Plain, 1697), „Gnaden-Brunn Oder Warhaffte Beschreibung der Gnaden und Gutthaten” (Kirchenthal, 1730), „manigfaltig erhaltene Gnaden des Miraculosen JESUS Kindl im Filzmoß” (1772).

In der großen Druckerstadt Augsburg, wo bei weitem nicht nur Mirakelbücher schwäbischer Wallfahrtsorte gedruckt wurden, kennt man darüber hinaus noch folgende Titel (bzw. Varianten): „Wunderzeichen” (Altötting um 1494; Augsburg, Hl. Kreuz, 1625; Grafrath, 1746), „Wunderwerk” (Augsburg: Ulrich und Simpert, 1516; Augsburg: Simpert, 1616; Augsburg: Ulrich 1796) und „Wundertaten” (Augsburg: Ulrich, Afra und Simpert, 1737). Die „Miracul vnd Wunderzeichen” von Karl Borromäus interessierten auch in Augsburg (1611). Auf die Benediktionen des Marcus d'Aviano hin erteilte Gott die „Beneficien vnd erfolgten vilen Wundersamen Begebenheiten” (1681). „Wunder- und Wohlthaten” wirkte der heilige Rasso in Grafrath (1772). Etwas aus dem Rahmen fällt die Titulierung des Rankweiler Gnadenbildes als „Hilf- und freudenreiche göttliche Gnadenmutter” (1728). Mehr aus dem profanen Bereich schöpft der „Auszug Der merckwürdigsten Begebenheiten und Wunderen […] von der Gnadenreichen Bildnuß Mariä vom guten Rath” (Genazzano 1761).

Beliebt waren auch sprachliche Spielereien mit dem Ortsnamen. So wird der Hohe Peissenberg zum „Gnaden-Berg” (1718) und Maria Steinbach zum unerschöpflichen „Gnaden-Bach” (1738–1742). Eine „Neuentsprossene Gnaden-Blum auf der Wis” leuchtet bei Steingaden (1746). Die Entstehungslegende nimmt die Bezeichnung „Lerchen-Stock” für Maria Waldrast auf (1738).[1166]

Bereits in den wenigen zitierten Textstellen und in der Auswahl von Titeln wird deutlich, dass das Wort „Wunder” in einer großen Bedeutungsbreite gebraucht wird. Die Auswirkungen von Votation und Gelübde werden in verschiedenen Graden beschrieben. Mitunter gilt schon als Wunder, wenn natürliche Mittel helfen. Der Wirt von Biburg, der an einem Bissen zu ersticken droht, „hat sich gebrochen vnd den Bissen wider von sich gestossen” (Maria Hilf auf dem Lechfeld, 1658). Das Kind hat das verschluckte Gläslein noch am selben Abend von sich gestoßen (ebenda 1659). Die verschluckte Glufe (Stecknadel) setzt sich auf die Votation hin „weiter in den Leib hinab und auf öffteres Einspritzen des Baders” wird sie nicht mehr gespürt (Biberbach, 1760). Auch Rettungsversuche gelingen als Folge einer Votation. Der im Brunnen verschüttete Rettenberger Söldner wird von einem Knecht frei geschaufelt und an einem Seil herausgezogen (Augsburg, Wunderbarliches Gut, 1739). Bei einer Feuersbrunst in Gablingen setzte nach der „Verlobung […] unverhofft ein so häuffiger heylsamister Regen” ein, der alle „Häuser, Städel und Dachungen also benätzet”, dass kein weiteres Haus mehr Feuer fing (ebenda 1725). Verdächtige Personen, die mit Gewehren und Waffen auf einen Mann losgingen, haben sich nach der Votation „selbe schnell und ganz unverhofft flüchtig” (Oberschönenfeld, 1756).

Heilung dagegen geschieht nur selten spontan, sondern dauert eine gewisse Zeit. Am häufigsten wird der Vorgang so oder ähnlich beschrieben: „dass er in derselbigen Stund Linderung empfunden und nach wenig Tagen gantz gesund ” geworden (Lechfeld, 1656). Bei vielen Texten scheint mehr die Wende in der Krankheit oder in der Notsituation der entscheidende Punkt des Wunders zu sein, während die eigentliche Rettung und Heilung einen ziemlich natürlichen Verlauf nimmt.

Es macht nicht viel Sinn, darüber zu diskutieren, was sich in den beschriebenen Mirakeln vor 200 oder 300 Jahren tatsächlich ereignet hat, entscheidend bleibt als Faktum, dass Menschen davon überzeugt waren, dass ihnen auf übernatürliche Weise geholfen wurde. Auch in unseren Tagen kommen noch Menschen zu dieser Überzeugung, obwohl wir sehr kritisch urteilen. Aber auch die Menschen früherer Jahrhunderte verfuhren keineswegs so unkritisch, wie man ihnen dies heute gerne unterstellt. Viele Mirakeltexte etwa nennen Zeugen. Ein Söldner von Markt zeigt unter Eid „in Beyseyn Underschribner Zeugen” sein Mirakel an (Biberbach, 1682). Die Obrigkeit zu Augsburg hat „die Gezeugen gebührend verhört, alles ordentlich examiniert vnd für ein wahres vnd sonderbahres Wunderwerck Gottes in forma authentica approbiert ” (Augsburg, Wunderbarliches Gut, 1648; Mirakelflugblatt). Vom Mirakelexamen kündet auch die Schlussbemerkung: „Also eydlich in Beyseyn der zu End notirten Zeugen verhöret den 18. Tag Maij 1682” (Biberbach). Öfter bezeugt der Ortspfarrer „bey seiner priesterlichen Würde mit eigener Handschrift und Pöttschaft”, d. h. mit einem schriftlichen Attestat das Wunder. Im 1625 verlegten Mirakelbuch vom Wunderbarlichen Gut in Augsburg steht unter jedem Text der aus den Urkunden übernommene „Locus Sigilli” und in den handschriftlichen Mirakelbüchern von Maria Hilf auf dem Lechfeld sind von 1663/64 an die einzelnen Jahrgänge mit dem Siegel des Augsburger Generalvikars versehen. Das bedeutet, dass die einzelnen Mirakelfaszikel zur Überprüfung an das Ordinariat geschickt worden waren. Der Generalvikar setzte dann sein Siegel darunter, „ut haec beneficia publicentur” (s. o.).[1167]

8.3.3. Sacra und Heilbrauch

Auf Wallfahrt gehen bedeutete (und bedeutet z. T. noch heute) große Mühen auf sich zu nehmen. Manche steigerten die Mühen noch, indem sie eine oder mehrere Erschwerungen auf sich nahmen.[1168] Bei der Schönen Maria in Regensburg entschied sich gegen Ende des Mittelalters (1519–1522) etwa jeder sechste (der im Mirakelbuch steht) für eine oder mehrere Erschwerungen, wobei die Wallfahrten „mit Wasser und Brot”, oft verbunden mit den Wallfahrten „im Almosen” (d. h. im Geist der Demut den Lebensunterhalt auf der Wallfahrt erbettelnd), und die Wallfahrten „barfuss” als die häufigsten erscheinen. In den wenigen Jahren tauchen immerhin noch sechs Nacktwallfahrten auf. Auf einem 1608 in Augsburg gefertigten Kupferstich ziehen mindestens sieben nur mit einer Schürze bekleidete Personen auf den Heiligen Berg Andechs, die zudem noch mit ausgestreckten Armen gehen. In den Tuntenhausener Mirakelbüchern werden bis 1614 nicht weniger als 26 Nacktwallfahrten erwähnt.

Einzelne Formen mittelalterlicher Wallfahrtserschwerungen hielten sich mit verschiedener Intensität und landschaftlicher Ausprägung bis in die Barockzeit (und z.T. bis in die Gegenwart), doch urteilt Walter Hartinger zutreffend, wenn er unter Einbeziehung des Votivbrauchtums einen Abschnitt mit „Mittelalterliche Relikte im Wallfahrtsleben der Barockzeit” überschreibt. Das Tragen von schweren Holzkreuzen und das Schleppen von Steinen wird z. T. bis heute geübt. Holzkreuze, wohl in Nachahmung des Kreuzweges mitunter auch bei Prozessionen mitgeführt, fallen dem Besucher der Wallfahrtskirche, etwa in Altötting, auf, während man um die Steinhaufen schon wissen muss. Unterhalb von Maria Weißenstein befinden sich zwei Steinhaufen, auf die 1953 anlässlich der 400-Jahr-Feier „frische” Quadersteine gelegt wurden und wo noch 1976 ein Wallfahrer seinen Stein mit den Initialen kennzeichnete.

In Neukirchen und andernorts verschwand im Verlauf des 17. Jahrhunderts die Wallfahrt in weißer Kleidung. Der Verfasser des 1687 in Ingolstadt gedruckten Mirakelbuches von Bettbrunn zählt zu den Praktiken „durch underschidliche rauche Arth und Weiß zu Walfarten” die gebettelte Wallfahrt (s. o.), die in Wolle, d. h. in härenen Gewändern ausgeführte Wallfahrt, die Barfußwallfahrt, die Wallfahrt mit Wasser und Brot und das Knierutschen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts vergeistlichte sich das Wallfahrtswesen, ältere Formen wurden durch höhere Opferstockgefälle, Gebetsleistungen und gestiftete heilige Messen abgelöst.[1169]

Ein Weg, einmal zu einem Kultort ausgetreten, wurde, wenn er geeignet erschien, über Generationen hin beibehalten und zum Wallfahrtsweg ausgestaltet. Auf ihm wurden Bäume mit Bildern geschmückt, Wegkreuze aufgestellt, Bildstöcke errichtet und Kapellen gebaut. Solche Zeichen am heiligen Weg entstanden oft als fromme Stiftungen. So versprach ein Bürger von Lohr 1653, auf dem Weg nach Maria Buchen zwei Kreuze aufzustellen und die Bürger von Burghausen stifteten 1726 fünfzehn Säulen mit den Darstellungen der Rosenkranzgeheimnisse für den Weg nach Marienberg. Den „Heiligen Weg” von Prag nach Altbunzlau säumten 44 Kapellen, die Adelige und Prälaten zwischen 1680 und 1690 hatten erbauen lassen, und den Weg von Wien nach Mariazell zur Magna Mater Austriae, jene „Achse von patriotisch- sakraler Funktion” (E. Schneeweis) beschildern viele sakrale Wegweiser. Viele dieser Zeugnisse stehen noch heute, insbesondere auch zu den großen Wallfahrten in Franken.[1170]

Am Kultort selbst standen dem Wallfahrer verschiedene Angebote von Sacra, durch die Nähe zum Kultobjekt geheiligte oder dort benedizierte Dinge, zur Verfügung, mit denen er sein Verlangen nach Heilung zu verstärken hoffte. Das Kultobjekt teilt seine Heiligkeit seinem Umkreis mit. Diese haftet ohnedies an den Dingen, die einen originären Bezug zum Kultobjekt hatten: am Staub der Santa casa in Loreto, an der Erde von der Stelle, an der man das Gnadenbild gefunden hatte; wie in z. B. Buggenhof Neuburg, oder am Holz der alten Kapelle von Sammarei. Das Gebrauchen geheiligter Erde ist besonders an eucharistischen Wallfahrtsorten bezeugt. Aber auch ohne solche Ursprungsbezüge erachtete der Wallfahrer Erde des Kultortes, das Öl in der Lampe vor dem Gnadenaltar oder über dem Grab, Abgeschabtes und Abgeschnetzeltes, ja selbst Laub und Zweige der dort wachsenden Bäume als vom Kultobjekt geheiligte Dinge. Die Sacra (und die Devotionalien) schaffen die Verbindung vom Kultort zum Heimatort, denn sie werden dort angenommen und wie Erde, Wasser und Öl, auch gebraucht.

Von allen an Wallfahrtsorten einst geübten Heilkulten hat die Verwendung geheiligten Wassers alle Anfechtungen und Krisen des Wallfahrtswesens bis in die Gegenwart überstanden. Bei vielen Wallfahrtsorten sprudeln Quellen, die fest ins Kultprogramm einbezogen sind. Meist befinden sie sich neben der Kirche oder in deren Nähe, wofür dann eigene Brunnenkapellen errichtet wurden, mitunter fließen sie auch unter dem Altar der Kirche und wurden in die Architektur des Gnadenaltares einbezogen (z. B. Traunwalchen, Maria Brünnlein). In Maria Brünnlein bei Wemding trinken seit über 300 Jahren Wallfahrer das Wasser vom Brunnen im Gnadenaltar, waschen sich damit das Gesicht und benetzen die Augen. Gelegentlich drückt sich der Quellenkult – wie auch der Baumkult – in den Namen verschiedener Wallfahrtsorte aus.[1171] – Das auch noch heute weit verbreitete Walburgisöl, um dessen Fläschchen und deren Verwahrung sich ein breites Feld der Volkskunst entfaltete, ist reines Wasser, das sich in den Wintermonaten am Steinsarg, in dem die Gebeine der Heiligen ruhen, bildet. Es heißt aber seiner Heilkraft wegen Öl.[1172]

Eine wichtige Rolle im Heilbrauch spielten Reliquien. Dabei wurde bereits deren Anblick als heilfördernd begriffen, weswegen die Heiltumsschauen wie in Aachen, Andechs oder Hall so großen Zulauf erhielten.[1173] Als noch intensiver erachtete man Berührungen, so etwa wenn den Wallfahrern das Kopfreliquiar der heiligen Anastasia (Benediktbeuern) oder des heiligen Simpert (Augsburg) aufgesetzt wurde oder wenn die Wallfahrer in St. Peter den Vitalis-Gürtel gebrauchen durften.[1174]

Zu den erwähnten Sacra, die am Kultort vorhanden sind und von ihm ihre Heiligkeit erfahren, kommen die von den Menschen gefertigten und gestalteten Dinge, die ihre Heiligkeit erlangen, indem sie das Kultobjekt ab- oder nachbilden, an ihm angerührt oder geweiht werden. In Neukirchen etwa ließ man das hoch auf dem Altar thronende Gnadenbild wöchentlich mehrmals herab, entblößte dessen Haupt, um es mit Bildern, Ablasspfennigen, Skapulieren, Rosenkränzen und anderen Dingen zu berühren. In Dorfen dagegen stiegen die Priester zum selben Zweck eine Treppe von 13 Stufen hinauf. Hatte ein kleines Andachtsbild das Kultobjekt berührt, vermerkte man das auch – in der Regel etwas abgesetzt und in einer kleineren Type – in der Beschriftung, denn das hob dieses Exemplar vor allem seit der Massenproduktion von anderen Devotionalien ab. Den gleichen Rang erlangten die Schleierbildchen, auf die ein Stück eines Schleiers geklebt war, mit dem man das Gnadenbild am Karfreitag verhüllt hatte. Altötting übernahm diesen Brauch 1337 von Loreto. In Aachen befestigte man an den Andachtsbildchen Seidenstückchen, die von jenen Tüchern stammten, in die man die Heiltümer sieben Jahre lang eingehüllt hatte. Andachtsbildchen wurden nicht nur auf Papier, sondern auch auf Stoff (Seide) gedruckt oder auf Papier und Pergament gemalt. Sie spielten im Heilbrauch eine gewisse Rolle.

Das kleine Andachtsbild erweiterte sich zum oft dreispaltigen Gebetszettel. Größere Wallfahrtsorte wie Andechs, Altötting, Dettelbach, Klosterlechfeld, Violau und die Wies ließen Faltbriefchen drucken, die versandt wurden. In ihren kleinsten Ausprägungen erweisen sich die so genannten Schluckbildchen, von denen gelegentlich noch ganze oder Teile von Bögen erhalten sind, als heilsam. Der in der Forschung eingebürgerte Name berücksichtigt nur eine Funktion. Diese kleinen Bildchen wurden auch in die Breverl (gefalteter Papierbogen mit Bildern von Heiligen und aufgeklebten Amuletten) geklebt und in die Wettersegen eingebracht.

Ein besonderes Angebot hielt das Loreto-Kloster in Salzburg mit Hemdchen und Windeln und den Stammenhäuschen bereit. An manchen Wallfahrtsorten gehörte auch das Häubchenbrauchtum zum Kultangebot. Es begegnet uns verständlicherweise da, wo Kopfreliquiare im Heilbrauch verwendet wurden wie bei der heiligen Anastasia in Benediktbeuern oder beim heiligen Simpert in Augsburg. In Tuntenhausen waren Häubchen geheiligt, weil sie vorher das Gnadenbild getragen hatte. Die am Grab der Heiligen berührten Erentrudishäubchen wurden bei vielerlei Beschwerden (vor allem Geburt und Todeskampf) aufs Haupt gelegt. Einen besonderen Bezug zum (am Kopf) verletzten Kultbild drückt der Häubchenbrauch in Neukirchen aus, wo es in einem breiten Bereich Anwendung fand, weswegen sich Walter Hartinger gegen die Bezeichnung „Fraisenhäubchen” wendet. So ließen sich dort z. B. wiederholt Soldaten Häubchen in das Unterfutter der Helme oder in ihre Uniformen einnähen, um so vor Schuss- und Hiebverletzungen geschützt zu sein.

In Buggenhofen wurde „eine Seiden” geweiht, am Gnadenbild angerührt und an die Wallfahrer verteilt. Ein ähnlicher Brauch entwickelte sich in Neukirchen, wo man kleine weiße Leinwandstreifen an der Kopfwunde der Marienstatue anrührte, um dann diese Sacra, die als „Bindlein” und vor allem als „Purificatoria” bezeichnet wurden, an die Wallfahrer abzugeben. Diese trugen die „bindlein de thaumaturgo” um den Leib, berührten damit kranke Körperstellen, banden sie um und schabten davon etwas ab, um es mit Wasser zu trinken. Gebräuchlicher allerdings war das Abschaben bei den kleinen Nachbildungen der Gnadenbilder aus Ton, für die sich deswegen die Bezeichnung Schabfigürchen eingebürgert hat, obwohl sie auch in Breverl und Wettersegen eingebracht und an Rosenkränze gehängt wurden. In Dorfen verdrängten die Schabfigürchen im späten 18. Jahrhundert das Ampelöl.

Das in der Herstellung billigere kleine Andachtsbildchen scheint als Massenartikel die teureren Ablasspfennige abgelöst zu haben, dennoch wurden weiterhin Münzen und Medaillen geprägt und von den Wallfahrern erworben, wobei häufig Kultobjekte zweier Wallfahrtsorte kombiniert wurden. Auch sie hängte man gerne an und in die Rosenkränze. Auf dem Bogenberg gab man so genannte Gebärringe aus, in die das Gnadenbild der Maria gravida eingraviert war. Sie wurden von schwangeren Frauen zur Sicherung der Leibesfrucht und für eine gute Geburt getragen.[1175]

Neben den kleinen Andachtsbildchen, die ihren Platz vor allem in den Gebetbüchern, aber auch in Schränken und Truhen und im Herrgottswinkel fanden, brachten die bedeutenderen Wallfahrtsorte auch große Holzschnitte und Kupferstiche heraus, die als religiöser Wandschmuck dienten. Hinterglasmaler und Schreiner, welche die ländlichen Möbel bemalten, liebten als Motive Gnadenbilder, die sich auch als Hausschutzbilder großer Beliebtheit erfreuten. Gemalte oder figurale Nachbildungen der Gnadenbilder, oft „angerührt”, was in Attesten oder mit Siegeln bestätigt wurde, markieren die Kultdynamik eines Wallfahrtsortes. Am besten erforscht sind die Kopien der Gnadenbilder von Dorfen, vom Wiesheiland, des Maria-Hilf-Bildes, der Altöttinger Madonna, des Gnadenbildes vom Bogenberg, des Ettaler Gnadenbildes, der Herzogspitalmadonna in München, der „Mutter der Schönen Liebe” in Wessobrunn und der Muttergottes mit dem geneigten Haupt.[1176]

Während Kopien und Andachtsbildchen, Münzen und Medaillen durch die Darstellung des Kultobjektes an sich schon bedeutsam waren und ihr Wert durch Anrühren noch gesteigert wurde, heiligte man besondere Kerzen dadurch, indem man ihnen Wachs von Kerzen beimischte, die in der Wallfahrtskirche gebrannt hatten. Manche Wallfahrten wie Dorfen, Altötting oder Maria Plain boten schwarze Wetterkerzen an. Am Wallfahrtsort benedizierte Rosenkränze erfreuten sich besonderer Hochschätzung. Sie behielten ihre Verbindung zum Wallfahrtsort durch angehängte Ablasspfennige und Medaillen und bei vielen Rosenkränzen erweiterte sich das Spektrum durch weitere auf andere Wallfahrten verweisende An- und Einhänger wie den Sebastianspfeil, das Wolfgangshackl, das Ulrichskreuz, das Caravaca-Kreuz, das Donauwörther Pestkreuz und das Scheyrerkreuz oder das Fläschchen mit dem Walburgisöl. In Inventaren von Frauen erscheinen oft mehrere Rosenkränze und an den Wallfahrtsorten wurden sie als Identifikationsopfer aufgehängt.[1177]

8.3.4. Die Promulgation

Wem nach seiner Überzeugung (oder der seiner Mitmenschen) durch ein „Wunder” geholfen worden war, der durfte dies nicht als seine Privatsache betrachten. Das Kultobjekt verlangte die Bekanntgabe und öffentliche Verkündigung. Die Gelübde schlossen oft ein, dass die erlangte Guttat auch „angezeigt” oder „verkündet” oder auf einer Votivtafel am Gnadenort dargestellt wird. Wird die Promulgation unterlassen, bricht die alte Krankheit wieder aus oder den Wallfahrer ereilt ein anderes Unglück. Weil ein Mann aus Feigenhofen 18 Jahre eine Guttat nicht anzeigte, suchte ihn Gott mit einem anderen großen Unglück heim und weil eine Mutter aus Leitershofen eine „schon vor zwei Jahren empfangene grosse Gutthat nicht verkünden lassen, ist ihr ein anderes Unglück begegnet”. Als ein Mann aus Wehringen sein Gelübde, Sankt Simperts Grab mit einem Opfer aufzusuchen, bei zunehmender Genesung vergaß, „da ist der vorige schmertzen in widerum ankommen”. Die im Gelübde eingegangene Verpflichtung muss ganz erfüllt werden. Als die Eltern aus „Biberbach in Abstattung sothanen Gelübds was saumselig waren vnd allein die Kertzen […] aufopferten (und nicht auch die zusätzlich versprochene Votivtafel) ist vnderdessen ermeltem Knäblein der Schaden des Leibs wiederumben kommen”.[1178]

Wir unterscheiden vier Formen von Promulgation, die aber auch gepaart auftreten können (wenn in einem Mirakelbuchtext eine Votivgabe oder eine Votivtafel versprochen wird):

  1. Zurückgelassene Gegenstände mit Zeugnischarakter: Noch an manchen Wallfahrtsorten bezeugen aufgehängte Krücken, dass Lahme geheilt wurden. In Kästen finden wir (zusammen mit Votivgaben) Knochensplitter und Zähne, abgegangene Steine und verschluckte Gegenstände. Darüber hinaus hängt in St. Walburg in Eichstätt auch eine Gefangenenkette, wie sie früher besonders zu Leonhardskirchen gebracht wurden. Die „Wunder”-Kammer beim heiligen Rasso, der bei Steinleiden angerufen wurde, wirkt wie ein urologisches Kabinett.

  2. Votivgaben: Im Gegensatz zu den zurückgelassenen natürlichen Gegenständen sind Votivgaben künstlich geformte, das bedrohte Objekt abbildende Gegenstände. Auf den zahlreichen Holzschnitten und Tafelbildern des späten Mittelalters (bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts) sind sie meist zusammen mit den zurückgelassenen Gegenständen und den Opfergaben abgebildet. Auf einigen Holzschnitten in den Ausgaben von „Der Heiligen Leben” (Anton Koberger, Nürnberg, 1488; Günther Zainer, Augsburg, 1472; Anton Sorg, Augsburg, 1481; Konrad Fyner, Urach, 1481; Steffan Arndes, Lübeck, 1492) erscheinen, meist an einer Stange hängend, menschliche Figuren, Arme, Hände, Beine und Füße, aber auch Krücken und ungeformte Wachsklumpen. Mitunter weist auch der Text, wenngleich allgemein, aber doch deren Funktion erklärend, darauf hin. So heißt es z. B. bei Koberger: „da stunden vil menschen, frawen und man, bey dem grab sant Simprechts, dy da sehen daselben dy urkund der zeychen dy da hiengen und lobten die gütigkeit gottes”.

    Auch auf Einblattdrucken finden wir diese Gegebenheiten. So hängen auf einem Nürnberger Druck aus der Zeit um 1480, der dem Simon von Trient gewidmet ist, eine menschliche Figur, ein Bein, ein Arm und ein Augenpaar sowie ein Klumpen Wachs; ein Pilger bringt ein wächsernes Bein. Auf einem Regensburger Druck aus der Zeit um 1460 wurden zum heiligen Wolfgang eine Hand, zwei Füße, eine Handfessel und ein Wachsklumpen gebracht. Einzigartige Belege enthalten zwei um 1480 gemalte Tafeln in St. Wolfgang in Pipping bei München. Zum Grab des heiligen Wolfgang kommen Pilger. Auf der Grabplatte liegen Gebilde aus Wachs (eine menschliche Figur, vier Kopfringe mit Augen, drei Kerzen und ein Wachsstock), an der Grabplatte lehnen Gebilde aus Holz (zwei Beine und ein Arm, ein Pilgerstab und ein Stock mit Schleife) und am Boden steht eine Holzprothese für den Unterschenkelstumpf zur kriechenden Fortbewegung.

    Noch interessanter ist eine weitere Tafel. Sie zeigt eine kleine Kapelle, die durch einen Gang mit einer Kirche verbunden ist (und offensichtlich die Situation in St. Wolfgang am Abersee vor dem großen Kirchenbau meint). An der Außenseite der Kapelle hängen um die Türe herum eine menschliche Figur, eine Brust und vier Beine aus Wachs sowie ein Zopf aus Menschenhaar (ein solcher auch an der Fensterseite). Vor der Kapelle liegen ein Kopfring mit Augen und ein Arm aus Wachs sowie zwei Kerzen (eine dritte ist fast ganz durch das Gitter in die Kapelle hineingeschoben, wo am Boden mehrere Münzen verstreut sind. An der Seitenwand der Kapelle und am Boden davor befinden sich drei Krücken, ein Stock, eine Unterschenkelprothese sowie ein Bein und ein Arm (alle aus Holz). Die Zeichenbewandtnis all dieser Gebilde zeigt nun der Künstler an einigen Personen, die zur Kapelle kommen: Der am Boden sitzende Mann, der seinen rechten Unterschenkel verbunden hat, hält in seinen zum Gebet gefalteten Händen an einer Schnur ein Bein aus gelbem Wachs; dahinter tastet sich mit einem Stab ein Mann zur Kapelle, der beide Augen verbunden hat und in seiner Rechten einen Kopfring mit zwei Augenkugeln hält; am linken Bildrand schreitet eine Frau, die ihr rechtes Auge mit einem schwarzen Verband abgedeckt hat und auf ihrer Kopfbedeckung einen Wachsring mit zwei Augenkugeln trägt.

    Auf einer Stange beim Grab des heiligen Sigismund in Freising hängen neben anderen Wachsvotiven auch zwei Häuser. Auf dem Altar des heiligen Stephan (in Weihenstephan bei Freising), offensichtlich aus dem Jahre 1605, liegen darüber hinaus Herzen und Hände und ein Unterkiefer aus Wachs, ein Messer aus Wachs und zwei aus Metall sowie zwei Hufeisen; an zwei Auslegern hängen zudem noch (aus Wachs) zwei Herzen, zwei Kopfringe, ein Unterkiefer, zwei Brüste, eine Hand und ein Fuß, ein Pferd, ferner zwei Messer aus Metall und ein Hufeisen. Auf den Titelbildern der Inchenhofener Mirakelbücher von 1585, 1593 und 1606 spannt sich über der Figur des heiligen Leonhard eine Kette, die eine Gefangenenkette, ein Hufeisen an einer Kette, zwei weitere Hufeisen und eine Pflugschar trägt, die eindeutig aus Eisen geschmiedet sind, was auch für das Bein und die Hand gelten dürfte, die ebenfalls an der Kette hängen.[1179]

    Im Mirakelbuch des heiligen Vitalis dominieren im Mittelalter Wachsvotive (mehrere Figuren, daneben Köpfe, Pupillen, ein Kinn, Zähne, eine Brust, ein Arm, Hände und Füße, aber auch ein wächsernes Bett für Bettlägerigkeit und ein Gürtel, der bei Nervenleiden angelegt wird), doch stehen daneben auch Holzvotive (zweimal Pupillen, ein Bein und ein Fuß) und sogar Eisenvotive (Beine, Kopf).[1180]

    Votivgaben wurden, wie bereits die Auswahl von Bildquellen zeigte, aus verschiedenen Materialien gefertigt. Wachs scheint dabei am weitesten verbreitet gewesen zu sein (wobei die Bildquellen nicht eindeutig erkennen lassen, ob die Gebilde handgeformt oder in Modeln gegossen wurden). In der Schweiz gibt es noch kleine volle Wachsvotive, doch sind die meisten dünnwandig in Modeln, von denen sich noch viele in den alten Lebzeltereien und in den Museen erhalten haben, gegossen. In vielen portugiesischen Wallfahrtsorten ist der Brauch, Wachsvotive zu opfern, noch lebendig. In Läden neben der Kirche kann man sie in beliebigen Größen erstehen. Da man in erhaltenen alten Modeln noch heute Gebilde gießen kann, ist deren Datierung kaum möglich, es sei denn, es gibt einen Anhaltspunkt, nach dem man die Herstellung des Models bestimmen kann (wie Kleidung oder Häuser u. Ä.).

    Votive aus Holz tragen mitunter eine Aufschrift und sind von daher unter Umständen zeitlich bestimmbar. Neben Armen und Beinen scheint man gerne Eingeweide, besonders Lungen, in Holz geschnitzt zu haben. Eisenvotive erregten schon früh ihres altartigen Aussehens wegen das Forschungsinteresse. Dabei sollte man aber nicht der Versuchung zu sehr frühen Datierungen erliegen, da sich die Technik des Schmiedens über Jahrhunderte nicht geändert hat. Eisenvotive wurden, ausgehend vom Attribut der Gefangenenkette vor allem, aber nicht ausschließlich (s. o. Vitalis), zu Leonhardskirchen gebracht, wo oft so viel Eisen anfiel, dass man die Kirchen mit Ketten umspannen konnte. Eisen war sehr teuer, sodass man mancherorts die Votive gegen ein Entgelt ausleihen konnte (danach wurden sie wieder zur weiteren Verwendung in die Kiste gelegt).

    Votive aus Silber- oder gar Goldblech konnten sich nur die reicheren Wallfahrer leisten. Besonders oft scheint man Personen in Silberblech getrieben zu haben, doch gibt es aus diesem Material auch fast alle anderen Körperteile und auch Tiere, insbesondere Pferde. Mitunter ist in diese Votive der Schriftzug „Ex voto” eingedrückt. Bei den Votiven aus Ton dominieren die Tonkopfurnen, von denen die meisten ähnlich altartige Eindrücke erwecken wie die Eisenvotive. Ein neuer, noch umfangreicherer Fund im niederbayerischen Altenkirchen dürfte unsere Kenntnisse erweitern.

    Rudolf Kriss hat im dritten Band seiner altbayerischen Gnadenstätten die vornehmlich in den 1920er und 30er Jahren auch erwanderten Votivgaben in Listen und Karten, die ins angrenzende Österreich übergreifen, dargestellt. Seine Erklärung für die außergewöhnlichen Votivgaben gilt noch heute. Die meisten Votivgaben sprechen für sich und bedürfen daher keiner Erklärung. Votivherzen, meist aus Wachs oder Silberblech, sind ambivalent. Sie können Krankheitszeichen sein, stehen für Liebe und Treue, dürfen aber wohl meist als Identifikationsopfer gelten. Andere bedürfen der Interpretation. Zu ihnen gehört als interessantestes Beispiel die Kröte als Uterussymbol, die vor allem bei Frauenleiden geopfert wurde (meist aus Wachs, aber auch aus Silberblech oder gar aus Eisen geschmiedet). In Südtirol steht dafür die Stachelkugel. Als andere sinnbildliche Votive wurden Fraisen- und Kopfwehkränze, Erasmuswinden (gegen Leibschmerzen, weil die (sekundäre) Legende in Fehlinterpretation der Schiffswinde erzählt, man habe ihm mit einer Winde die Gedärme herausgerissen), Sebastianspfeile (gegen die Pest) und Messer (gegen alle stechenden Schmerzen).

    Von diesen außergewöhnlichen Votivgaben, die bewusst als solche gefertigt wurden, unterscheiden sich andere vorgefundene Gegenstände, die im Votationsakt ihre sinnbildliche Bedeutung erfuhren wie Hämmer und Schlüssel (Zeugung und Geburt), Löffel (Appetitlosigkeit und Verdauungsbeschwerden, Magenleiden, Erkrankungen des Mund- und Rachenraumes, Stummheit) und Besen (Geschwüre und Furunkel).[1181] Diese Gaben stehen den Opfern nahe, da man sie einige Zeit nach der Darbringung auch wieder gebrauchen konnte (wie das geopferte Getreide, den geopferten Flachs, die geopferten Kleider und die geopferten Tiere, Gaben, die aber keinen sinnbildlichen Charakter[1182] Mitunter sind auch auf den Votivtafeln Votivgaben abgebildet, um auf den Anlass hinzuweisen. Votivtafeln mit einer Kröte sind aber nur interpretierbar, wenn man um deren Bedeutung weiß.[1183]

  3. Votivtafeln: Die oben angeführten Bildquellen des späten Mittelalters und der frühesten Neuzeit zeigen viele unterschiedliche Votivgaben, mehrere zurückgelassene Zeichen und gelegentlich Geldopfer, aber keine Votivtafeln. Diese sind damals im deutschen Sprachraum noch äußerst selten (Soest um 1460, Wilten 1487, Altötting 1501, Nürnberg 1511), während sie in Italien schon weit verbreitet sind (Umbrien um 1400, Cesena ab 1450, Tolentino). Zu den frühesten (erhaltenen) Votivtafeln im deutschsprachigen Raum gehört auch jene aus dem Jahr 1606 in Mariastein. In den Mirakelbüchern des Erzbistums Salzburg werden von 1636 an (und dann fast regelmäßig) Bilder genannt.[1184]

    Lenz Kriss-Rettenbeck stellte beim Vergleich von Hunderten von Votivtafeln im katholischen Europa, in Mittel- und Lateinamerika „trotz der offensichtlich stark variierenden Ausdruckskraft und formalen Elemente auch innerhalb schichtspezifischer Darstellungsweisen eine erstaunlich starre und evidente Ordnung von signifikanten Elementen des Gebildes ‚Votivtafel'” fest. Diese Signifikanten sind:

    • A: Die anschauliche Vergegenwärtigung der überirdischen Macht, in der Regel in einer lichten, durch Wolken abgegrenzten Zone (Symbol der Trinität, Christus; eucharistisches Objekt; Heilige, zu deren Grab gewallfahrtet wird; Gnadenbilder).

    • B: Der Votant, meist in Orantenhaltung, der sich der überirdischen Macht zuwendet und sich in deren Gegenwart in seinem besten Gewand malen lässt. Er tritt nicht nur in eigener Sache in Aktion, sondern auch für andere, nahe stehende Personen.

    • C: Der Votationsanlass, der Grund, warum sich jemand an eine höhere Macht wendet.

    • D: Die schriftliche Information, die sehr umfangreich den Votationsanlass schildern, sich aber auch mit Ex voto und Jahreszahl begnügen kann.

    Viele Votivtafeln enthalten alle Signifikanten, doch gibt es auch Exemplare, auf denen nur drei, zwei oder gar nur eine der Signifikanten vorhanden sind. Die Signifikanten B und C können sich in einer Person vereinen, wenn sich etwa eine in einem Bett liegende Person selbst verlobt oder wenn sich eine von einem Unfall bedrohte Person selbst an ein Kultobjekt wendet.[1185] In romanischen Ländern, aber auch in den letzten Jahrzehnten sehr stark in Deutschland, haben sich Votivtafeln auf die Signifikante D reduziert.

    Die meisten Votivtafeln wurden auf Holz gemalt. Der größere Teil scheint von jenen gemalt worden zu sein, die auch die Möbel bemalten. Auf Leinwand gemalte Votivtafeln lassen meist einen Künstler erkennen. Dort, wo die Hinterglasmalerei florierte, gibt es auch viele, in dieser Technik gefertigte Votivtafeln. Gelegentlich kommen auch Bilder aus Blech vor. Das gestalterische Spektrum erstreckt sich von der naiven Malerei, der selbst geschaffenen Votivtafel über die Möbelmaler bis zu durch Künstler ausgeführte Arbeiten. Ein wichtiges Kriterium bildet dabei die Fähigkeit zur Anwendung der Perspektive. Nur höchst selten sind Votivtafeln signiert. Nicht selten stecken sie in kunstvollen Rahmen, welche die gleichen Merkmale aufweisen wie die Möbel.

    In der Signifikante A erhält das Hauptkultobjekt mitunter Unterstützung durch benachbarte Kultobjekte, durch den Namenspatron des Votanten oder einen Heiligen, der das Patronat über den Votationsanlass ausübte. In St. Walburg in Eichstätt, wo über 1.000 Votivtafeln hängen, gesellt sich zur Heiligen mitunter das Mariahilf-Bild der nahen Kapelle oder der heilige Willibald. Auf einer Tafel in Herrgottsruh bei Friedberg erscheint neben dem Gnadenbild der Zungenheilige Johannes Nepomuk, weil bei einem Neugeborenen nach dem Durchtrennen des Zungenbandes eine starke Blutung aufgetreten war. Auf vielen Votivtafeln fällt vom Gnadenbild ein Strahl auf den Hilfebedürftigen herab.

    Die ganze Theologie der Votivtafel enthält ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert aus Eichstätt: Ein Reiter droht in einem Nebengewässer der Altmühl zu ertrinken und wendet sich an die heilige Walburga um Hilfe. Diese liegt auf einer Wolke, richtet ihren Blick bittend an den dreifaltigen Gott und empfiehlt diesem mit einer Geste den Ertrinkenden. Dieses Geschehen wird von einem Gnadendstrahl begleitet. Er fällt vom Dreieck mit dem Auge Gottes herab, bricht sich im Gläschen mit dem Walburgisöl wie in einem Prisma und wendet sich dann dem Ertrinkenden zu. Deutlicher kann man die Theologie nicht zum Ausdruck bringen: Die Heilige bewirkt nicht selbst, nicht aus eigener Kraft das „Wunder”. Es geschieht (lediglich) auf ihre Fürbitte hin. Die Wirkkraft geht von Gott aus. Wie weit das in den Texten „Die Heilige Walburga hat geholfen” oder „Maria hat geholfen” noch bewusst ist, lässt sich kaum entscheiden. In Mirakelbuchtexten wird die Fürbitter-Funktion der Heiligen öfter angesprochen (und in Legenden wie in der „Legenda aurea” oder in „Der Heiligen Leben” erscheint sie relativ häufig).

    Auf den Votivtafeln der Barockzeit nennt sich der Votant meist mit Namen, Stand, Beruf und Ort, d. h. er bekennt sich, da die Tafel ja öffentlich aufgehängt wurde und jeder sie lesen konnte, zur erfahrenen Hilfe. Von der Aufklärungszeit an verstärkt sich die Tendenz zur Anonymität, doch geben sich auch noch heute manche Votanten zu erkennen. An manchen Orten verkünden auch gegenwärtig Votivtafeln in ganz traditioneller Weise, aber im Malstil unserer Zeit, dass Menschen geholfen wurde. Auf dem jüngsten Eichstätter Beispiel (aus dem Jahre 2001) schwebt die heilige Walburga über einem Radfahrer, der mit einem Auto zusammengestoßen war. Manchmal bedient man sich auch der Collage, auf der Fotografien das gemalte Bild ersetzen, doch sind das weitgehend Einzelfälle. Die überwältigende Zahl begnügt sich (wie z. B. in der Grotte im schwäbischen Maria Vesperbild) mit Tafeln, die lediglich die Signifikante D berücksichtigen.

    Nicht mit den Votivtafeln verwechseln darf man die Mirakelbilder, auch wenn sie mitunter diesen gleichen. Votivtafeln werden bald nach erfahrener Hilfe in Auftrag gegeben und aufgehängt, gelten also als originäre Zeugnisse. Der Votant bringt sie selbst (oder ein von ihm Beauftragter) zum Wallfahrtsort. Dargestellt ist sein Fall und er erkennt sich auf dem Bild wenigstens in seiner Kleidung (bei künstlerisch hochwertigen Bildern darf man auch Portraithaftigkeit unterstellen). Im Mirakelbild fehlt dieser unmittelbare Bezug, es ist ein sekundäres Produkt. Es kann Jahrhunderte später entstanden sein, wenn die Geistlichkeit am Wallfahrtsort zur Ausschmückung der Kirche einem Maler den Auftrag erteilte, Mirakelbilder zu schaffen. Man legte dem Künstler dann die Mirakelbücher (oder auch besonders auffallende Votivtafeln) vor und gab ihm den Auftrag, besonders markante Beispiele ins Bild umzusetzen. Entscheidend ist dabei nicht der zeitliche Abstand zur Votation, sondern die fehlende Unmittelbarkeit. Mirakelbilder wurden in einer Serie gemalt und aufgehängt (wie z. B. in Tuntenhausen oder in Dettelbach) oder man bot dem Freskanten Wände und Decken der Kirche an (wie z. B. in Inchenhofen oder in Maria Steinbach), sie können aber auch Mirakelbücher illustrieren (wie beim Wunderbarlichen Gut in Hl. Kreuz in Augsburg).

    Zu den frühesten Beispielen gehören die Mirakelbilder im Umgang der Gnadenkapelle in Altötting. Mirakelbilder wurden auch in Holzschnitten verbreitet. Albrecht Altdorfer erhielt 1519 den Auftrag, für 15 Mirakel bei der Schönen Maria in Regensburg Holzschnitte anzufertigen. Von 25 Mirakeln des großen Wunderaltars in Mariazell, der in den Jahren 1518 bis 1522 errichtet wurde (heute im Landesmuseum Johanneum in Graz), erschienen (vermutlich in Augsburg) Holzschnitte.[1186]

    Weit seltener (und noch kaum registriert) ist das Mirakelflugblatt. Selbst in Augsburg, wo sehr viele Einblattdrucke erschienen, lassen sich (bisher) nur zwei Exemplare nachweisen. „Ein groß Wunderbarlich vnnd vnerhörtes Mirackel”, das sich in Reims ereignete, wurde 1589 gedruckt und ein Augsburger Mirakel, das sich 1648 beim Wunderbarlichen Gut ereignet hatte, wurde noch im gleichen Jahr publiziert. Die langen Texte mit ihrer stark ausgeprägten propagandistischen Tendenz entsprechen ganz den Einblattdrucken.[1187]

  4. Der Eintrag für das Mirakelbuch[1188] Von Mirakelbüchern war bereits wiederholt die Rede. Die „Anzeige” des „Wunders” erfolgte oft persönlich und dann meist in der Sakristei, wo sie ein Geistlicher in das Mirakelbuch schrieb, oder durch ein abgeschicktes Schreiben, ein Attest, das vielfach die Bestätigung des Pfarrers trug. Mitunter schreibt der Votant nicht selbst, sondern sein Pfarrer. In den Akten der Wallfahrtsorte oder als lose Zettel eingelegt in die gebundenen Mirakelbücher finden wir noch solche Einzelzettel, die an den Wallfahrtsort geschickt worden waren. Die Texte gebrauchen neben dem Wort „anzeigen” auch die Wendungen „bezeugen, dass”, „schriftlich bekennen” oder „bei seinem Gewissen bekennen”, „beteuern (mit einem leiblichen Eid, sub formali und vorgelesenem Aid)”, „beglaubigen, dass”. Die starke Verankerung des Wortfeldes im rechtlichen Bereich (s. o. zu den Zeugen) zeigt, wie ernst die Menschen die „Wunder” nahmen, aber auch wie sie dieses absetzten von allen phantastischen Trugbildern. Sie erlebten das „Wunder” als Teil ihrer Wirklichkeit.

    Das einzelne Mirakel kann dem Umfang nach von wenigen Zeilen, die nur die wichtigsten Angaben enthalten, bis zu umfangreichen Schilderungen reichen. Mehr oder minder ausführlich setzt sich das einzelne Mirakel (den Signifikanten der Votivtafeln vergleichbar) aus folgenden Angaben zusammen, wobei das Kultobjekt (A) meist nur kurz im Verlauf des Textes erwähnt wird:

    1. Der Votant (B), vielfach mit Namen, mitunter auch mit Stand und Beruf, meist auch mit Nennung des Wohnortes. Die Herkunft des Votanten markiert die Ausstrahlung, die von einem Wallfahrtsort ausging, wobei bei extrem weit entfernt liegenden, aus dem Rahmen fallenden Orten nachzufragen ist, ob sich der Votant zum Zeitpunkt des Mirakels nicht in der Nähe des Wallfahrtsortes aufhielt (im Dienst stehend oder auf der Durchreise), dennoch aber seinen fernen Geburtsort angab. Die Ortsnamen und ihre nähere topographische Charakterisierung leisten einen Beitrag zur historischen Geographie. Die Berufs- und Standesangaben im handgeschriebenen Mirakelbuch gewähren einen Einblick in die Sozialstruktur einer Wallfahrt, nicht aber ohne weiteres die gedruckten Mirakelbücher (und die erhaltenen Votivtafelbestände), da in ihnen hohe Standespersonen bevorzugt und Angehörige der Unterschicht oft übergangen wurde, es sei denn, es handelte sich um ein ganz außergewöhnliches Mirakel (vgl. z. B. das Eichstätter Mirakelbuch „Benediktinisches Weltwunder” (s. o.) und den Votivtafelbestand in St. Walburg).

    2. Der Votationsanlass (C): Hier können die Angaben von knappen Bemerkungen bis zu ausführlichen Krankheitsbildern und Unfallschilderungen anwachsen. Krankheiten werden meist – nach damaligem diagnostischem Kenntnisstand – wenigstens kurz näher erläutert (z. B. „ein knabe, der bey zweyen Jahren lang ein gefährlichen Hauptfluß gehabt oder ein Sohn, welcher das fieber 15 Wochen gehabt”). In ausführlicheren Berichten scheint die ganze Not auf, in welche die Krankheit damals – viel stärker als heute – die Menschen brachte. Ein Mann aus Grünenbaindt z. B. klagte, dass er wegen eines Schadens an der Hand, „welcher aber nicht wohl traktiert worden, nicht nur uneinbildliche Schmerzen ausgestanden”, sondern sich der Gefahr ausgesetzt sah, die Hand zu verlieren. Bisweilen habe er vor „Schärpfe und Heftigkeit der quälenden Schmerzen so jämmerlich geschryen, dass er auch die Leuth aus dem Hauß darmit vertrieben” (Biberbach 1756). So werden Mirakelgeschichten zu erschütternden Dokumenten menschlicher Not und Hilflosigkeit und wir empfinden Verständnis dafür, dass der Mensch in seiner Ausweglosigkeit, nachdem kein Bader und Arzt helfen konnte, Hilfe an einem Gnadenort erhoffte.

    3. Die Votation und das Gelübde: In dieser Passage erfahren wir manches über das Kultobjekt. Der Votant gibt an, welche Opfer und welche geistliche Übungen er verspricht.

    4. Feststellung der erlangten Hilfe, die oft schon darin bestand, dass die Schmerzen nachließen (s. o.).

    Manche Mirakeltexte erwecken den Eindruck, als wären sie nach einer formularartigen Vorlage verfasst, doch rührt dieser Eindruck im Aufbau von den Gegebenheiten her, die ein Bericht über ein Mirakel von der Sache her mit sich bringt. Im Stil wirken sich die Sprachgewohnheiten des Schreibers aus. Dass sich bei einem Wallfahrtspriester, der über Jahre hin die angezeigten Mirakel anhörte und niederschrieb, bestimmte Wendungen und Darstellungsweisen verfestigten, liegt im Vorgang selbst begründet. – Im Allgemeinen wurden die Mirakel fortlaufend niedergeschrieben.

    Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte es, die angesammelten Mirakelberichte aus den einzelnen Wallfahrtsorten auch als Buch herauszugeben. Damit wurde der Ruhm des Ortes vermehrt, denn an Beliebtheit standen die Mirakelbücher den Heiligenlegenden nicht nach. Selbstverständlich steckt hinter der Drucklegung vielfach auch eine propagandistische Absicht.

    Früh beginnt das eben erst aufgeblühte Altötting mit dem Druck von Mirakelbüchern (Augsburg um 1494, Nürnberg 1497). Vierzehnheiligen gab 1519 in Nürnberg ein Mirakelbuch in Druck. Tuntenhausen brachte seit 1527 jährlich kleine Heftchen heraus, vermutlich auch Altötting, auch wenn sich nur ein Exemplar aus dem Jahre 1540 erhalten hat. Bedeutung erlangte dann aber erst das Buch von Martin Eisengrein (Ingolstadt 1571 und 1588). Andechs gab seit 1572 wieder Chroniken, Heiltums- und Mirakelbücher heraus. Inchenhofen ließ von 1585 an Mirakelbücher in Druck gehen. Eucharius Sang, der Weihbischof Echters, besorgte 1606 das lateinische Mirakelbuch von Dettelbach und im Jahr darauf eine deutsche Übersetzung. Sang übernahm aus Trithemius (1511) die Entstehungsgeschichte und 14 Mirakel. Er erzählt nicht nur die Mirakel, sondern leitet von ihnen pastorale Ermahnungen ab. Immer wieder bittet er den Himmel, die von der Wahrheit Abirrenden durch die Zeichen in Dettelbach zu bekehren und zur katholischen Kirche zurückzuführen. Unter den neueren Mirakeln fallen einige auf, welche die Heilung von Gegnern der Marienverehrung wie Lutheraner oder Calvinisten zum Gegenstand haben.[1189]

    Im 17. und 18. Jahrhundert steigerte sich die Zahl der gedruckten Mirakelbücher und selbst weniger bedeutende Wallfahrtsorte brachten Mirakelbücher heraus. Dabei wurden die einzelnen Mirakel bearbeitet und meistens von der chronologischen Anordnung in den Handschriften in eine thematische Ordnung gebracht.

    Ganz selten wurden in ein Buch nur Mirakel aufgenommen. Jene Mirakelbücher, die sich auf einen Heiligen beziehen, bringen vor den Mirakeln dessen Vita. Andere Mirakelbücher, wie die zum Wunderbarlichen Gut in Augsburg und die von Wallfahrten zu Gnadenbildern, ersetzen die Vita durch eine Historia. Daneben enthalten die Mirakelbücher oft auch Gebete und Andachten und Kalender der Ablass- und Wallfahrtstage.[1190]

    Die in den Mirakelbüchern und auf den Votivtafeln genannten Personen sind keine fiktiven Größen, sondern konkrete, in anderen Quellen (Matrikel, Steuerbücher und Urbare, Amtsprotokolle und Gerichtsakten) feststellbare Personen. Von daher gelten Mirakelbücher und Votivtafeln als wichtige biographische und prosopographische Quellen (die leider kaum genützt werden).[1191] In ihnen tauchen zudem viele interessante Details zur Geschichte des Alltags auf. Das trifft auch auf die Votivtafeln zu. Sie sind wertvolle Bildquellen für die Geschichte des Hausbaus, für die Einrichtung der Häuser insbesondere für die Möbel, für Hausrat und Wäsche, für die Kleidung, für Arbeit und Gerät, sogar für die Viehbestände.[1192] Die Auswertung kann nur – wie bei anderen Zeugnissen der Vergangenheit auch – mit entsprechender Quellenkritik erfolgen.

8.3.5. Opfer und Gebete

Wenn schon Wallfahrtskirchen eines mittleren Einzugsgebietes in Architektur und Ausstattung von den Kunsthistorikern zu den bedeutenderen kulturellen Leistungen einer Region gezählt werden, dann sollte immer bewusst bleiben, dass dieser Aufwand nur möglich wurde, weil die Wallfahrer entsprechende Beiträge in die Opferstöcke legten, von denen die Kirchenverwaltung die Rechnungen der Künstler auch bezahlen konnten. Es entspricht der Volksfrömmigkeit, dass mit der Bitte um Erhörung in einem bestimmten Anliegen, aber auch mit dem Besuch des Kultortes, nur um einer frommen Übung nachzukommen, und erst recht um Dank abzustatten, eine „Gegenleistung” korrespondiert. Diese „Gegenleistungen” beinhalten die verschiedensten Ausdrucksformen und Materialien. Sie reichen vom Scherflein, das die arme Witwe in den Opferstock legt, bis zum kostbaren Ausstattungsstück der Kirche, das ein reicher adeliger Herr stiftet. Sie reichen von der einfachen handgeformten Votivgabe oder der naiv gemalten Tafel bis zum Kunstwerk, in dem ein Goldschmied den Votanten nachbildet oder ein hochbegabter Maler das Votationsgeschehen im Bild lebendig werden lässt. Sie reichen von der Zinsbarmachung der einfachen Leute zu den mit Blut unterschriebenen Weihebriefen der Fürsten, von den gespendeten Naturalien und geopferten Tieren zu herrlichen Pretiosa.[1193]

Bei der Schönen Maria in Regensburg machten 1519 fast die Hälfte der versprochenen „Leistungen” Wachsvotive aus. Die nächst größere Gruppe bilden die heiligen Messen (13 v. H.), [von Hundert (= %)] dicht gefolgt von den Opfern in Geld und Wertgegenständen (11,3 v. H.), während Bekleidungsstücke (8,5 v. H.) und Tieropfer (7,8 v. H.) etwas dagegen abfallen. Diese Opferbräuche werden ergänzt durch das Flachsopfer, die Eisenopfer und die Hühneropfer. Maria Angela König hat in sieben Tabellen erfasst, was in Altötting von 1492 bis 1806 geopfert wurde (Geld, Kleinodien und Silbervotive, Flachs, Hühner, Groß- und Kleinvieh, Butterschmalz, die Erlöse aus verkauftem Wachs, aus Leinwand und Kleidern). Aus diesen Opfern lässt sich nicht nur der deutliche Niedergang der Wallfahrt im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts zum Tiefpunkt im Jahre 1560 ablesen, sondern auch der steile Aufschwung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu den Höhepunkten zwischen 1620 und 1720. Dabei erreichen die einzelnen Linien durchaus unterschiedliche Höchst- und Tiefpunkte. Wie stark mittelalterliche Formen in Neukirchen noch bis ins 17. Jahrhundert nachwirkten hat Walter Hartinger nachgewiesen (s. o.). Im 18. Jahrhundert steigen dort dann die versprochenen Gottesdienste und Gebete deutlich an (68, 6 v. H. gegenüber 13,2 v. H.).

Das 18. Jahrhundert kennt bei den Textilien lediglich ein Altartuch, während die Epoche vorher vier Altartücher, zwei Ornate, Flachs, Kreuzfähnlein, acht weiße oder rote Seiden, eine Weste oder „Khindtspfaidlein” und ein rotes Wolltuch aufführt. Bei den Hühneropfern fällt die Zahl zwar schon 1680 von vorher 80 Stück auf 30 ab, steigt dann aber kurz vor und nach 1700 wieder leicht an, um dann deutlich zu sinken und von 1730 an bedeutungslos zu werden. Ähnlich verläuft die Linie beim versprochenen Flachs. In Dorfen setzte diese Entwicklung erst später ein. Dort erreichten die Schmalz- und Flachsopfer zwischen 1720 und 1730 den Höhepunkt, um dann nach einigen Schwankungen nach 1760 deutlich abzunehmen, während sich die Opferstockgefälle, die versprochenen heiligen Messen und Kommunionen weitgehend auf der gleichen Höhe bewegen. In Altötting sinken ab 1720 die Flachsopfer, die Opfer an Groß- und Kleinvieh (die ab 1765 verschwinden), die Hühneropfer, die allerdings um 1750 wieder einen kurzen Anstieg erfahren, und die Opfer an Butterschmalz, während die Erlöse aus Leinwand und Kleidern nach 1730 keine Rolle mehr spielen.[1194]

An den Wallfahrtsorten des Salzburger Erzbistums scheint man dieses breite Spektrum von Opfern nicht gekannt zu haben. Tieropfer kommen höchst selten vor, Flachsopfer scheinen ganz zu fehlen. In Maria Alm fallen die Kleider für das Gnadenbild, die Messgewänder und die Altarwäsche auf. Unter den Opfern befinden sich auch Brautkränze. In der Mariazeller Kapelle in St. Peter dominieren die Andachten.[1195]

Im 18. Jahrhundert nahmen die geistlichen Verlöbnisinhalte gegenüber den dinglichen früherer Zeiten deutlich zu. Bei den Bergheiligtümern wurden gerne Kirchen- und Wallfahrtstreppen gebaut, die als Verkörperung des „schwierigen Weges nach oben” empfunden und daher oft in die Votation einbezogen wurden. Als Erschwerung des letzten Stückes Weg (s. o.) zur Wallfahrtskirche, das zudem noch als Zählinstrument für Gebete und Andachtsformen erschien, war die kultische Begehung der Stiegen und Treppen fest im Programm verankert (vgl. z. B. Maria Hilf in Passau, Dorfen, Mariastein).

Gemeinschaftswallfahrten werden oft vom Priester und den Ministranten empfangen und unter Glockengeläut zur Kirche geleitet. Gruppen und Gemeinschaften ziehen in der Regel nicht gleich in die Kirche ein, sondern umschreiten sie zunächst dreimal (oder wenigstens einmal). Vor allem Einzelwallfahrer, aber auch kleinere Gruppen, vollzogen das Umschreiten, in noch stärkerem Maße, indem sie auf den Knien rutschten. Als Bußübung war diese Form schon bei den Stiegen beliebt.

Bei den Frauen hielten sich solche Formen offensichtlich länger als bei den Männern, bei slawischen Völkern länger als bei deutschsprachigen. Rudolf Kriss fühlte sich als Beobachter der Bräuche am ungarischen Wallfahrtsort Maria Gyüd um drei Jahrhunderte zurückversetzt, wobei ihm der Unterschied im Verhalten der deutschen und der kroatischen Wallfahrer besonders auffiel. Bei der kroatischen Bevölkerung beobachtete er: „Fast alle Wallfahrerinnen kriechen auf bloßen Knien dreimal um den Altar und küssen die Mitte der Mensa sowie die Altarwände links und rechts vom Durchgang.”[1196] Besonders eindrucksvoll wirkten die Bußgottesdienste in Mariazell über die wir durch das so genannte Bußbuch von 1494 gut informiert sind. Manches hielt sich bis in die Barockzeit.

Bei der Wiener Wallfahrt des Jahres 1688 gingen beim Einzug in die Kirche 800 Pilger mit ausgespannten Armen, 98 geißelten sich ein Vaterunser lang, viele warfen sich auf den Boden, andere tranken Essig und 136 schleppten schwere Kreuze. In vergleichbarer Intensität finden sich derartige Formen noch in romanischen Ländern.

Größere Wallfahrtsorte boten – neben den heiligen Messen, für die man die vielen Altäre benötigte – vielfältige Andachtsformen, die einerseits speziell auf den Wallfahrtsort bezogen waren, die andererseits auch an anderen Orten üblich waren (Rosenkranz, Lauretanische Litanei, Salve regina, Englischer Gruß, Ölbergandacht und Kreuzweg, seit dem 19. Jahrhundert insbesondere an marianischen Orten Maiandachten). Daneben stehen besonders Beichte (weswegen in den Wallfahrtskirchen noch heute ungewöhnlich viele Beichtstühle stehen) und Kommunion.[1197] Das Wallfahrtswesen scheint gegenwärtig wieder aufzublühen. Rom würdigte das im letzten Jahr mit einem Direktorium zur Volksfrömmigkeit.



[1151] Diesen Titel wählte Juliane Roth für ihr kleines Büchlein, in dem sie Votivtafeln bayerischer Wallfahrtsorte vorstellte ([RothJ 1990]). Alfred Weitnauer entschied sich für sein kleines Büchlein, in dem er nicht nur Votivtafeln präsentierte, sondern auch den Text des Mirakelbuches von Maria Steinbach von 1738 abdruckte, für den Titel: „Himmel voller Helfer, Welt voller Wunder” ([Weitnauer 1969]).

[1152] Zwingli begründete seine Ablehnung damit:

  1. Der Interzession der Heiligen fehle die biblische Begründung.

  2. Der Heiligenkult führe in Verbindung mit der Bildfrömmigkeit zur Idolatrie.

  3. Die Verehrung der Heiligen distanziere die Gläubigen von Christus.

Johann Gerhard, der wohl berühmteste Vertreter der lutherischen Orthodoxie, entfaltete zwar ein positives Verständnis der Heiligen, zog aber auch die Grenzen zu den Katholiken:

  1. Die Heiligen dürfen nicht in religiöser Weise angerufen werden.

  2. Ihre Reliquien dürfen nicht kultisch verehrt werden.

  3. Ihre Bilder dürfen nicht verehrt werden.

  4. Wallfahrten zu den Orten der Heiligen sind nicht gestattet.

  5. Verlöbnisse zu den Heiligen sind verboten.

[Jezler 1990], hier S. 297; [Köpf 1990], hier S. 331. In den protestantischen Gebieten setzten sich diese Verbote nur schwer durch (vgl. [Guth 1984], hier S. 372–374 (Kult und Wallfahrt in evangelischen Territorien – Formen konfessioneller Mischkultur).

[1153] [PötzlW 1994], S. 193–210.

[1154] [Neuhardt 1986], S. 101–304 (Mirakelbücher). Hier werden die Einträge der Mirakelbücher von 16 Wallfahrtsstätten der Erzdiözese Salzburg erfasst (auf die bereits 1973 publizierten von Mariastein bei Wörgl wird verwiesen). Nur wenige reichen ins Mittelalter zurück (St. Virgil, Erentrud, Eberhard I., Vitalis), die Masse der Mirakel gehört dem 17./18. Jahrhundert an, aus dem 19./20. Jahrhundert haben sich Aufzeichnungen lediglich im Loreto-Kloster in Salzburg (bis 1985) und in Maria Kirchenthal (bis 1937) erhalten. Eine Auswertung erfolgt nicht, doch gibt Josef Thurner jeweils zu ausgewählten Beispielen medizinische Deutungen. Vgl. dagegen: [BachmannH 1973]; [Grabner 1984]. Aus den umfangreichen Arbeiten an Mirakelbüchern in Deutschland vgl. (in Auswahl): [Harmening 1966]; [Hartinger 1971], hier S. 157–172 (Auswertung der Mirakelbücher); [Döring 1979], hier S. 173–195 (Die Mirakelbücher); [Gribl 1981], S. 227–408 u. Anhang; [Hartinger 1985], S. 92–100 u. Anhang; [Drascek 1987], S. 95–108; [KaiserS 1989], S. 142–155; [Habermas 1991]; [Kohlberger 2003].

[1155] Aufgrund der Untersuchung der Mirakelbücher von Altötting (Ende 15. Jahrhundert bis Mitte 17. Jahrhundert), des heiligen Benno in München (Anfang bis Mitte 16. Jahrhundert) und von Tuntenhausen (Anfang 16. bis Mitte 17. Jahrhundert) kommt Barbara Schuh zu dem Ergebnis: „Die Untersuchung der obgenannten Mirakelbücher zeigt deutlich die Dominanz bestimmter ähnlicher, wiederkehrender Inhalte gegenüber einer verhältnismäßig geringen Anzahl ‚besonderer' Erscheinungen. Die Anliegen der Wallfahrer z. B. betreffen zu beinahe 70% die Heilung von Krankheiten. Die restlichen Angaben beziehen sich auf die Wiederbelebung von Toten oder Totgeglaubten, auf Hilfe in lebensbedrohlichen Situationen wie etwa bei Feuersnöten, Gefangenschaft und Selbstmordversuchen, bei privaten Problemen (Streitigkeiten, Geldnöte etc.) und schließlich in gefahrvollen Situationen, in denen der/die Hilfesuchende eine Wallfahrt verspricht, aus Angst davor, dass ihm/ihr im nächsten Augenblick etwas passieren könnte, und er oder sie von dem/der Heiligen erhört wird, bevor er/sie in irgendeiner Form Nachteiliges erleidet. Auf Versprechen dieser Art treffen wir vor allem in Zusammenhang mit Unfällen” ([Schuh 1992]).

[1156] [Harmening 1966], S. 62–66 (Topik der Mirakelliteratur); [Theopold 1978]; [Theopold 1981]; [Theopold 1983]; [Thurner 1986], S. 85–89.

[1157] [Neuhardt 1986], S. 112–142; [KramerKS 1951], S. 80–102; [KramerKS 1991]; [PötzlW 1984], hier S. 498f; [PötzlW 1993a], hier S. 940f.

[1159] Bei der großen Kinderzahl und der hohen Säuglingssterblichkeit zeigt sich in diesen Votationen auch eine andere Einstellung zu den Neugeborenen (vgl. [ImhofAE 1984], S. 160–169).

[1160] [StadlerG 1986] (mit Karten zum Nonnberg, zu Maria Plain, Maria Kirchenthal, Dürrnberg und Tamsweg – darunter auch solche zu den Gebetserhörungen).

[1161] Vgl. im Beitrag „Patrozinien und Heiligenverehrung” im Abschnitt „Patrone und Patronate” vor allem die Passagen über Florian, Leonhard, Ulrich und Barbara. In: [Luidold/Kammerhofer-Aggermann 2003].

[1164] [Hanisch 1986]. Die letzte Seite (Stand 24. 1. 2003) des Eintragebuches in St. Walburg in Eichstätt enthält nur Bitten um den Frieden in der Familie.

[1166] [Harmening 1966], S. 47ff. (Begriff „Mirakel”); [PötzlW 1979], S. 43f; [Neuhardt 1986]; [PötzlW 1997b], hier: S. 671f. (Die Titel).

[1167] [PötzlW 1979], S. 43f; [Harmening 1966] S. 56–59 (Legitimation des Mirakels).

[1168] Strapaziöse Wallfahrten auf sich zu nehmen erfreut sich wieder größerer Beliebtheit. Der Jakobsweg durch Frankreich und Nordspanien erlebt seit gut zwei Jahrzehnten geradezu eine Renaissance. Auch andere anstrengende Wallfahrten wie der Vierbergelauf in Kärnten, die Wallfahrt des Landvolks vom Westallgäu nach die Regensburger Wallfahrt nach Altötting oder die Würzburger Kreuzberg-Wallfahrt weisen eine steigende Frequenz auf ([Gerndt 1973]; [Brückner 1984]; [Brückner 1997]) Die Motive für eine Wallfahrt zu erfassen ist nicht leicht. Sie reichen vom sportlichen Ehrgeiz bis zu den traditionellen Wallfahrtsmotiven, vermischen und überlagern sich. Eine große Rolle spielt das Gemeinschaftserlebnis. Für viele gilt der Weg schon als Ziel. Auf der Wallfahrt zu sich selbst finden, scheint für viele als wichtiges Motiv zu gelten. „Bisherige Untersuchungen konstatieren sowohl eine Parallele zu sportlichen Moden unserer Freizeitgesellschaft als auch die Entdeckung der Erlebnisqualität einer wenigstens tageweisen religiösen Alternative zum Stress des modernen Alltags.” ([Brückner 1997], S. 165). Um das Wallfahrtswesen erfassen zu können bedarf es eines angemessenen Zugangs und um sich gar an die Motive heranzutasten großer Subtilität (als Negativbeispiel darf gelten: [Scharfe 1985]; vgl. dazu meine Rezension [PötzlW 1989]). Zum Grundsätzlichen: [Brückner 1970]; [Baumer 1971]; [AssmannD 1979].

[1169] [Zoepfl 1934]; [Möhler 1993], Abb. 2; [PötzlW 1997a], S. 499–503. (Auf dem Weg zum Kultor [PötzlW 1993a], S. 942f.)

[1170] [Grünn 1975]. Die Beiträge behandeln folgende Themen: Via sacra. Zur Geschichte der „Heiligen Straße” zwischen Wien und Mariazell (Schmidt, L.); Wegweiser zur Magna Mater Austria. Denkmale der Volksfrömmigkeit an der Via sacra (Schneeweis, E.); Die Wallfahrt König Ferdinands V. von Ungarn nach Mariazell im Jahre 1833 in den Bildern von Eduard Gurk (Feuchtmüller). [DünningerJ/Schemmel 1970]; [PötzlW 1997a], S. 501f.

[1171] [DünningerH 1988]; [PötzlW 1997a]; [PötzlW 1993a]; [Bernleithner 1966], Karte „Wallfahrtsorte in Österreich” (in Auswahl), wo bei einzelnen Wallfahrtsorten Zeichen für Baumkult, Bergkult und Quellenkult eingetragen sind. [AssmannD 1979], Kommentar S. 19f.

[1173] Vgl. z.B. [Ammann 1988]; [Angenendt 1994]; [BrücknerW 1989].

[1174] [KramerKS 1951]; [PötzlW 1978]; [Neuhardt 1986], S. 117–142, Katalog Nr. 262.

[1175] [PötzlW 1997a]; [PötzlW 1993a]; [Harmening 1966]; immer noch grundlegend: [Kriss-Rettenbeck 1971] (dazu jetzt: [Gockerell 1995]); [Neuhardt 1986], S. 305–398 (Katalog) Nr. 248 (Erentrudishäubchen). Neuere Publikationen (in Auswahl): [Niehoff 1999] (darin u.a. [Gockerell 1999]; [Brückner 1999]; [Kürzeder 1999]; Katalog, S. 303–492, mit vielen Beispielen); [PötzlW 2000a], S. 41–60 (Wallfahrtsbrauchtum).

[1176] Vgl. die in Anm. 4 genannten Arbeiten, ferner: [FinkenstaedtH/FinkenstaedtT 1981]; [Wiebel-Fanderl 1984]; [Kriss 1951], S. 59ff. ferner die Beiträge in: [Niehoff 1999] – über die Verbreitung der Gnadenbilder von Ettal (Koch, Laurentius), Mariahilf (Hartinger, Walter), Herzogspitalmuttergottes (Schieder Werner), „Mutter der Schönen Liebe” (Winhard, Wolfgang) und Bogenberg (Lechner, Gregor M.).

[1177] Ergänzend zur umfangreichen Rosenkranz-Literatur ([500 Jahre Rosenkranz 1975]; vgl. die verschiedenen Artikel in Marienlexikon 5. [Neuhardt 1986], S. 306 –338 (= Katalog: Rosenkränze, Anhänger, Amulette); [HartmannAn 1994] (ein Beitrag, der sehr viele Inventare einbezieht). Viele Soldaten führten einen Gebetsring, einen so genannten Soldatenrosenkranz, mit sich; ältere Frauen tragen noch heute einen Rosenkranz „in der Tiefe der Tasche”, bei manchen Autofahrern ersetzt Rosenkranz die Christophorus-Plakette (vgl. z. B. das Angebot in der Autobahnkapelle bei Adelsried).

[1178] [Harmening 1966] (Promulgation de Mirakels: a) Die private Promulgation; b) Die offizielle Promulgation); [PötzlW 1979], S. 45f; [PötzlW 1994], S. 201.

[1179] [Kriss-Rettenbeck 1972], S. 32ff, Fig. 4–7, Abb. 1–12, S. 76–87 (Bildquellen); [Brückner 1982], S. 279; [Unglaub 1982] (zur Leonhardsverehrung vgl. den Beitrag: Patrozinien und Heiligenverehrung).

[1181] [Kriss-Rettenbeck 1972], S. 273–297 (Präsentatio), S. 414–417 (Register der Votivgaben); [Kriss 1953]. Aus der umfangreichen Literatur über Votivgaben (in Auswahl): [Kriss-Rettenbeck 1971]; [Gockerell 1995]; [Neuhardt 1977]; [Neuhardt 1986] (mehrere Votivgaben im Katalog); [Hipp 1984]; [Ritz 1981].

[1182] So erzählte mir vor etwa 20 Jahren eine Frau in Dinkelscherben, dass man früher nach einiger Zeit die Besen aus der Kapelle holte und im Haus verwendete.

[1183] Vgl. z.B.: [Gockerell 1995], S. 115; [PötzlW 1994], S. 204.

[1184] [Kriss-Rettenbeck 1972], Abb. 27–50; [Massaccesi 1972]; [BachmannH 1973], nach S. 120; [Neuhardt 1986], S. 115f (Vitalis).

[1185] [Kriss-Rettenbeck 1972], S. 155–227 (hier vor allem S. 156 ff.); [Beitl 1973]; [Harvolk 1979].

[1186] [Halm 1925]; [Kriss-Rettenbeck 1972], S. 215; [Wunder 1883]; [KrennP 1966]; [Herzogenberg 1992]; [Harmening 1976]; [Tüskés/Knapp 1996], S. 443–469 (Die Illustrationsserien barockzeitlicher Mirakelbücher).

[1187] [SchillingM 1997]; [PötzlW 1997b], Abb. 2b (Seite aus dem Mirakelbuch vom Wunderbarlichen Gut von 1625) und Abb. 4 (Flugblatt von 1648); [PötzlW 1991], S. 165–169; [Hortzitz 1997], S. 74–77 (Text des Mirakels von Reims); zu einem frühen Beispiel: [BauerA 1957].

[1188] Vgl. die in den Anmerkungen 4, 6, 7, 15, 16, 22–24 genannten Werke, ferner: [Schuh 1989]; [SchneiderI 1990]; [Tüskés/Knapp 1996], S. 250–277 (Mirakelliteratur als sozialgeschichtliche Quelle. Eine qualitativ-quantitative Untersuchung).

[1190] [Bach 1963]; [PötzlW 1997b], S. 671–678 (Die Titel (s. o.), Von der Handschrift zum Buch, Mirakel im Kontext des Buches).

[1193] [PötzlW 1997a], S. 520–526 (Opfer und Votive).

[1194] Vgl. [Hartinger 1971]; hier S 157–172 (Auswertung der Mirakelbücher); [Hartinger 1985], S. 92–100 u. Anhang; [Gribl 1981], S. 227–408 u. Anhang.

[1195] [Neuhardt 1986], S. 101–304. Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die Mirakelbücher nicht immer sachgerecht ausgewertet wurden.

[1197] [PötzlW 1997a], S. 499–512 (Auf dem Weg zum Kultort; Kultobjekte und sanctitas loci; Die Ankunft; Wallfahrtsliturgie).

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