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Hochzeit und Scheidung (Sabine Fuchs) – Langtext

Die gesetzlichen Regelungen zur Eheschließung und zur Scheidung haben im Verlauf der Geschichte zahlreiche Änderungen erfahren. In Österreich – wie in Salzburg, das bis 1803 ein geistlicher Staat war –, galt bis in die Zeit der Aufklärung das kanonische Eherecht. Für Eheschließungen war ebenso wie für die Auflösung der Ehe ausschließlich die Katholische Kirche zuständig. Während auf österreichischem Gebiet durch die Reformen Josephs II. 1783 erstmals ein staatliches Eherecht geschaffen wurde, galten die alten Regelungen in Salzburg bis 1803 weiter. Das Josephinische Eherecht galt für ganz Europa als überaus fortschrittlich und wurde sogar im revolutionären Frankreich als Vorbild für die dortige Gesetzgebung betrachtet.[1566]

Ehekonsens und Unehelichkeit

„Kirchliches Eherecht“, wie es in Salzburg herrschte, bedeutete jedoch nicht, dass jedes unverheiratete Paar einfach zu einem katholischen Pfarrer gehen und heiraten konnte. Damit eine Ehe gültig war, musste vielmehr seit 1667 ein so genannter „Ehekonsens“ vorliegen, also eine Erlaubnis zur Eheschließung durch die Obrigkeit.[1567] Durch die gezielte Ausstellung von diesen Heiratsbewilligungen an Besitzende wollte der Staat das Problem von Armut und Elend in den Griff bekommen. Tatsächlich führte die restriktive Ausstellung von Ehebewilligungen aber zu einem Ansteigen des Heiratsalters und zu einer Zunahme so genannter „wilder Ehen“ und unehelich geborener Kinder[1568] die manchmal stillschweigend geduldet wurden. „Viele Hofbedienstete wollen heiraten, aber der Erzbischof verweigert ihnen Jahr für Jahr seiner Regierung die Erlaubnis, außer die Braut ist vermögend. Deshalb leben sie ohne Widerrede zusammen. Hieronymus [Colloredo, Erzbischof von Salzburg, Anm. d. Verf.] sucht auf diese Weise die Gnadengelder für die Witwen zu sparen.“[1569]

Die Geburt außerhalb der Ehe stellte für die Mutter wie für das Kind ein erhebliches Problem dar. Beide waren mit einem Makel behaftet: die Frau verlor ihre „Ehre“, Söhne aus unehelichen Beziehungen konnten nicht jeden Beruf ergreifen, denn für das Erlernen eines Handwerks und für die Karriere als Beamter stellte die eheliche Geburt eine Voraussetzung dar. Die Väter unehelicher Kinder waren hingegen kaum mit Schwierigkeiten konfrontiert.[1570] In der Diskriminierung unehelicher Kinder und ihrer Mütter gab es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen Stadt und Land. Die restriktive Ausstellung von Heiratsbewilligungen stellte in der Stadt mit ihrer bürgerlichen Gesellschaft ein größeres Problem dar als im ländlichen Bereich, wo die Bevölkerung eigene Normen jenseits der gesetzlichen Regelungen aufstellte. Hier waren Frauen, die in einer festen, wenn auch unehelichen Beziehung mit einem Mann lebten, nicht einem Verlust der Ehre ausgesetzt, wenn sie ein Kind zur Welt brachten. Voraussetzung war aber, dass die Frau nur einen Sexualpartner gehabt hatte und eine spätere Eheschließung ins Auge gefasst war. Im Pinzgau „wie im Pongau entehren mehrere Kindbetten das ihrem Liebhaber treue Mädchen nicht. Der Bauer verstößt es deswegen nicht aus seinem Dienste und ernährt meistens auch ihr Liebespfand solange, bis Zeit und Umstände die Vermählung der Liebenden gestatten.“[1571] Wenn der Vater des Kindes nicht bekannt war oder die Frau mit mehreren Männern geschlafen hatte, traf auch sie der Ehrverlust. Als im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Kirche mit ihren restriktiven Normen ihren Einfluss auch am Land vergrößern konnte, wurden auch hier uneheliche Mütter generell diskriminiert.

Kanonisches Eherecht und Scheidung

Nicht nur die Eheschließungen, auch die Trennungen von Ehen waren im erzbischöflichen Salzburg durch das kanonische Recht geregelt. Für katholische Paare gab es nur die Möglichkeit der Trennung von Tisch und Bett – was eine Wiederverheiratung bei Lebzeiten des ehemaligen Partners unmöglich machte – oder die der Erklärung der Ungültigkeit der Ehe. Eine Ehescheidung war nur für protestantische Paare möglich. Grundsätzlich wurden alle Versuche einer Auflösung der Ehe von der Obrigkeit jedoch sehr restriktiv gehandhabt; Versuche, das Paar zu versöhnen, standen im Vordergrund. Das zeigen auch Zahlen, die durch Dokumente im Salzburger Konsistorialarchiv überliefert sind. In den 118 Eheprozessen, die zwischen 1790 und 1809 verhandelt wurden, wurde in 46 Fällen die Trennung der Ehe nicht vollzogen. In drei Fällen kam es zur Bewilligung einer lebenslänglichen Trennung von Tisch und Bett, nur in einem Fall zu einer Nichtigkeitserklärung der Ehe. In den meisten Fällen, nämlich in 54, wurde die Trennung lediglich befristet oder auf unbestimmte Zeit ausgesprochen, in solchen Fällen konnte sie vom Konsistorium jederzeit aufgehoben werden. In 70 der 118 Fälle ging der Wunsch auf Auflösung der Ehe von der Frau aus.[1572]

In vielen Fällen waren gewalttätige Übergriffe des Ehemannes Klagegrund der Frau oder wurden als Argument im Prozess ins Feld geführt, wie der Fall der Katharina Wartenbichler zeigt. Das Gericht gestand ihr nach Aussage eines Arztes zu, „das Katharina Wartenbichlerin Karbiners Frau, wegen schlagen, und anderen Gewaltthätigkeiten ihres Manns 6 wochen krank gelegen, und neuerdings am Hals wegen würgen schaden geliden habe.“[1573] Ehebruch war weitaus weniger häufig Anlass für den Wunsch nach einer Scheidung oder Trennung. Hartnäckigkeit der Versöhnungsversuche des Konsistoriums und die unterschiedliche moralische Beurteilung von Mann und Frau dürften die Ursache dafür gewesen sein, dass gerade Frauen Ehebruch nicht als Prozessgrund anführten.

Die Einführung des ABGB und der Widerstreit zwischen kanonischem und zivilem Eherecht

Mit dem Beginn der Zugehörigkeit Salzburgs zum Kaisertum Österreichs im Jahr 1806 verlor die Katholische Kirche die Gerichtsbarkeit über die Ehegesetze; nach Josephinischem Recht sollte die Ehe zukünftig als Zivilvertrag gelten und der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen. Bis ins Jahr 1808 wurde eine Eherechtsangleichung vorgenommen, nach der auch eine nach kanonischem Recht undenkbare einvernehmliche Trennung von Tisch und Bett möglich war.[1574] In der bayrischen Zeit Salzburgs (1810 bis 1816) kam es zu keiner grundsätzlichen Änderung des Eherechts. Erst 1817, mit der Einführung des ABGB, das wichtige Bestimmungen aus dem Josephinischen Eherecht übernahm, wurde eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen.[1575] Im Vormärz kam es jedoch wieder zu einer zunehmenden Annäherung des Staates an die Katholische Kirche; durch das Konkordat von 1855 wurde das kanonische Eherecht für Katholiken wieder eingeführt. In der liberalen Ära kam es immer wieder zu Versuchen, das Konkordat aufzukündigen oder zumindest zu unterlaufen; ab 1868 wurde das Eherecht des ABGB erneut rechtswirksam.[1576] Da es aber für Katholiken immer noch keine Scheidung, sondern nur die Trennung von Tisch und Bett gab und somit eine Rechtsungleichheit gegenüber protestantischen oder jüdischen Staatsbürgern bestand – was dem Staatsgrundgesetz von 1867 widersprach –, kam es immer wieder zu Vorstößen, die Ehegesetze zu reformieren. Diese Debatten setzten sich auch nach dem Ende der Monarchie fort, ohne dass es zu wesentlichen Änderungen gekommen wäre.

Die „Sever-Ehe“ als pragmatische Lösung in der demokratischen Phase bis 1934

Für Katholiken und Katholikinnen gab es nach wie vor nicht die Möglichkeit zu einer rein zivilen Eheschließung nach dem ABGB, die Einspruchsmöglichkeiten der Kirche machten eine Wiederverheiratung nach einer Trennung von Tisch und Bett unmöglich. Der sozialistische Landeshauptmann von Niederösterreich und Wien, Albert Sever, versuchte unter Ausnutzung einer Gesetzeslücke des ABGB, diese Situation zu umgehen und so geschiedenen KatholikInnen eine Wiederverheiratung möglich zu machen. Als Landeshauptmann hatte er laut ABGB die Möglichkeit, eine Dispensation – also eine Freisprechung – von bestehenden Ehehindernissen auszusprechen. Was diese Ehehindernisse sein können, war im ABGB nicht näher definiert, Sever fasste auch ein bestehendes katholisches Eheband darunter. Er konnte die Dispense allerdings nur für Bürger der Länder aussprechen, in denen er Landeshauptmann war – Salzburger und Salzburgerinnen, die eine so genannte „Sever-Ehe“ schließen wollten, mussten zuvor nach Wien oder Niederösterreich übersiedeln.[1577] Forderungen, ein einheitliches ziviles Eherecht mit einer von der Religion unabhängigen Scheidungsmöglichkeit einzuführen, scheiterten am Einspruch der Katholischen Kirche und an der politischen Blockierung durch die Christlichsoziale Partei. Nach dem Bürgerkrieg von 1934 und dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei wurde von der katholischen Diktatur am 1. Mai 1934 ein neues Konkordat abgeschlossen. Die Entscheidungskompetenz über alle eherechtlichen Angelegenheiten – egal, welchem Religionsbekenntnis die Betroffenen angehörten – war wieder in der Hand der Katholischen Kirche vereint. Damit war die Möglichkeit der „Sever-Ehe“ ebenso abgeschafft wie die der Wiederverheiratung von Protestanten und Protestantinnen.

Lehrerinnenzölibat und Doppelverdienerverordnung

Ein weiterer Konflikt entwickelte sich für Frauen in manchen Berufen seit dem 19. Jahrhundert zwischen der Eheschließung und der Arbeit. So bestand in der Monarchie ein Eheverbot für Lehrerinnen – heiratete eine Lehrerin, dann durfte sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Das so genannte „Lehrerinnenzölibat“ wurde nach dem Ende der Monarchie aufgehoben, jedoch schon nach kurzer Zeit in manchen Bundesländern als Landesgesetz wieder eingeführt. Dies traf auch auf Salzburg zu.

Die 1933 eingeführte „Doppelverdienerverordnung“, die es in einer Ehe nur einem Partner erlaubte, im Staatsdienst tätig zu sein, galt in ganz Österreich und ging zu nahezu 100 % zu Lasten der Frauen: im Staatsdienst tätige Frauen mussten danach fast alle nach der Eheschließung ihren Beruf aufgeben. In einem Interview mit der 1905 geborenen Hella Hoffmann kommt auch die Doppelverdienerverordnung zur Sprache, von der auch eine Cousine von ihr betroffen war:

„Frauen haben nicht mehr arbeiten dürfen, wenn sie verheiratet gewesen sind. Nicht einmal eine Lehrerin, die doch eine richtige Ausbildung gehabt hat. Das war furchtbar, einschneidend!“[1578]

Ehe und Scheidung unter den Nationalsozialisten

Das kirchlich dominierte Eherecht wurde erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten geändert. Mit der Einführung des deutschen Ehegesetzes 1938 wurde eine endgültige Modernisierung durchgesetzt, das Eherecht vereinheitlicht und eine rein zivile Eheschließung möglich gemacht, die auch die Wiederverheiratung Geschiedener erlaubte. Allerdings griffen nun die Nürnberger Rassengesetze in den Bereich der Partnerwahl ein: Ehen zwischen so genannten „arischen“ und „nichtarischen“ Personen waren verboten. Die Förderung der Ehe als Institution, die dem Rassegedanken untergeordnet war, zeigt sich auch an Maßnahmen zur Familiengründung und Familienerweiterung wie Ehestandsdarlehen und Mutterkreuz. Das Land Salzburg erhielt den Titel „Kinderreichster Gau des Reiches“, Großarl war das „Kinderreichste Dorf des Reiches“. Im Jahr 1941 war die Hälfte der rund 2.000 Dorfbewohner jünger als 14 Jahre, 300 Frauen in Besitz des Mutterkreuzes.[1579]

Der Zweite Weltkrieg hatte einschneidenden Einfluss auch auf Heirat und Zusammenleben zwischen Mann und Frau. Die Abwesenheit der Männer, die an der Front standen und oft nur zu kurzen Urlaubszeiten in der Heimat waren, führte dazu, dass häufig Beziehungen eingegangen wurden, die nicht sofort durch eine Eheschließung legitimiert werden konnten. Aus diesem Grund, hinter dem auch der staatliche Wunsch nach möglichst vielen „arischen“ Kindern stand, wurde die Möglichkeit der Ferntrauung geschaffen. „Um unserem Kind einen Vater zu geben möchte ich diese für uns in Anspruch nehmen“, schreibt ein Soldat aus Bischofshofen 1939 an seine Geliebte. „Ich hole mir die Genehmigung vom Kompaniechef und gebe Dir dann Bescheid. Dann kannst Du mit meinem Einverständnis in der Hand zum Standesbeamten gehen, und Du bist meine richtige Ehefrau.“[1580]

Umbrüche und Neokonservatismus der Nachkriegszeit

Schnell geschlossene und häufig durch eine Schwangerschaft motivierte Ehen führten nach Ende des Krieges oft zu Problemen. Wenn der Mann nach Kriegseinsatz und Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, war er dem zivilen Leben häufig entfremdet, unterschiedliche Lebensvorstellungen zwischen Mann und Frau, die bis dahin oft nur wenig Zeit zusammen verbracht hatten, wurden offensichtlich. Folge war eine drastisch ansteigende Zahl an Scheidungen in der Nachkriegszeit, die in Salzburg besonders hoch und gemessen an der Bevölkerungszahl höher als beispielsweise in Wien lag. In einem Artikel der „Salzburger Nachrichten“ aus dem Jahr 1946 heißt es: „Vom 1. Jänner bis 30. April 1945 wurden [...] beim hiesigen Landesgericht insgesamt 60 Scheidungsklagen eingebracht, vom Anfang September 1945, da das Landesgericht seine Tätigkeit in familienrechtlichen Streitigkeiten wieder aufnahm, bis 20. Oktober liefen hingegen 400 Ehescheidungsklagen ein, und diese Zahl steigerte sich seither bis zum Ende des Vorjahres um weitere 200 Klagen auf insgesamt 600. Das ist eine außerordentlich hohe Zahl. [...] Wie der mit Scheidungsklagen betraute Prozessrichter beim Salzburger Landesgericht mitteilt, ist die weit überwiegende Mehrheit der Scheidungsklagen auf Ursachen kriegsbedingter Natur zurückzuführen.“[1581]

Babyboom und Trend zur Ehe in den späten 1950er- und 60er-Jahren

Die hohen Scheidungszahlen konsolidierten sich erst in den späten 40er- und den 50er-Jahren, rückläufig ist die Anzahl der Ehescheidungen erst wieder 1956. Die Kleinfamilie mit dem Mann als Familienernährer und der Frau als Hausfrau und Mutter galt als erstrebenswertes Lebensziel aller sozialen Schichten, als Ideal wurden zwei Kinder gesehen. Frauen, die in der Kriegszeit aufgrund der Abwesenheit der Männer berufstätig gewesen waren, wurden jetzt wieder ins Privatleben gedrängt – der wirtschaftliche Aufschwung der 50er-Jahre ließ in breiten Bevölkerungsschichten ein gutes Leben mit nur einem Einkommen zu. Das Leben der Frau galt nur dann als erfüllt, wenn sie verheiratet war und Kinder hatte; berufstätige Mütter waren unüblich. So waren im Bundesland Salzburg 1961 nur 39 % aller berufstätigen Frauen verheiratet; von denen hatte etwa die Hälfte keine Kinder. Wie sehr die Berufstätigkeit von Müttern gesellschaftlich geächtet war, zeigt auch ein Artikel im „Rupertiboten“:

„In vielen Fällen ließe sich die Berufsarbeit der Frau wohl mit nur ganz kleinen Einschränkungen vermeiden. Die Frau kann vieles, was sie sonst sehr teuer fertig kaufen müsste, nun billiger selber machen. Anderen Frauen wäre sicher die Halbtagsarbeit ein Gewinn. Und die Kinder hätten ihre Mutti wenigstens einen halben Tag daheim. [...] Vielleicht ist es doch möglich, dass viele Frauen daheim sein können. Die Kleinen warten sehr, sehr sehnsüchtig auf ihre Mutti!“[1582]

Dieses konservative Familienideal blieb auch in den 60er-Jahren trotz eines sich langsam ändernden gesellschaftlichen Bewusstseins aufrecht. Noch 1960 heißt es in einem „Amtsblatt der Landeshauptstadt Salzburg“, dass es die Mutter ist, die „wohl in jeder guten Familie durch ihre Liebe und Obsorge zum Mittelpunkt der Familie wird.“[1583] Die Generation des Babybooms war auch die der höchsten Heiratsquote aller Zeiten: Volkszählungszahlen zeigen, dass 97 % der Geburtenjahrgänge von 1940 geheiratet hatten.[1584]

Neuorientierung im Zuge der Studentenbewegung

Erst die 1968er-Studentenbewegung löste eine langsame Änderung des gesellschaftlichen Bewusstseins in Bezug auf die traditionelle Frauenrolle aus. In der Frauenbewegung, die im Zuge der Studentenbewegung entstand, war zwar nur eine kleine Minderheit von Frauen engagiert, sie trug aber wesentlich dazu bei, dass in den 70er- und 80er-Jahren für eine breitere Schicht von Frauen Lebensentwürfe jenseits des seit 1945 etablierten Modells der Kleinfamilie denkbar wurden.[1585] In Österreich wurden die gesellschaftlichen Neuerungen zwar mit Verspätung aufgenommen – so war es in Salzburg die Frauengruppe „Courage“, die 1974 gegründet wurde und den Fokus der autonomen Frauenbewegung bildete.[1586]

Eine Folge des veränderten gesellschaftlichen Bewusstseins war das Sinken der Heiratszahlen, das durch die 70er-Jahre hinweg als Tendenz zu beobachten war. Eine Ausnahme stellte das Jahr 1972 dar, in dem es nach der Einführung der Heiratsbeihilfe zu einer kurzen Heiratswelle kam. Dies war auch darauf zurückzuführen, dass viele Paare nach Bekanntwerden der Regierungspläne ihre Hochzeit von 1971 auf 1972 verschoben haben, stellte aber keine Trendwende dar.[1587] Ebenfalls zu beobachten ist ein Ansteigen des Heiratsalters. So ist in den 70er-Jahren erstmals in größerem Umfang zu beobachten, dass Paare zunächst unverheiratet zusammenleben und die Partnerschaft erproben und erst dann heiraten, wenn beide ihre Ausbildung beendet haben oder ein Kinderwunsch vorliegt. Im Gegensatz zur Entwicklung der 90er-Jahre ist die Vorstellung einer späteren Eheschließung in den 70er-Jahren zumeist noch Teil dieses Modells einer Lebensgemeinschaft – man kann also von einer „vorehelichen Lebensgemeinschaft“, aber nicht unbedingt von einer „unehelichen Lebensgemeinschaft“ sprechen.

Das Ehegesetz von 1978 und die Ehe in den 80er- und frühen 90er-Jahren

Das Ehegesetz von 1978 und die Scheidungsreform trugen dem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein Rechnung. Wesentliche Änderungen waren die Einführung des Zerrüttungsprinzips anstelle des ausschließlichen Prinzips der Schuldzuweisung an einen Partner und die Möglichkeit der einvernehmlichen Scheidung. Bei der einvernehmlichen Scheidung müssen dem Richter keine Gründe vorgelegt und kann auf den Prozess verzichtet werden, wenn durch einen Antrag beim Bezirksgericht der beiderseitige Wille zur Scheidung klargelegt wird, vorausgesetzt, das Paar hat ein halbes Jahr getrennt gelebt und gibt an, die Ehe sei völlig zerrüttet. Wenn nur einer der beiden Partner die Scheidung will, wird die Ehe nach drei- bis siebenjähriger Trennung auch gegen den Willen des anderen Partners aufgelöst.

Obwohl von konservativer Seite und besonders von der Katholischen Kirche immer wieder das Argument zu hören war, die Liberalisierung der Scheidungsgesetze sei für die hohen Scheidungszahlen verantwortlich, lässt sich das durch Untersuchungen nicht bestätigen. Vielmehr stellen der Leidensdruck der nicht funktionierenden Beziehung und das Zusammenbrechen der Ehe die primäre Motivation zur Scheidung dar.[1588] Zwar gab es in den Jahren 1978 bis 1980 einen Anstieg der Scheidungszahlen, dieser war jedoch darauf zurückzuführen, dass getrennt lebende Paare die nun existierende Möglichkeit einer einvernehmlichen Scheidung in Anspruch nahmen. Wie sehr diese Möglichkeit dem Bedürfnis vieler scheidungswilliger Paare entgegenkam, zeigt sich auch daran, dass die Anzahl jener Anträge mit der Begründung „sonstige Eheverfehlung“ vom Jahr 1978 auf das Jahr 1979 um 25 % sank, während es eine hohe Zahl an einvernehmlichen Scheidungen gab.[1589]

Daraus lässt sich schließen, dass die neuen Gesetze einerseits den vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprachen, und dass sie nur dann in Anspruch genommen wurden, wenn es aus individueller Sicht unumgänglich schien. Wesentlich für die Bereitschaft zur Scheidung sind auch das Vorhandensein und die individuelle Wahrnehmung von Alternativen zur Ehe.[1590] So waren schon in den 70er- und 80er-Jahren Frauen, die einen Beruf ausgeübt haben und in ihn zurückkehren konnten, eher bereit, eine Ehe, in der sie unzufrieden oder unglücklich waren, zu beenden als jene, die keinen Beruf hatten.

Ein wesentlicher Faktor für die Einstellung zur Scheidung ist auch die Einstellung gegenüber dem, was man sich von einer Ehe erwartet. Nahmen noch in den 60er-Jahren Aspekte wie soziale Planung, Haushaltsführung und Reproduktion einen wichtigen Stellenwert ein[1591] so standen in den 80er-Jahren das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit und intimer Zusammengehörigkeit, nach Verstehen, Akzeptiertwerden, nach Dauerhaftigkeit und Sicherheit und nach Glück im Vordergrund.[1592] Eine zumindest teilweise rationale Bedeutungsgebung wurde also von einer ausschließlich emotionalen abgelöst. Wenn gleichzeitig damit finanzielle Gründe zur Aufrechterhaltung einer Partnerschaft wegfallen, liegt es auf der Hand, die Ehe bei einer Enttäuschung der auf sie gerichteten emotionalen Projektionen aufzulösen.

Eine soziologische Analyse zum Scheidungsverhalten in Österreich aus dem Jahr 1980 sieht folgende Variablen für eine hohe Stabilität der Ehe als bedeutsam an: Herkunft der Partner aus dem ländlichen Raum, höheres Alter und längere Ehedauer, Frau ist nicht berufstätig, niedriges Bildungsniveau, untere Einkommensschichten, Kinder sind vorhanden, es herrscht bei beiden Partnern eine geringe psychische Belastung und eine hohe emotionale Befriedigung in der Ehe vor. Umgekehrt ist in der Stadt, bei Personen von höherem Einkommen und Bildung, bei jüngeren Menschen, bei Berufstätigkeit der Frau und Kinderlosigkeit die Bereitschaft zur Scheidung am größten.[1593] Die liberalste Einstellung zur Scheidung zeigten bei der Umfrage Studenten. Nur 38 % waren gegen weitere Scheidungserleichterungen. Sie unterschieden sich damit wesentlich von allen anderen befragten Gruppen. Auffällig ist in dieser Untersuchung der geschlechtsspezifische Unterschied in der Beurteilung der Ehe. Durch alle Gruppen waren die Männer zu einem höheren Anteil für die Aufrechterhaltung der Ehe und zeigten eine geringere Scheidungsbereitschaft als die Frauen. Dies läuft zwar landläufigen Vorurteilen zuwider, ist aber leicht verständlich, führt man sich die höhere Belastung der Frau durch Ehe und Familie und die für Frauen wesentlich stärker spürbaren Spannungsverhältnisse durch die gesellschaftlichen Umbrüche der 70er-Jahre vor Augen.

Die Eherechtsreform 1999

1999 wurde das Eherecht erneut, im Sinne einer weiteren Anpassung an die geänderte gesellschaftliche Situation, reformiert. Im Vergleich mit der rechtspolitischen Diskussion im Vorfeld der 78er-Reform zeigt sich, dass der Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau in der Ehe heute gesellschaftlich wesentlich unumstrittener ist als vor 25 Jahren, und dass er sich auch als rechtspolitisches Anliegen durchgesetzt hat. Die einvernehmliche Gestaltung der Lebensgemeinschaft durch beide Partner wurde zwar schon 1978 gesetzlich festgelegt, nach der 99er-Reform kann ihre Definition als permanente Aufgabe in der Ehe auch im Scheidungsverfahren und Unterhaltsstreit von Bedeutung sein. Weiters wurde die Verteilung der Pflichten in der Hausarbeit genauer definiert und das Recht auf Erwerbstätigkeit auch gegen den Willen des Partners festgelegt. Frauen können also auch dann arbeiten gehen, wenn sie sich nicht einvernehmlich mit ihrem Ehemann darauf geeinigt haben, ohne dass dies als Scheidungsgrund gegen sie verwendet werden kann. Im Scheidungsrecht wurde die Bedeutung von Ehebruch und Verweigerung der Fortpflanzung herabgestuft, indem sie an eine Zerrüttung der Ehe gebunden wurden. Die Zufügung körperlicher Gewalt oder schweren seelischen Leidens wurden neu als schwere Eheverfehlungen gewertet.[1594]

Grundsätzlich stehen die Neuerungen im Eherechtsgesetz im Zusammenhang mit einer Neuordnung der Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft und tragen ihr Rechnung. Frauenpolitischen Anliegen wurde in der Debatte der Gesetzesentwürfe mehr Bedeutung geschenkt als je zuvor. Neben der gesetzlichen Lage sind es aber auch die persönliche Situation der betroffenen Frauen, die Reaktionen im Umfeld und die der Kinder, die bestimmen, wie eine Scheidungssituation bewältigt wird. So zeigt etwa eine Studie des „Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung“[1595], dass, abgesehen von einer Minderheit geschiedene Frauen, über ein deutlich geringeres Haushalts-Netto-Einkommen verfügen als geschiedene Männer. Dafür sind häufig auch die traditionelle Rollenverteilung während der bestehenden Ehe und die in Österreich aufgrund fehlender Betreuungseinrichtungen für Kinder besonders schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie verantwortlich. Bewohnerinnen ländlicher Gemeinden bewältigen eine Scheidung in der Regel wesentlich schlechter als Städterinnen. Ursachen sind die häufigeren traditionellen Vorstellungen über Familie, Rollenverteilung und Scheidung, stärkere soziale Kontrolle, ein größerer Verlust an Sozialprestige und eine geringer vorhandene Bereitschaft, Beratungs- und Unterstützungsangebote anzunehmen. „Ich habe mich total ausgesetzt gefühlt“, so eine Betroffene. „Meine Kinder waren ja noch klein und die einzigen Scheidungskinder in ihrer Klasse. Wenn ich andere Mütter getroffen hab, dann hab ich immer das Gefühl gehabt, sie werfen mir die Scheidung vor. Dabei war es mein Mann, der sich trennen wollte, und nicht ich. Ich wäre schon allein wegen der Kinder bei ihm geblieben.“

Die Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung zeigt auch, dass die Ursachen für das Misslingen einer Partnerschaft – wie schon seit den späten 80er-Jahren – in den unerfüllten und unterschiedlichen emotionalen Ansprüchen an die Beziehung liegen. Hinzugekommen sind allerdings auch unterschiedliche Rollenleitbilder insbesondere die familiale Arbeitsteilung betreffend, unterschiedliche Erziehungshaltungen und mangelnde Fähigkeit zur Kommunikation. Dabei gelingt es Frauen aber eher, die Scheidung als Herausforderung und nicht als Versagen zu sehen. Sie holen sich eher als Männer Unterstützung von Vertrauenspersonen und Einrichtungen und nutzen ihre sozialen Netzwerke zur Bewältigung der Situation.

Die letzten Jahre zeigen nach wie vor einen Anstieg an Scheidungen bei einem Sinken der Anzahl an Hochzeiten, wobei einvernehmlich gelöste Partnerschaften den Hauptteil der Scheidungen ausmachen. Der Trend geht also weg von „Bis dass der Tod Euch scheidet“ und hin zu Lebensabschnittspartnerschaften, bei denen jeweils aufs Neue versucht wird, die emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen. Bei allen oben geschilderten sozialen Schwierigkeiten – besonders für Frauen – muss man sich fragen, ob dieser Trend in einer modernisierten und hoch arbeitsteiligen Gesellschaft nicht völlig normal ist.



[1569] [Martin 1929], S. 111: zitiert nach [Mazohl-Wallnig/Barth-Scalmani/Bauer/Embacher 1995], S. 48.

[1571] [Spaur 1800b], S. 242f.

[1573] Konsistorialarchiv Salzburg, Bestand 22/44 Faszikel 3: Causa divortii 1801–1804. Katharina Wartbichler contra Simon Wartbichler, hochfürstl. Karabinierin Salzburg, Landschaftsphysicus Johann Prex 29. 11. 1794: zitiert nach [Mazohl-Wallnig/Barth-Scalmani/Bauer/Embacher 1995], S. 229.

[1576] [Putzer 1988], hier insbes. S. 1047.

[1577] [Ellmauer 1996], hier S. 28.

[1578] Interview mit [HoffmannH 1996], S. 47.

[1580] Aus dem Briefwechsel von Gertrud R. mit ihrem eingerückten Mann. Privatarchiv Gertrud Mücke: zitiert nach [Thurner/Stranzinger 1996], S. 135.

[1581] [Salzburger Nachrichten], vom 12. Jänner 1946, S. 3: „660 Ehescheidungsklagen in Salzburg“: zitiert nach [Thurner/Stranzinger 1996], S. 160.

[1582] [Rupertibote], 11. Mai 1958, S. 5.

[1583] „Amtsblatt der Landeshauptstadt Salzburg“, 30. Dezember 1960.

[1585] [Hervé 1987], S. 112ff.

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