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Formative Ästhetik (Christoph Kühberger)

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Formative Ästhetik als Instrument der Bewusstseinsbildung

Unter formativer (bewusstseinsbildender) Ästhetik soll hier jener Versuch im Nationalsozialismus verstanden werden, durch Bilder und Symbole einen neuen Menschentypus zu prägen. Ein Beispiel führt uns nach Oberndorf bei Salzburg, wo in der Zeit des Nationalsozialismus eine Hauptschule errichtet wurde (heute[431] das Gebäude der Bundeshandelsakademie/Bundeshandelsschule bzw. des Polytechnischen Lehrgangs). Der Maler Josef Martl gestaltete in ihr Türen, die Motive zeigen, welche von der nationalsozialistischen Ideologie instrumentalisiert wurden. Die Türbemalungen Martls und eine geschnitzte Turnsaaltüre befinden sich heute noch in dem als Schule genutzten Gebäude.

Dass die ästhetische Ausgestaltung der Schule 1945 nicht gemeinsam mit den eindeutigen Symbolen des Regimes verschwand, mag wohl am ehesten damit zusammenhängen, dass sie keinerlei Gefährlichkeit auszustrahlen scheint, vielmehr das Symbol einer „gelebten Harmlosigkeit“ des Regimes verkörpert.

Am 21. April 2004 wurde in einer öffentlichen Veranstaltung durch einen Vortrag des Autors auf diese Tatsachen kritisch hingewiesen, in der sich Schulleitung und Bürgermeister der Problematik bewusst wurden.

Handwerk und „Bauerntum“ als bessere Welt

In Oberndorf bei Salzburg wurde während des Nationalsozialismus eine Schule errichtet. Auf den Türen des Malers Josef Martl werden nach wie vor verschiedene Trachten gezeigt, die als Anlehnung an die von den Nationalsozialisten unterstützte Normierung der Tracht anzusehen sind. Die Tracht vermittelte im Nationalsozialismus nicht vorrangig die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder einer Region, sondern man unterstellte sich in ihr als „Volk“ dem „Führer“. Die Tracht wurde zu einem politisch-ideologischen Symbol, das gegen die von den Nationalsozialisten benannten inneren und äußeren Feinde gesetzt wurde. Die Tracht hatte zudem, nicht erst seit dem Trachtenverbot für Juden und Fremdarbeiter in Salzburg aus dem Jahr 1938, eine rassistische Komponente.

Neben der Tracht wurde auch das Handwerk, hauptsächlich durch Wappen mit den üblichen Werkzeugen, dargestellt. Die Abbildungen sollten wohl eine handwerklich-ländliche Kultur gegen eine technisch-industrialisierte, städtische Kultur abgrenzen.

Die häufigsten Abbildungen sind zu „Sinnbildern“ stilisierte und als solche bewertete Motive früherer Kunstepochen. Mit „Knoten“, „Lebensbäumen“ oder „Sonnensinnbildern“ wollte man eine absurde Kontinuität (Stetigkeit) mit der germanischen Vorzeit herstellen.[432] Zwar sind einige Motive seit den vierziger Jahren verschwunden, aber die nationalsozialistische Ästhetik, die versuchte, eine bäuerlich-ländliche Bildwelt zu gestalten, hat sich dennoch in der „Oberndorfer Hauptschule“ weitgehend erhalten.

Historische Dokumente erfordern kritische Betrachtung

Ein Beispiel der formativen (bewusstseinsbildenden) Ästhetik aus der Zeit des Nationalsozialismus im Schulbau in Oberndorf bei Salzburg stellt die geschnitzte Turnsaaltür dar, auf der drei nackte Athleten und eine nackte Athletin zu sehen sind. Interessant dabei ist, dass die männlichen Sportler weitgehend dem NS-Männlichkeitsideal entsprechen, während die gezeigte Bogenschützin wenig mit den von den Frauen erwarteten Weiblichkeitsidealen (die blonde, züchtig gekleidete „deutsche Mutter“) gemein hat. Sie entspricht dem zweiten, ebenfalls propagierten Ideal der kämpfenden Walküre, die gleichsam als Mann ihren Beitrag für die Gesellschaft leistet.

Der heutige Umgang mit derartiger NS-Kunst an öffentlichen Orten ist nicht einfach, doch die Inhalte gehören geklärt und die Gesellschaft muss sich ihrer Vergangenheit bewusst sein, um sie nicht ungewollt zu verharmlosen und damit die Inhalte weiter zu geben. Die Geschichtswissenschaft kann dafür keine Lösungen anbieten. Sie kann nur helfen, Themenbereiche, die mit widersprüchlichen Gefühlen besetzt sind, einem gesellschaftlichen Prozess des Nachdenkens zuzuführen. Erst dadurch – wenn heutige Menschen die Fakten für sich selbst erkennen – kann über die Betroffenheit vieler eine Lösung erwirkt werden.

Literaturangaben

Haas, Walburga (Hg.): Volkskunde und Brauchtumspflege im Nationalsozialismus in Salzburg. (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Bd. 8). Salzburg 1996.

Hanisch, Ernst: Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg zwischen 1938–1945. Salzburg–München 1997.

Hermann, Ulrich; Ulrich Nassen (Hg.): Formative Ästhetik im Nationalsozialismus. Weimar–Basel 1993.

Kerschbaumer, Gerd: Faszination Drittes Reich. Kunst und Alltag der Kulturmetropole Salzburg. Salzburg 1988.

Kühberger, Christoph; Clemens Sedmak: Ethics and History. Toward an ethics of memory. In: Sedmak, C. (Hg.): Ethics of Science. Overview and Exemplification. (= theories and commitments, Working Paper Nr. 2). Salzburg 2003.



[431] Anm. der Redaktion: Mittlerweile wurde das Gebäude, um das sich dieses Beispiel dreht durch einen Neubau ersetzt. Siehe dazu die jeweiligen Websites der Schulen.

[432] Während der mögliche Anteil von germanischen Elementen in unseren Bräuchen gering ist, haben hingegen die antiken Religionen und Philosophien sowie das Judentum eine nachhaltigere Wirkung. Vgl. Hartinger, Walter: Religion, Kultus und Brauch. In: Vom Frühling bis zum Herbst (= Bräuche im Salzburger Land. Zeitgeist – Lebenskonzepte – Rituale – Trends – Alternativen. CD-ROM 2) Hrsg. v. Lucia Luidold und Ulrike Kammerhofer-Aggermann (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 14) Salzburg 2003.

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