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11.24. Franz Zillner: „Der“ alpenbewohnende Salzburger 1865

11.24.1. Kommentar von Ulrike Kammerhofer-Aggermann

11.24.1.1. Der fremde Blick auf „den“ alpenbewohnenden Salzburger

Wenn Sie wissen wollen, wie „diese“ Salzburger (angeblich) waren, die jene Bräuche entwickelt haben, mit denen sich die vorliegende Ausgabe „Vom Frühling bis zum Herbst“ beschäftigt, dann lesen Sie diese Beschreibung „des“ Salzburgers von Franz Valentin Zillner (1816–1896). Aber Achtung, Sie sind nicht in einem Zoo gelandet, denn es ist die Bevölkerung unseres Bundeslandes um etwa 1865 gemeint!

Dieser Text, noch stark geprägt vom ethnografischen Blick der aufgeklärten Staatsreformer, bereits gemischt mit der bürgerlichen Suche nach den Altertümern und Besonderheiten der eigenen Kultur, beschreibt dem Städter das „exotische Landvolk“, den „Älpler“ im eigenen Lande. Solche Texte waren ursprünglich als Volksbeschreibung und Ausgangspunkt für Reformen gedacht, sie wurden allerdings bald zum Genre im bürgerlichen Blick auf die einfache, nicht städtische und nur einfachst gebildete Bevölkerung. In diesen Texten, ihrer bildungsbürgerlichen Überheblichkeit, ihrer Sehnsucht nach Exotik und Suche nach den Wurzeln der ruralen Gesellschaft, ist ein Vorläufer der Volkskunde zu sehen. Bis heute hat sich der laienhafte Blick, der spielerisch-träumerische Umgang mit den Menschen, ihren Lebensformen und Äußerungen in anderen Gesellschaftsgruppen oder vergangenen Lebenswelten in der populären Begeisterung für volkskundliche Themenbereiche erhalten.

In seiner Darstellung des Salzburger Familienlebens ist Zillners ernsthafter und allem Unnotwendigen abgeneigter Charakter und damit auch seine Kritik an der – offenbar Wiener – neuen bürgerlichen Gesellschaft zu spüren, deren gesamte Lebensformen auf gesellschaftliche Repräsentation angelegt waren. Ein Zug, den wir bei vielen Wissenschaftlern, besonders Ärzten seiner Zeit finden, die aus einfachen Verhältnissen stammend berühmt wurden und die in größter Bescheidenheit und Zurückgezogenheit ihre humanistischen Ideale lebten.

Mit Zillners Werdegang und Wirken sowie mit seiner Herkunft als Sohn eines Handwerkers im Bergbau zu vergleichen wäre etwa der berühmte Augenarzt Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Ritter von Arlt (1812–1887), dessen Sohn Marie, die Tochter des Gasteiner Badearztes Dr. Benedikt Hönig Edler von Hönigsberg (1813–1887, ab 1856 in Gastein), heiratete. Auch Arlt lehnte den Prunkt der Wiener bürgerlichen Gesellschaft ab und ordinierte in seiner Freizeit kostenlos für Arme und Studenten in Wien sowie im Sommer für die Bergarbeiter seines Geburtsortes Obergraupen im Erzgebirge, denn er selbst war Sohn eines Bergschmiedes und erreichte seine Ausbildung mit Freitischen und der Tätigkeit als Hauslehrer.[4355] Die Salzburger Gesellschaft muss in großer Diskrepanz zur Wiener gestanden sein, denn auch Marie Arlt, geb. Hönig, schrieb um 1910 in ihren Jugenderinnerungen an Gastein über die gesellschaftlichen Kontakte zu den „Salzburger Patrizierfamilien“: „Waren sie auch einfach die [...] von Salzburg: Schnittwaren- und Kolonialwarenhändler, so waren doch alle lang ansässig, vermögend, ihre [...] gebildet und strebsam und erinnerten an venetianische Kaufherrenfrauen (Trientl, Gschnitzer etc. Zeller).“[4356]

In Zillners Schilderung sehen wir die Zeit der wesentlichen Änderungen in Salzburg durch die Zuwanderung der österreichischen Beamtenschaft in das ab 1865 zum eigenen Kronland gewordene, nun gesellschaftlich und kulturell wieder aufstrebende Salzburg vor uns. In Zillners Darstellung des frühen Salzburger Vereinswesens treten die Beweggründe der ersten Vereinsgründungen zutage, die für die Blüte der bürgerlichen Gesellschaft kennzeichnend sind: Verbesserung der Lebensbedingungen, Förderung von Wissenschaft und Kultur, Unterstützung benachteiligter Gruppen in der Gesellschaft. Darin spiegelt sich die neue Freiheit zur Mitgestaltung der Gesellschaft als Form der Selbstdarstellung und Positionierung des Bürgertums.[4357]

11.24.2. Franz Zillner: „Der“ alpenbewohnende Salzburger im Blick des Ethnographen 1865[4358]

11.24.2.1. Der Alpenbewohner

„Der Alpenbewohner härtet begreiflich den Körper gegen Wind und Wetter in anderm Maße ab, als der Städter, der Dorfbewohner und der des Hügellandes überhaupt. Er bedarf einer kräftigen Brust, einer kerngesunden Lunge, um die nöthigen Athemanstrengungen ohne Schaden für seine Gesundheit ertragen zu können. Schwachbrüstige Menschen können sich selten im Gebirgslande heimisch und leiblich wohl befinden. Der Gebirgsbewohner wird vertrauter, besonnener und entschlossener im Gebrauche seiner Kräfte gegenüber den häufig drohenden Gefahren, als der, welcher weder Gletscher, noch Wildbäche und Schneelähnen, noch die Gefahren des Alpensennen, Holztrifters, Gemsjägers oder der Einbringung des Bergheues kennt. Anscheinend erschlafft das Hirtenleben, ― aber nur anscheinend, denn einen Theil der Zeit benützt der Gebirgsbewohner zu halb muthwilligen Kraftproben, dem ,Rankeln, Purößlspringen‘ und ähnlichen Uebungen; darum ist auch sein Gliederfleisch ausgebildeter, sein Tritt sicherer und sein Gang schwebender. Da wo die turnerischen Spiele noch im Schwunge sind, wie im Pinzgau, ist der Bergbewohner beweglicher, gewandter, kecker, herausfordernder in Körperhaltung und Blick, als da, wo der Alpensohn sich eben nur jenes Maß von körperlicher Gewandtheit und Zuversicht aneignet, welches sein Beruf unumgänglich erheischt, wie dieß beim stilleren Pongauer, beim ernsten Lungauer und dem Abtenauer der Fall ist. Die Alpenbewohner sind meist schlanken, gelenkigen und sehnigen Wuchses, die zehrende dünnere Luft, das viele Bergsteigen verhindert schon im voraus übermäßige Fleischbildung. Fette Leute kommen im Gebirge selten vor. Aber eben dieser Körperbau macht den Gebirgsbewohner weniger tauglich für alles, was nachhaltige Kraftäußerung für andauernde Arbeit erfordert; der ackerbauende Landmann des Salzburggaues, noch mehr der Innviertler übertrifft ihn in dieser Beziehung. Das Leben auf bedeutenden Höhen schärft Auge und Ohr des Aelplers ungemein, was bei der umfassenden weiten Aussicht und der tiefen Stille der Alpennatur begreiflich ist.“ (Seite 190–191)

11.24.2.2. Lebensformen

„Im Allgemeinen ist der Salzburger allen Luftschlössern, sowie dem plan- und ziellosen Herumtaumeln im bürgerlichen und bäuerlichen Leben herzlich abhold. Selten läßt er sich, vom ersten Eindruck bestochen, auf etwas ein. Er ist nicht so pfiffig, nicht äußerlich so gewandt, wie die Angehörigen mancher anderer Länder, er weiß auch gewöhnlich nicht so gewinnend oder einschmeichelnd aufzutreten, aber er hält sich schwindelfrei, schickt sich in die Verhältnisse und ist ohne knechtische Furcht. Er hängt, wie alle Alpenvölker, am Alten und Hergebrachten, ist daher auch keineswegs ein Spekulant von Haus aus. Er ist von großer Genügsamkeit und ziemlich sparsam, in hohem Grade bereitwillig zur Hilfeleistung, dem Vereinswesen nicht abhold, nicht selten mit gutem Humor begabt, dem Muckerthum fremd.

Verschieden wie überall sind Leben, Sitten und Gebräuche auf dem Lande und in der Hauptstadt, in welcher die uniformirenden, die Selbstständigkeit und Eigenthümlichkeit beschränkenden Einflüsse fremder Beamten, der Wechsel der Garnisonen, endlich die Einwanderung Fremder nicht zu unterschätzende Einflüsse ausüben.

Die Familie bildet in Salzburg noch eine Grundlage gesunden Volkslebens, der Dauerhaftigkeit der Zustände und des mäßigen Grades von Wohlhabenheit. Das salzburgische Familienleben ist einfach, prunklos, hausbacken und natürlicher, als das der bedürfnißvollen, auf den äußeren Eindruck berechneten Familie nach modernem Allerweltszuschnitt, – aber es ist im Allgemeinen zufriedener, bewußter und besorgter um das Wohl der Angehörigen. Die Familie ist nicht um anderer Leute willen, sondern um ihrer selbst willen da, sie bildet den bedeutsamsten Sammelpunkt des geselligen Lebens und der Salzburger macht sich das Familienband oft in merkwürdiger Weise zu Nutzen. Tüchtigen, gründlich haltbaren, bäuerlichen Familienzuständen begegnet man im Pongau und Pinzgau.

11.24.2.3. Das Vereinswesen

Das Vereinswesen läßt sich, seiner Natur und Aufgabe nach, in drei Gruppen theilen. Voran stehen jene, welche den bäuerlich-bürgerlich gemeinnützigen Interessen dienen, die Sparkasse, die Feuerversicherung, der Gewerbe- und landwirthschaftliche und die Wohlthätigkeitsvereine, der Frauen- und Studenten-Unterstützungsverein. Eine zweite Gruppe bilden die Vereine zur Hebung der Wissenschaften und Künste, nämlich der Dommusikverein, die Liedertafeln, der Kunstverein, der Verein für das städtische Museum und die Gesellschaft für Landeskunde, denen der stenographische und der Turnverein angereiht werden. Für kirchliche Zwecke wirkt der Rupertus-Verein. Vereine für gesellige Unterhaltung, dann Lesevereine von Unterhaltungsschriften und Zeitungen gibt es zwei, obwohl auch gelegentlich die Liedertafel die Unterhaltung unter ihre Zwecke aufnimmt. Dasselbe läßt sich auch von den Schützengesellschaften sagen.“ (Seite 196–198)

11.24.3. Volkscharakter[4359]

„Der Salzburger ist mehr in sich gekehrt, weniger lustig und aufgeräumt, und einem einfachen Familienleben ohne Lärm und Luxus ergeben. Nicht selten wird er erst durch Andere in Gesellschaft von Bekannten zu lebhaften Äußerungen der Freude und Heiterkeit veranlaßt. Dieser Zurückhaltung liegt kein Mangel an Gemüth zu Grunde. Sie entspringt aus ernsterer Lebensrichtung, wie sie Gebirgsvölkern eigen, aus den schwierigeren und engeren Erwerbsverhältnissen, endlich aus jener Unbekanntschaft mit den gewandteren Umgangsformen, wie sie in Gegenden angetroffen wird, die den großen Verkehrsstraßen, den reichen Flußlandschaften mehr entrückt sind.

Bergscheiden und Thalgelände weisen auf ungleiche Lebensbedingungen. Der stille, sparsame Bewohner der abgeschlossenen Abtenau, des engen Alpenthales Großarl unterscheidet sich von dem meist hochgewachsenen Lungauer, der sein Heimatsthal im Frühjahr häufig verläßt und auswärts mit der ererbten Geschicklichkeit, Thiere zu entmannen, Erwerb findet. Das sonnige Hügelland um Goldeck nährt einen heiteren, witzigen Menschenschlag und seit Jahrhunderten hat der Gasteiner im Umgange mit Fremden größere Übung erlangt. In den ausgedehnten Alpenwirthschaften erblickt der Pinzgauer einen Vorzug vor dem umsichtigen Pongauer und berühmt sich öfter seiner körperlichen Stärke und Ringkraft.

Aber allenthalben entspringt aus der Tiefe des Gemüthes die religiöse Richtung, die sich in der Anhänglichkeit an die Kirche, in der gewissenhaften Feier der Feste, in der guten Haussitte, in dem Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern kundgibt. Unverdrossen wallt der Kirchgänger stundenweit oft durch halbmannshohen Schnee aus abgelegenen Thalwinkeln, denen der Seelsorger bisweilen mit dem Pferde nicht beikommen kann. Und welche Opfer bringt das Landvolk mit seinen meist beschränkten Mitteln für Kirchenbauten, Andachtsstiftungen, Bruderschaften und andere kirchliche Vereine! Zahlreiche Kirchen-, Bruder- und Armenhäuser, Bruderladen, Geldstiftungen, zum Theil unter Vorgang der alten Fürsten [Anm. Kammerhofer: gemeint ist das 17. und frühe 18. Jahrhundert unter erzbischöflicher Regierung] entstanden, die wohlthätigen Vereine der Neuzeit [Anm. Kammerhofer: hier nicht im Sinne der historischen Epoche verstanden, sondern als Begriff für das 19. Jahrhundert unter habsburgischer Regierung gesetzt] geben Zeugniß von christlicher Nächstenliebe, und diese Selbsthilfe des Volkes findet oft genug nur in den engen Verhältnissen des Landes ihre Grenze. Uralt ist die in voller Übung stehende Hilfeleistung bei Neubauten und nach Hausbränden. [...]

[...] Es wird begreiflich, wenn er [Anm. Kammerhofer: der Salzburger] auch ins Ausland die Liebe zu seiner Heimat trug und daselbst von der Schönheit des Landes erzählte. Noch jetzt wissen die Nachkommen der salzburgischen Auswanderer um Springfield und Ebenezer in Georgien [Anm. Kammerhofer: Georgia, USA] von den metallreichen Bergen und Alpen und den Forellenbächen ihres Stammlandes zu erzählen und die ‚Saltzburgers‘ ‚mit ihren etwas absonderlichen Gewohnheiten‘ gelten für die tüchtigsten Leute in Georgien.“

11.24.4. Berühmte Salzburger zur Zeit Zillners[4360]

„Berühmte oder bekannte Salzburger sind: der Bischof Berthold von Chiemsee, der die erste deutsche Theologie schrieb (1531), der Staatsmann und Diplomatiker Kleimayrn, der Minister Lasser, die Geschichtschreiber Abt Beda, Mezger, Gärtner, Dalham und Koch-Sternfeld, der Geolog und Reisende Rußegger, der Kupferstecher Bocksberger (um 1560), der Mathematiker Stampfer, der Physiker Doppler, die Tondichter Paul Hofheimer bei Kaiser Maximilian, Wölfl, Mozart, der ,Mönch von Salzburg‘, ein geistlicher Dichter des Mittelalters, aus dem Kloster St. Peter, der Schulmann Vierthaler, der Erzgießer Zauner, der Geograph Kleinsorg, der Landwirth Lürzer, der Topograph Pillwein, der Botaniker Braune, der Mineralog Schroll, die Wohlthäter und Stifter Fröschlmoser, Hafner, Triendl und Bayrhammer, die Schützenanführer und Hauptleute Strucker, Sonnenburg u. a.

In Salzburg lebten und wirkten: die Gewerken Weitmoser und Strochner, der Freiherr v. Moll, der das erste deutsche berg- und hüttenmännische Jahrbuch begründete, der Arzt Hartenkeil, der das erste verbreitetste ärztliche Journal begründete, Theophrastus Paracelsus, Paul v. Spreten (Speratus), Stephan Agricola, der Abt Staupitz, die Baumeister Solari und Scamozzi, der Maler Mascagni, der Orientalist Sandbichler, die Geschichtschreiber Dückherr und Zauner, der Statistiker Hübner, Jordan der Chronist, der Staatsmann Christoph Perner zu Rif, der Mathematiker Bernhard Stuart, der Domherr Graf Wolfegg, der Tonkünstler Haydn u. v. a.“



[4355] [Anonymus 1933]. – [Spitzy/Lau 1982], S. 143–145, S. 147. – [Arlt 1955]. Gemeindearchiv Bad Hofgastein. Herrn Horst Wierer und Frau Doris Baumgartner danke ich herzlichst für alle Hinweise. – [BaumgartnerD 2003]. – Die Geschichte des Gasteiner Badearztes ist 2005 in Folge 3 „In Familie und Gesellschaft“ der Reihe „Bräuche im Salzburger Land“ erschienen. Arlt und Hönig sind die Urururgroßväter der Kommentatorin Ulrike Kammerhofer-Aggermann. [Kammerhofer-Aggermann 2005].

[4359] [Zillner 1889], hier S. 425 f.

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