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Erinnerungen an Krieg und Nachkriegszeit. Biografische Erfahrungen von Frauen (Sabine Fuchs) – Langtext

„Gleich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich wurde ich zur Gestapo vorgeladen und wurde als Jüdin registriert. Es wurde mir eröffnet, daß ich mich sofort von meinem arischen Gatten zu trennen habe und daß ich voraussichtlich in allernächster Zeit Österreich verlassen müsse. Auch mein Gatte wurde mit mir zur Gestapo vorgeladen und dort auf das gröblichste beschimpft. Mein Gatte hat darauf hingewiesen, daß ich getaufte Christin sei und daß er sich von mir nicht trennen werde. Daraufhin wurden wir vor die Alternative gestellt, entweder in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden oder aber Österreich zu verlassen.“[1709]
„Ja, es war eine schöne Zeit, weil man geglaubt hat. Ich hab einen Glauben gehabt. Die einen glauben an Gott, und wir haben halt den Glauben an den Führer gehabt. Ein Volk, ein Reich, ein Führer, haben wir damals gesagt. [...] Ich war nicht eine Nationalsozialistin wie andere – wie die sogenannten ‚Märzveilchen‘, die 1938 dazugekommen sind. [...] Ich war innerlich überzeugt. Meine Bekannten haben immer gesagt: ‚Du bist so eine Hundertprozentige. [...]‘“[1710]

Diese beiden Zitate umreißen die Eckpunkte unterschiedlicher Erfahrungswelten von Frauen, die in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben. Sie stehen gleichzeitig paradigmatisch für eine bis in die 1970er-Jahre zurückgehende Auseinandersetzung innerhalb der feministisch orientierten Geschichtswissenschaft: Waren Frauen als Frauen Opfer des männlich orientierten nationalsozialistischen Herrschaftssystems oder waren sie in der besonderen weiblichen Rollenzuschreibung, die ihnen zugemessen wurde, auch als Mittäterinnen zu betrachten? Die zunächst sehr eindimensional geführte Debatte, auf die näher einzugehen hier nicht der Platz ist[1711], hat mittlerweile differenzierteren Positionen Platz gemacht: Frauen waren in unterschiedlichen Lebenssituationen, waren als Jüdinnen, Kommunistinnen oder nur, weil sie in den falschen Mann – beispielsweise einen polnischen Zwangsarbeiter – verliebt waren, Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Manche standen ihm kritisch gegenüber, ohne dass ihre Einstellung sich in Widerstand geäußert hätte. Frauen waren aber auch Täterinnen und vor allem Mitläuferinnen, die ohne großes Interesse an Politik ihr Alltagsleben gelebt und unter den Kriegsereignissen gelitten, aber durch ihre unreflektierte Haltung den Fortbestand des Regimes mitgetragen haben.

Die nachstehenden Erinnerungen entstammen zum großen Teil Interviews, die viele Jahre nach dem Krieg gemacht wurden, und sind nicht nur durch biografische Faktoren, sondern auch durch eine jahrzehntelange „Erinnerungspolitik“ geprägt, die bestimmte Einstellungen – oft unbewusst – verdrängte. Zwar stehen viele Frauen – und auch Männer – zu ihrer früheren Zustimmung zum Nationalsozialismus, aber keine bzw. keiner „erinnert“ sich daran, antisemitische oder rassistische Ressentiments gehabt, Verfolgten die Hilfe verweigert oder Denunziationen begangen zu haben. Den Wert der aufgezeichneten Lebenserinnerungen schmälert dies keineswegs – man sollte sich aber beim Lesen die möglichen „blinden Flecken“ der Interviewten und den politischen Hintergrund immer vor Augen halten.

Widerstand ...

Auch sollte man daran denken, dass es neben der unreflektierten Alltagshaltung konkreten Widerstand gegeben hat, der durch Mut und politisches Bewusstsein getragen war. So half Agnes Primocic, Arbeiterin in der Halleiner Zigarrenfabrik und KPÖ-Mitglied, unter großem Risiko Häftlingen zur Flucht, indem sie ihnen Waffen und Kleidung besorgte.[1712] Sie hatte Glück und wurde nicht erwischt. Ihrer Parteigenossin Rosa Hofmann erging es schlechter. Sie wurde wegen „Zersetzung der Wehrkraft des deutschen Volkes in Verbindung mit landesverräterischer Begünstigung des Feindes und Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt und im März 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In ihrem Abschiedsbrief an ihre Mutter schreibt sie:

„Wenn Du sehen würdest, wie ruhig ich bin, dann würde auch Dein Kummer nicht so groß sein um mich. Behalte mich immer im lieben Andenken, es sterben jetzt so viele und wissen nicht wofür, mußt Du Dir sagen. Auch, daß Du und Ihr alle es mir so schön wie möglich gemacht habt. Du hast mir die schönen Fahrten ermöglicht, und überhaupt habe ich ein so schönes Leben bei Euch gehabt, so kann ich auch leichter sterben. Wer weiß, was ich noch alles mitmachen müßte, denn die Jugend ist vorbei, wenn man das erlebt hat, was ich erlebt habe. Ich komme mir vor wie eine alte Frau und würde nie mehr genau so glücklich sein können. [...]“[1713]

Es gab also beides: jene Frauen, die bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten jubelten und nur die anderen Jubelnden wahrnahmen, die – auch kurz vor Kriegsbeginn – glaubten, dass in „jede[m] einzelne[n] Herz, [...] soviel Licht, Freude und Zukunftsglauben [...] strahlte, [...] jede einzelne Brust soviel des Glückes trug, daß es schier unfaßbar war, und aus Millionen Herzen fluteten beglückt diese Ströme zurück, in das treueste deutsche Herz, zurück zu dem Manne, der nur ein Ziel, eine heilige Aufgabe eine Sehnsucht kennt: Das Wohl seines Volkes, unser Heil, unseren Frieden, unsere seelische und körperliche Gesundung, unser Gedeihen“, so die nationalsozialistische Autorin Loni Seitz in einer hymnischen Beschreibung Adolf Hitlers in der „Salzburger Landeszeitung“.[1714] Es gab aber auch Entsetzen im März 1938:

„Am 12. März in der Früh mußte ich in die Stadt und hab bitterlich geweint, bis auf den Alten Markt, geschluchzt, bis eine Freundin, die ganz meiner Meinung war, mich ganz energisch angeschnauzt hat: ‚Hör auf zu weinen. Die verhaften Dich vom Fleck weg.‘“[1715]

... und Anpassung

Neben diesen Extremen gab es Alltagserfahrungen, die sich durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten änderten. Im „Bund Deutscher Mädchen“ und im Arbeitsdienst wurden junge Frauen in Volksgemeinschaft und Regime eingegliedert. Dies wurde je nach persönlicher Lebenssituation als „Mordsgaudi“ oder als System sozialer Kontrolle gesehen:

„Da haben wir ein paar Kurse für die jungen Dirndln gehabt, einen Melkkurs, Kochkurse. Das ist von der Bezirkshauptmannschaft Hallein ausgegangen. Da war ich jedesmal. Da hat man so ein Zeugnis gekriegt, und man hat sich ein wenig unterhalten können. Da ist eine Lehrerin von Hallein hereingekommen. Das war eine Mordsgaudi. Das hat immer zwei, drei Tage gedauert. Da haben wir gesungen. Da sind wir zusammengekommen.“[1716]
„Wir sind immer um sechs Uhr aufgestanden. Aufstehen – Morgensport – Waschen – Betten bauen – Fahne hissen. Fahne hissen mit Lied. Hundertmal die gleichen Lieder. Und auch abwechselnd die Fahne aufziehen. Einmal im Winter war das Eisen so kalt, daß fast die Finger hängen geblieben sind. [...]“[1717]

Das Element des Widerständigen oder auch nur des Eigensinnigen fand seine Begründung häufig in einer individualistischen Einstellung gegenüber dem Leben in der nicht immer freundlichen Gemeinschaft. Nach dem Krieg wurde dies gelegentlich zu einer oppositionellen Haltung umgedeutet.

„Ich wollte nicht [zu den Jungmädeln], weil ich als eitles, junges Mädchen keine Uniform tragen wollte, nicht marschieren wollte. [Ich] war also eine Individualistin, in meinem ganzen Leben. [...] Wir mußten als Jungmädeln einen vorgeschriebenen Uniformrock in Dunkelblau tragen, eine weiße Polobluse mit Knöpfen, auf denen das Hakenkreuz eingeprägt war, dazu ein schwarzes Dreiecktuch mit einem braunen Knoten. Das war ein Ledergeflecht. Durch dieses Geflecht zog man die zwei Zipfel des Dreiecktuches. Sie können sich vorstellen, daß ich mit elf Jahren noch nichts von Politik verstanden habe, aber das war mir klar, daß ich keine Uniform tragen wollte. Ich habe es also in irgendeiner Form durchgesetzt, daß ich nie eine komplette Uniform getragen hab. Ich habe weiße Poloblusen getragen. Diese Bluse mit den Hakenkreuzen auf den Knöpfen hab ich garantiert nie getragen.
Außer der Freizeitbeschäftigung in Form von Heimatabenden hatten wir den Samstag als sogenannten Staatsjugendtag. Der Staatsjugendtag wurde mindestens den ganzen Vormittag gefeiert und bestand hauptsächlich aus marschieren in Uniform. Wir mußten sehr laut singen, richtig brüllen, ‚Es zittern die morschen Knochen‘, also ganz ‚feminine‘ Lieder. Mir war das sehr zuwider. Wir marschierten dann von einer Straße in die andere, dann mußten wir exerzieren, links herum und rechts herum, alles sehr zackig. Ich kann mich erinnern, daß eine Führerin uns immer gern zum Wohnhaus ihres Freundes führte, der dann oben aus dem Fenster herausschaute. Dann mußten wir zu ihm hinaufsingen. Und das alles in Kommandoton. Das war mir persönlich auch nicht sehr angenehm, aber ich war eben gezwungen, mitzumachen. Und dann wurde sehr viel Sport getrieben, Leistungssport, den ich auch nicht sehr liebte. Dieser Staatsjugendtag bedeutete für mich eine ungewohnte, unangenehme Anstrengung. [...]
Ich bin [zum Reichsarbeitsdienst] eingezogen worden nach Sachsen, in das Schloß Plotha nach Torgau und wurde dort gezwungen, gleich am ersten Tag, 32 Türen abzuwaschen. Der Arbeit war ich körperlich einfach nicht gewachsen. Ich kam von einer sprachlichen Matura, Ich konnte Shakespeare deklamieren. Ich konnte keine Türen abwaschen, zumindest nicht so viele. [...]
Ich hätte sicher auch melken gelernt – wovor ich mich sehr gefürchtet habe –, wenn man mich am Anfang nicht so sehr gedrillt und unterdrückt hätte. Ich mußte zum Beispiel vor den Augen einer RAD-Führerin einen Ofen ausnehmen und frisch anheizen. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so etwas gemacht. Wir haben Zentralheizung gehabt. Und die haben sehr spöttisch zugeschaut, wie ich versucht habe, das auszuräumen. Niemand hat es mir erklärt. Ich hab den Ofen nie in Gang gesetzt. Hoffentlich sind die inzwischen dort erfroren.
Ich war jedenfalls völlig kaputt. Ich bin dann zusammengebrochen, lag irgendwie so auf dem Bett, ganz schwach, bekam vermutlich Baldriantropfen, wurde dann nach Halle an der Saale geschickt, in die Polyklinik, zur Untersuchung. Diese Ärzte dort haben festgestellt, daß ich für den RAD untauglich bin. Ich wurde dann nach elf Tagen fristlos entlassen.“[1718]
„Ich bin zuerst im Heeresbekleidungsamt in der Schusterei angestellt gewesen. Da habe ich so Plättchen auf die Schuhsohlen nageln müssen, vorne und hinten. Fünf waren es, vorne welche und hinten welche. Am Tag haben wir 23 Paar machen müssen. Das waren so Filzschuhe, die die Soldaten in Rußland gebraucht haben, daß sie nicht ausrutschen. [...] Da ist manchmal noch die Erde herausgefallen. [...] Von Kopf bis Fuß ist man immer vollkommen dreckig gewesen. Und kalt war es da drinnen. Es war ungeheizt. Riesige Hallen sind das gewesen. Da hat man die Stiefel zwischen den Knien gehalten und da hat man dann herum[gearbeitet]. Da haben wir von sieben Uhr früh bis sechs Uhr abends gearbeitet. [...] Nein, schön war das nicht. Dann bin ich krank geworden, weil es so dreckig und kalt gewesen ist. Da habe ich Nierenentzündung gekriegt. Und da hat dann der Doktor vom Heeresbekleidungsamt zu mir gesagt, er rät mir, daß ich solange wie möglich krank bleibe. Da habe ich gesagt, ja, was kann ich denn? Wie es dann besser geworden ist, haben sie mich in die Küchenverwaltung versetzt. Da haben sie erfahren gehabt, daß ich Buchhaltung verstehe. Da bin ich in der Küchenverwaltung gewesen. Bis zum Schluß habe ich in der Küchenverwaltung [gearbeitet]. Da habe ich dann das Rad im Büro gehabt, denn wenn die Flieger gekommen sind, sind wir alle los, auf den Mönchsberg zu. Das Heeresbekleidungsamt war draußen in der Kleßheimer Allee.“[1719]

Die verordnete Arbeit wurde jedoch nicht nur als mehr oder weniger gern erfüllte Pflicht gesehen, für manche Frauen bedeutete sie auch eine neue Welt jenseits der traditionellen Frauenarbeit in Haushalt und pflegenden Berufen.

„Der Reichsarbeitsdienst – das war eine Arbeit, die ungewohnt war. Bohrmaschine ist leicht, ist nur eine Präzisionsarbeit. Man muß die Haare eingebunden haben, das war Vorschrift, denn man kommt ja leicht in die Bohrmaschine rein und wird skalpiert. Aber ansonsten ist ja die Arbeit an der Bohrmaschine eine geistige Arbeit, keine schwere körperliche Arbeit, Präzision, Konzentration – das hat mir Spaß gemacht, auch an der Drehbank.[1720]
„Sehr viele Frauen waren berufstätig. Sie waren bei der Post, bei der Bahn und bei den Obussen als Schaffnerin eingesetzt. Viele sind gern gegangen. Das waren Dienstmädchen. Die haben dann auch ihre gewisse freie Zeit gehabt. [...] Ich habe das Mädchen vom Zahnarzt P. gekannt, die Resi. Einmal bin ich eingestiegen. ‚Bitteschön‘, hat sie gesagt, ‚die Fahrscheine! Wer hat noch keinen Fahrschein?‘ Hab ich gesagt: ‚Ja Resi, bis du jetzt da?‘ Ja, hat sie gesagt, sie ist jetzt zum Obus als Schaffnerin gekommen. Sag ich, ‚Sind Sie gern da?‘ ‚Ja, gern‘, hat sie gesagt.“[1721]

Die Mehrheit der verordneten Tätigkeiten fand allerdings trotzdem im Bereich traditioneller weiblicher Tätigkeiten statt.

„Ich kam zur NS-Volkswohlfahrt. [...] Das war für uns eine Arbeit, wie eine Sozialarbeiterin sie heute verrichtet. Ich war begeistert davon, denn es kam meiner fraulichen Begabung entgegen [...].“[1722]

Das nationalsozialistische Frauenbild fußte auf dem Ideal der Mütterlichkeit – allerdings nur für die den rassistischen Vorstellungen entsprechende so genannte arische Frau. Von ihr verlangte der Staat, möglichst viele Kinder zu gebären, natürlich nur von einem ebenfalls „arischen“ Mann, um für entsprechenden Nachwuchs zu sorgen, der wiederum die nationalsozialistische Expansionspolitik stützen und den „Lebensraum im Osten“ besiedeln sollte.

„Dann mußten wir wochenweise sogenannte ‚Rüstungsmütter‘ ersetzen. Normalerweise kamen die eingezogenen Frauen zu keinem Urlaub, und den Müttern wollte man wenigstens eine Woche im Jahr schenken. Dafür mußte jeweils eine Studentin arbeiten.“[1723]

Nicht alle Frauen richteten sich jedoch nach dem verordneten Mütterlichkeitsideal.

„Ich habe immer gesagt: ‚Ich kann nur so viele Kinder bekommen, als ich erhalten kann.‘ Ich habe nur eines erhalten können. Ich habe immer gesagt: ‚Was nützt das Sprichwort, ‚Der Herrgott schickt ’s Waserl, schickt er auch ’s Graserl‘.‘ Ich wollte mein Kind was lernen lassen. Und dazu hätte ich nicht mehr als ein Kind haben können.“[1724]

Entsprach einer der beiden Partner nicht diesem arischen Ideal, waren Ausgrenzung und Verfolgung die Folge. Zwar lebten Juden und Jüdinnen, die mit so genannten „Ariern“ verheiratet waren, in geschützter Ehe und wurden nicht deportiert, Repressalien ausgesetzt, waren sie trotzdem:

„Meine Schwester [...] ist von Rauris nach Saalfelden verzogen. Das Jahr ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich glaube es war 1941. Dort war sie bei einem Bauern als Sennerin beschäftigt. [...] Als Alphirte gab ihr der Bauer einen Polen (Fremdarbeiter) bei. Durch dieses Zusammensein mit dem Polen ist ein Verhältnis entstanden, das der Meinung einiger Personen damals widersprach und [die] meine Schwester deshalb anzeigten. Ich weiß nicht, wer Anzeige erstattete, doch steht fest, daß dieser Pole öffentlich gehängt und meine Schwester in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht wurde.“[1725]

In dem Lager „Kräutlerweg“ in Salzburg-Maxglan wurden Roma und Sinti inhaftiert, die ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert werden sollten. Die Salzburger Bevölkerung nahm dies stillschweigend, oft auch zustimmend zur Kenntnis.

„Einmal ist sie [Leni Riefenstahl] nach Maxglan gekommen und hat Leute für einen Film gesucht. Habt acht haben wir stehen müssen, und sie hat sich welche herausgeholt. Mich hat sie genommen, noch ein Mädel und einen kleinen Buben, mit so drei, vier Jahr, ganz ein schwarzer, kohlschwarz wie ein Rabe. Auf die Kinder hab ich dann aufpassen müssen. Mit dem Zug sind wir nach Mittenwald, unter Aufsicht, sonst wär ich damals davongerannt. Ich wollte meine Leut nicht im Stich lassen, und von meinen Eltern war ich ja noch nie weggewesen. Bei einem Bauern haben wir dort geschlafen, im Heustadel, und immer waren wir bewacht. Von so gewöhnlichen Polizisten aus Salzburg.
Den Film hab ich nie gesehen. Leider. Wenn sie ihn einmal sehen, das Mädchen bei der Kirche, das bin ich. Mit so einer Hochfrisur, eine gelbe Bluse hab ich angehabt und einen weiten Rock. Geschminkt sind wir worden, eine eigene Kosmetikerin hast gehabt und eine Garderobefrau. [...]
Die Riefenstahl war immer dabei. In einem großen Wohnwagen hat sie gesessen und ausgeruht. Den Himmler hab ich ein mal gesehen dort, der hat mit ihr geredet, und lauter SSler, so höhere Leut. Für uns hat sie ja zahlen müssen, ich weiß nicht wieviel pro Kopf. Aber das Geld hat die Lagerverwaltung kassiert, wir haben nichts davon gekriegt.
Nach einer Zeit hat mir die Mutter geschrieben, sie kommen weg, aber sie weiß nicht wohin. Da bin ich davongerannt, auf d’ Nacht. Allein bin ich davon. Nicht lang war ich auf der Flucht, gleich habens mich erwischt und in Salzburg wieder eingesperrt. Wenn sie mich nicht erwischen, habens gesagt, muß sie statt mir ins KZ. Daß ich dort davongerannt bin, war eine Art von Arbeitssabotage. Einmal wird die Zellentür aufgesperrt, kommt die Frau Riefenstahl mit einem SSler, einem höheren. Hat sie von mir erwartet, daß ich um mein Leben bitte. Ich war stolz – und hab auch nicht gewußt, was ein KZ ist. Meine Mutter hat sich für mich niedergekniet, hat gebittet und gebettelt. Nein, haben die gesagt, sie kommt ins KZ. Wenn die Helena Riefenstahl [sic!] ein Wort dreingelegt hätt, vielleicht hätte mir das geholfen. Sie war ja wer. Mit den größeren Herren hat sie ganz gute Beziehungen gehabt.“[1726]

Gelegentlich finden sich in den Erinnerungen auch Beispiele für eine ganz simple Art des Widerspruchs gegen die allumfassende Gleichschaltung, die zwar nicht als direkter politischer Widerstand, aber als Opposition zu werten ist.

„Am ersten Tag nach dem Einmarsch bin ich gar nicht aus dem Haus, so fertig war ich. Beim ersten Einkauf – in der Metzgerei – haben die natürlich alle mit ‚Heil Hitler‘ gegrüßt. Mir ist ganz anders geworden. Ich habe nicht viel gesagt, habe mein Fleisch genommen, habe gezahlt und bin gegangen. Am nächsten Tag – ich habe wieder einkaufen gehen müssen – haben die natürlich wieder mit ‚Heil Hitler‘ gegrüßt. Da hat es mir gereicht: ‚Jetzt werde ich euch etwas sagen: ich habe mein Hemd noch nicht gewechselt. Ich bin noch die, die ich bin. Zu mir brauchts nicht ‚Heil Hitler‘ sagen. Und daß ihr’s wißt, ihr habts mich heute zum letzten mal gesehen.‘
Ich bin dann in die Rainerstraße einkaufen gegangen. Da haben mich die Leute nicht gekannt. Und wenn ein Haufen Frauen beisammen gestanden ist, dann habe ich sie ein wenig aufgehetzt gegen den Hitler und bin gegangen. Die Frauen haben ja eh schon selber zum jammern angefangen: ‚Das gibt’s nicht mehr, und das kriegt man nicht mehr.‘ ‚Gut‘, habe ich gesagt, ‚das haben wir alles den Deutschen zu verdanken. Wenn’s nicht so viel dumme Leute gegeben hätte, die wollten, daß der Hitler kommt, dann wäre es nicht so weit gekommen. Dann bin ich gegangen. In der letzten Zeit war’s dann schon so, daß mein Mann immer schon beim Gartentürl gestanden ist und auf mich gewartet hat, wenn ich länger aus war beim Einkaufen: ‚Mein Gott, Mutter, daß du nur da bist! Ich habe mir schon gedacht, sie haben dich erwischt! Du kannst ja deinen Schnabel nicht halten.‘ ‚Nein‘, habe ich gesagt, ‚so lange es geht halte ich ihn nicht!‘“ [1727]
„Ich kam aus der Kirche, und da saß der Gestapo-Mann da. Der saß neben meinem Radio, aber es war nicht auf Ausland eingestellt, sonst säße ich heute nicht da. Dann hat er mich mitgenommen. Ich betrat das Zimmer mit ‚Grüß Gott‘. Da haben sie natürlich schon geschaut. Ich habe nie ‚Heil Hitler‘ gesagt. Dann sagte der, der mich verhört hat: ‚Wir wissen, daß Sie nicht ‚Heil Hitler‘ grüßen. Warum nicht?‘ Hab ich gesagt, ich hab’s doch nicht nötig, daß die Leute sagen: ‚Schaut sie euch an, die katholische Füchsin. Jetzt kann sie auf einmal ‚Heil Hitler‘ grüßen. Außerdem: ‚Die jedem Staate sich bekennen, das sind die Weisen dieser Welt. Man könnte sie auch Schufte nennen.‘‘ Dieses Verserl habe ich auf einem Parteibüro, wo ich irgendetwas erledigen mußte, gelesen und auswendig gelernt. Ich hab mir gedacht, das kannst du noch einmal brauchen.
Dann sagt er: ‚Hören Sie Ausland?‘ ‚Das ist doch verboten.‘ ‚Aber die Leute hören doch.‘ Sag ich: ‚Ja, freilich, es wird auch gestohlen, und ich stehle nicht.‘ So ging das Geplänkel hin und her. Dann kam noch der allerstrengste und allerwiderlichste Gestapo-Mann ins Zimmer, hat sich das Protokoll angeschaut: ‚Unterschreiben Sie!‘ Ich habe unterschrieben. ‚Sie können jetzt gehen, aber Ihr Radio wird abgeholt.‘ Sage ich: ‚Gott sei Dank, komme ich wenigstens nicht mehr in Verdacht.‘ ‚Sie meinen wohl Versuchung?‘ Sage ich: ‚Nein, ich meine ‚Verdacht‘.‘ Damit bin ich aus der Tür. Ich habe diese Angst noch im Jahr ’47 und ’48 gespürt, wenn es zu ungewohnter Zeit geläutet hat.“[1728]

Krieg

„Im Gasthaus hast du nur Eintopf gekriegt. Und dafür hast du einen bestimmten Betrag Geld abgeben müssen. Das ist da gesammelt worden. Da ist der Ortsgruppenleiter gewesen, der hat das in Empfang genommen. Du hast auch was anderes kochen können. Du hast es nicht sagen brauchen. Hauptsache, du hast Geld abgegeben. Fast jede Familie hat abgegeben, weil jede Angst gehabt hat. Da waren so Listen, und da bist du dann aufgefallen. [...] Sehr viel Linsen hat’s gegeben, zum Kaufen, das schon, aber auf Karten. Die Linsen, da war immer so viel Ungeziefer dabei, daß ich mir geschworen habe, nach dem Krieg esse ich keine Linsen. Da sind so viele Viecher drin gewesen.“[1729]
„Mit dem Gewand, ja, das war eine Havarie. Da hab ich halt immer wieder für das Dirndl nichts gehabt und immer wieder von mir was aufgetrennt und wieder fest gestrickt. So hat man sich halt durchgewurstelt. Es hat schon gewisse Stoffe gegeben, aber sehr, sehr wenig, sehr selten. Da ist man natürlich gleich gelaufen, daß man das gekriegt hat. Aber das ist ganz, ganz selten gewesen. Das war wenig. Wolle gab’s überhaupt nicht.“[1730]
„Ich hab ziemlich mein Letztes hergegeben. Ich hab nichts mehr gehabt. Man hat ja ohne Tauschen nichts mehr gekriegt. Ums Geld hast ja nichts gekriegt. Da hat meine Schwägerin einmal gesagt: ‚In der Wachau drunten gibt’s so viele Marillen. Fahren wir hinunter!‘ Der Zug hat fast nichts gekostet, und die Kinder hab ich bei meiner Nachbarin gut aufgehoben gehabt. Und da sind wir halt hinuntergefahren. Und da sind wir zu einem Bauern hin, Senftenbach hat das geheißen: ‚Ja, bitte schön, könnten wir nicht ein paar Kilo Marillen haben?‘ Jede hat einen Koffer mitgehabt. ‚Ja, was habt’s denn zu tauschen?‘ ‚Ja, zum Tauschen haben wir nichts, aber wir zahlen es euch gut.‘ ‚Oh mei‘, hat der gesagt, ‚von den Wienern kriegen wir soviel Schmuck und Stoff und Schuhe und alles. Nein, um Geld könnt Ihr keine haben.‘ Da sind wir zum nächsten Bauern. Wieder das gleiche. Hab ich gesagt: ‚Du, jetzt wird es mir zu blöd. Ich hab es den Kindern versprochen, ich bringe ihnen Marillen heim. Ich gehe nicht heim, bevor ich nicht den Koffer voll habe.‘ Hat sie gesagt: ‚Bist narrisch? Was glaubst denn du?‘ Sag ich: ‚Komm jetzt, wir gehen da hinauf.‘ Da sind Weinberge gewesen. Zwischendurch sind Marillenbäume gestanden, und unter den Bäumen sind ganz dick die Marillen gelegen. Hab ich gesagt: ‚Du tust aufpassen, und ich tu klauben.‘ Und dann haben wir uns die Koffer angefüllt, gebeutelt, so gut es gegangen ist, und dann angefüllt. Die Kinder haben eine Freude gehabt!“[1731]
„Ich bin dann zum Luftschutzdienst eingeteilt worden und hab ein Fahrrad und eine Binde als Melder bekommen. Wenn Fliegeralarm war, mußten wir zur Stelle sein. Ich bin auf mein Rad gestiegen und habe herumgeschaut. Ich habe nicht in den Stollen gehen dürfen. Wenn Brandbomben fielen, mußten wir melden, daß die Feuerwehr einschreitet. Wir haben auch helfen müssen, wenn Leute verwundet worden sind, Erste Hilfe leisten.
Vis-à-vis von der Lehener Post war eine Wiese. Da waren lauter Holzbloch. Da bin ich meistens hingegangen und hab ein bisserl geschaut, weil ich da eine gute Aussicht gehabt habe. Ich habe gesehen, wie sie Brandbomben geschmissen haben, wie der Tannerhof gebrannt hat. Ich war sofort in Morzg. Die Frau Tanner ist unter einem Barren gelegen, tot. Der Herr Tanner war von einem Tram, der heruntergefallen ist, eingeklemmt und ist nicht mehr herausgekommen. Das Feuer ist immer näher gekommen. Den hab ich dann mit Ach und Krach herausgekriegt. Dann habe ich sofort telefoniert, und das Rote Kreuz ist gekommen und hat ihn ins Spital. [...] Sieben Kühe sind verbrannt. Ja, das war grauslich. Den Tierrettungsdienst hab ich auch informieren müssen.“[1732]
„Dann hab ich die Kriegsmatura gemacht. Die ist schon zu Weihnachten gewesen, weil man uns gebraucht hat. Da hat’s immer geheißen: ‚Ihr kommt in die besetzten Gebiete.‘ Daß ich das Zeugnis überhaupt kriege, hat man davon abhängig gemacht, daß ich ein Praktikum im besetzten Gebiet mache. Also bin ich von Jänner bis März im besetzten Gebiet in Oberkrain gewesen, und erst am 31. März hat man uns das Zeugnis überreicht. Da ist die ganze Klasse hinuntergekommen. Im Sommer vorher haben wir schon einen Einsatz gehabt unten, und da waren wir echt begeistert von dem schönen Land und den Leuten.
Ich war zuerst in einer großen Schule mit anderen Kärntner Lehrern. Das war zum Eingewöhnen ganz gut. Nach ein paar Monaten hat man uns aber in eine kleine Schule versetzt. Da waren wir zu zweit. Ich mit meinen 19 Jahren war die Schulleiterin. Ich war ganz allein in einem Schulhaus, abseits am Waldrand. Ich bin ein ängstlicher Mensch, und ich muß sagen, damals hab ich schon das Fürchten gelernt. Die erste Zeit hab ich mir nichts gedacht, aber wie man so der Reihe nach gehört hat, dort und da sind Partisanen aufgetaucht, haben den Bahnkörper gesprengt [...].“[1733]
„Die Kleine hat ihn gar nicht gekannt. Die hat immer, wenn er gekommen ist, gesagt: ‚Schiacher Mann, böser Mann.‘ Ich hab sie immer wieder beruhigt. Dann habe ich ein großes Bild machen lassen, und dann hab ich immer gesagt: ‚Das ist der Papa.‘ Und wenn er gekommen ist, und sie hat wieder so gesponnen, ist so bös geworden, dann hab ich gesagt: ‚Schau, das ist ja der Papa. Das ist der Papa, dieses Bild.‘ Mit dem Sohn war es auch so. Hat ja auch keinen Kontakt gehabt.“[1734]

Kriegsende

„30. April 1945. Die Front rückt näher. Bald wird der Amerikaner in Salzburg sein. Die Straßen sind von vielen Rückwanderern belebt. – Ich kann nie schlafen vor Aufregung. Tag und Nacht das gleiche, lange halte ich es nicht mehr aus. – Habe auch Angst vor Vergewaltigung, Angst, daß wir das gleiche wie die Frauen und Mädchen im Osten erleben müssen.
1. Mai 1945. Kriegsstürme gehen durch das Land, die Fenster klirren. – Die Flieger sind dauernd da, es kennt sich bald niemand mehr aus. Heute war Angriff und danach wurde erst Alarm geschlagen. Auf dem Felde fliegen die Tiefflieger, die mit Bordwaffen nicht sparen. Wir wurden auch beschossen, aber Gott sei Dank nicht getroffen. – Die Maiandacht war schön. Der Herr Pfarrer predigte vom lieben Gott, der uns schirmt und schützt.“[1735]
„Dieses Kriegsende war fürchterlich – eine derartige Unordnung, gefühlsmäßig, daß man sich überhaupt nicht mehr ausgekannt hat. Man war wirklich – eigentlich – verzweifelt. Das Kriegsende war so furchtbar, weil man wochenlang immer schon den Krieg gehört hat – die Kanonenschüsse. Ich bin mit der Mutter im Ehebett vom Vater gelegen, denn der war ja eingerückt, und wir haben fünf Kinder gehabt daheim zum Versorgen, wir zwei praktisch. Ich habe mich so ungeschützt gefühlt. Es hat der Vater gefehlt, und ich habe ihn für meine Geschwister ein bißchen ersetzen müssen. Ich war 15 Jahre. Und ich bin auch zu Weihnachten – die letzten Kriegsweihnachten – bis zum Bauch im Schnee in den Wald hinauf gestapft und habe den Weihnachtsbaum geholt, was sonst immer der Vater gemacht hat. Und das war eigentlich der Beginn vom Ende.
Wir haben eine fürchterliche Angst auch gehabt, daß der Russe so weit heraufkommt. Das waren Ängste, die man nicht beschreiben kann, daß muß man selbst erlebt haben. Und dann: Das eine System ist zusammengebrochen, wo man eh als Kind schon gemerkt hat, daß das ein Katastrophensystem ist – das habe ich schon mitgekriegt in der Nazizeit, daß das sowieso eine Katastrophe ist. Aber es war sonst auch nichts da. Es war nichts da.“[1736]
„Wie der Nazi-Krieg aus war, ist mein Mann in Gefangenschaft gekommen. Ich habe schon ein dreiviertel Jahr keine Nachricht mehr von ihm gehabt. Ich habe nicht gewußt, lebt er oder ist er gestorben oder liegt er als Krüppel irgendwo im Lazarett. Ich habe überhaupt nichts gewußt und bin alleine dagestanden mit einem Haufen Kinder. Keine Unterstützung – solange der Mann eingerückt war, haben wir ja noch Unterstützung gekriegt, aber das ist dann natürlich weggefallen nach dem Krieg – und nichts zu essen. Ich habe mir gedacht: Du mußt das schaffen. Deine Kinder leben. Du mußt es einfach schaffen. Und da bin ich dann jeden Tag in der Früh in den Wald mit zwei Eimern zum Beeren pflücken und Pilze sammeln. Davon haben wir gelebt, und einen Teil davon habe ich sogar noch verkaufen können.“[1737]

Befreiung ...

„Sie waren Befreier, ja. Unbedingt, ja. Denn wie wäre es denn weitergegangen? Und sie haben sich bei uns gut benommen, außer daß sie die verschiedenen Villen und Wohnungen besetzt haben. Aber ich glaube, daß das zu einer Besatzung halt irgendwie dazugehört, denn wo sollen sie denn wohnen, in der Luft oder wo? Und wir waren ja die Feinde. Aber, dafür, daß wir die Feinde waren [...]. Die Amerikaner haben es natürlich auch leichter gehabt als zum Beispiel die Russen oder die Franzosen, weil wir ja bei denen nichts zerbombt haben und weil ihre Bevölkerung den Krieg nicht so gespürt hat wie zum Beispiel die Franzosen oder die Russen. Daß die natürlich dann auch uns gegenüber eine härtere Einstellung gehabt haben und die Amis eben eine laxere, das war ja zu verstehen. Denn was der Krieg in Rußland kaputt gemacht hat oder auch in Frankreich! Mein Mann war zuerst in Frankreich, dann in Griechenland bei 54 Grad Hitze. Das war im Sommer. Dann sind sie hinaufgekommen ans Eismeer, im Winter, bei 50 Grad Kälte. Die haben natürlich alle eine ganz andere Einstellung gehabt zu uns. Die Amerikaner haben es eben lockerer genommen, weil die persönlich ja nicht betroffen waren, weil denen ja nicht die Stadt kaputt gemacht worden ist wie anderen. Zum Beispiel, was wir kaputt gemacht haben in Leningrad, Stalingrad oder sonstwo.“[1738]
„Mir fällt zum Beispiel ein, ich habe erst neulich darüber nachgedacht, daß wir nach dem Krieg drei verschiedene Personen bzw. Familien hier hatten, der Reihe nach, die das KZ überlebt hatten, aber ich weiß von keinem, in welchem KZ er war. Man hat die Leute einfach nicht danach gefragt. Bei der einen Familie ermordeten sie die Kinder, in der anderen Frau und Kind. Aber man war so befangen. Ich möchte fast sagen, in einem Nebel, da hat man nichts mitgekriegt. Andererseits war man so hoffnungsfroh, man hat sich gedacht, mein Gott, jetzt muß einfach alles besser werden. Die Amerikaner haben auch diesen missionarischen Eifer gehabt, sie wollten einem immerzu predigen, wie schön und gut es in der Demokratie ist. [...] Man hat so viel Hoffnung gehabt, man war irgendwie befreit, und es war so schön. Diese Atmosphäre kann ich nicht besser beschreiben.“[1739]
„1945 begann für mich ein neues Leben. Ich tauchte aus dem Untergrund auf, aus der Todesangst befreit, begann ich zu malen. Ich malte jeden Sonntag, wenn die Kinder mit meinem Mann spazieren waren. – Naturerlebnisse, die Sonne, den Göll. Ich mußte einfach von innen heraus malen, es war für mich ein Erkenntnisweg.“[1740]

... oder Besatzung?

„Da gab es hier in der Nähe einen Amerikaner norwegischer Abstammung. So ein fescher, blonder Mann. Der ist mir sehr nachgelaufen. Und dann hat er gesagt: ‚Paß auf, ich komme heute Nacht. Ich komme. Ich will dich.‘ Da habe ich abgewehrt: ‚Ja, ja, ist schon recht.‘ Noch fester hätte ich die Tür gar nicht zusperren können! Aber der hat tatsächlich [...] Und das war für mich ein Ausdruck von Macht, weil er wußte, ich will ja gar nicht. [...] Er wollte, das hat gereicht. Und das hat mir nicht gefallen. Dann war er so beleidigt auf mich, weil das Fenster zu war, die Türen versperrt waren. Meine Eltern wären ja auch da gewesen, aber das war ihm wurscht. Das war für mich ein Ausdruck einer gewissen Macht, die rücksichtslos ist. Aber dann hat er mich eh nicht mehr angeschaut.“[1741]
„Was glauben S’, wie die umgehaut haben. Da, von der Küche aus, haben sie ins Zimmer hinübergeschossen. Und wenn ich Ihnen sage, der Boden war schwarz, wie dieses Blech da, wie wir wieder eingezogen sind. Im Februar haben wir wieder hereindürfen. Die haben mir alles ruiniert gehabt. Der Schwiegersohn hat eh versucht zu reparieren, was noch herzurichten war. Aber, was glauben S’ denn: Die Füße am Tisch droben, mit den Schuhen im Bett drinnen. Gerade daß ich die Tuchenten noch gerettet habe. Die haben herumgewirtschaftet, furchtbar. Sieben Monate waren wir bei der Nachbarin und haben hinter dem Tisch geschlafen, auf einem Diwan.“[1742]
„Die Kinder haben in die Wohnung hinauf dürfen, um noch restliche Sachen zu holen, speziell auch Spielsachen. Als ich das erste mal hinaufgekommen bin, habe ich mich ganz vorsichtig hineingeschlichen. Da habe ich aber Lärm gehört und dann geschaut: Wir haben in der Küche so ein Kanapee gehabt, einen Diwan. Da sind zwei junge Kerle draufgestanden und sind gesprungen, wie sie nur springen haben können. Und zwei sind am Boden gelegen und haben geschaut, was da drinnen ist, daß es so federt. Ich weiß es nicht, haben die so etwas nicht gekannt? Sie waren junge Kerle, alle so zwischen 22 und 25 Jahren. Ich sehe es ja bei meinem Sohn – der ist jetzt dreißig –, wie kindisch der oft noch sein kann. [...]
Die haben sich gar nicht stören lassen. Und ich habe da einige Sachen geholt. Die Eltern haben gesagt, ich soll schauen, daß ich auch Besteck erwische. Wir haben zu wenig Besteck mitgehabt. Dann bin ich ins Schlafzimmer rüber. Da sind zwei neben dem Bett gesessen und haben mit der Tuchent und dem Überzug Gewehr geputzt. Ich habe heute sogar noch den Tuchentüberzug mit den Schmierflecken drinnen. Es war entsetzlich anzuschauen. Nur, heute habe ich darüber nachgedacht: Denen war das doch egal. Das waren junge Kerle, und das Gewehr hat geputzt werden müssen, die Tuchent ist in Griffweite dagelegen. Da werden die nicht gehen und sich Putzmaterial holen.
Die haben dann ja auch Angst gehabt, daß die Wasserleitung vergiftet ist. In den Wohnungen, in denen die drinnen waren, ist jede Wasserleitung mit dem Totenkopf markiert und abgesperrt gewesen. Die haben sich das Trinkwasser selbst zubereitet. Die haben da so ein Gerät im Hof drinnen stehen gehabt, zum Destillieren oder was weiß ich. Unser Wasser haben sie jedenfalls nicht angerührt. Das hat sich dann bei uns Kindern herumgesprochen, daß die Angst haben, sie könnten vergiftet werden. Wir sind mit einer Wonne hineingegangen, haben uns eine Tasse genommen, Wasser geholt und das getrunken. Die haben immer groß geschaut.“[1743]
„[Die Amerikaner] haben uns viel Gutes gebracht, meiner Meinung nach. Wahrscheinlich auch weniger Gutes. Und es war eine gute Zeit, weil sie wirtschaftlich sehr viel Aufbau bewirkt haben, ganz bestimmt sogar. Die Amerikaner haben viel Geld dagelassen. Aber, sagen wir, für mich persönlich war’s nicht mehr wichtig. [...]
Sie haben mehr und mehr an Macht, an Ansehen verloren. Man hat sie zunehmend als gleichwertig betrachtet. Je besser es den Österreichern ging, umso gleicher wurden sie, glaube ich. Das ist eh ganz klar: Wenn ich heut’ Arbeit habe, habe ich Brot. Und habe ich Brot, geht’s mir gut. Und wenn’s mir gut geht, ist der Nachbar lange nicht mehr so groß und mächtig, wie wenn ich hungrig bin. Das ist jetzt sehr drastisch ausgedrückt, aber ich glaube, es kommt hin. [...]
Politik und dergleichen, das was die alten Herren damals gemacht haben, interessierte mich überhaupt nicht. Mir war das völlig egal. Ich weiß, es ist eine gewisse Dummheit dabei gewesen. Es war ja meine, oder auch meine Zukunft. Aber ich war damals einfach froh, daß ich gelebt habe. [...] Es war einfach nicht mehr so wichtig. Ich war damals im Haushalt. Ich habe meine Tochter gehabt. Es war halt so ein Eindruck, naja, die gehen jetzt. Mir war’s eigentlich dann gleich.“[1744]


[1709] Zitat Maria Leitner. In: [DÖW 1991], S. 442.

[1710] Interview mit Anna P., Jg. 1898. Tonarchiv des Steinocher-Fonds. Interviewerin Ingrid Bauer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 98.

[1711] Vgl. dazu [Dörfler 2000]. – Zu Frauen im Nationalsozialismus allgemein: [Schmidt/Dietz 1983]. – [Benz 1993].

[1713] Abschiedsbrief von Rosa Hofmann. In: „Salzburger Tagblatt“, 31. Oktober 1945.

[1715] Interview mit Ilse B., Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Michaela Ottensammer, Anna Stiftinger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 98.

[1716] Interview mit Elise H., Jg. 1920, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Annemarie Mitterhofer, Karin Krempl. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 105.

[1717] Interview mit Frau S., Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Gabriele Lindner, Beate Seeburger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 109.

[1718] Interview mit Hanna G., Jg. 1924, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Johanna Breuer, Michaela Ottensammer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 111f und 120.

[1719] Interview mit Eva J., Jg. 1923, Verkäuferin und Buchhalterin. Tonarchiv des Steinocher Fonds, Interviewerin Ingrid Bauer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 118.

[1720] Interview mit Amalia N., Jg. 1913, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Annemarie Mitterhofer, Sabine Smolik. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 118f.

[1721] Interview mit Amalia N., Jg. 1913, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Annemarie Mitterhofer, Sabine Smolik. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 118f.

[1722] Interview mit Hanna G., Jg. 1924, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Johanna Breuer, Michaela Ottensammer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 111.

[1723] Interview mit Hanna G., Jg. 1924, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Johanna Breuer, Michaela Ottensammer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 116.

[1724] Interview mit Helene W., Jg. 1904, Bilanzbuchhalterin. Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 103.

[1725] Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, Akt 18.264, Niederschrift Frieda Rieder 13. Juni 1960. Zitiert nach [Thurner 1996].

[1727] Interview mit Therese K. aus Salzburg-Itzling, dem sozialdemokratischen Milieu entstammend, Tonarchiv Steinocher-Fonds. Interviewerin Ingrid Bauer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 122.

[1728] Interview mit Ilse B., Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Michaela Ottensammer, Anna Stiftinger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 122f.

[1729] Interview mit Maria Z., Jg. 1911, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Annemarie Mitterhofer, Beate Seeburger, Anna Stiftinger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 132.

[1730] Interview mit Josefine N., Jg. 1910, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerin Beate Seeburger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 133.

[1731] Interview mit Josefine N., Jg. 1910, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerin Beate Seeburger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 134.

[1732] Interview mit Amalia N., Jg. 1913, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Annemarie Mitterhofer, Sabine Smolik. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 120f.

[1733] Interview mit Frau W., Absolventin der Lehrerbildungsanstalt Salzburg, Tätigkeit als Junglehrerin im besetzten slowenischen Gebiet in Unterkrain. Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerinnen Annemarie Mitterhofer, Anna Stiftinger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 121.

[1734] Interview mit Josefine N., Jg. 1910, Archiv der Historikerinnengruppe an der Universität Salzburg. Interviewerin Beate Seeburger. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 136.

[1735] Tagebuchaufzeichnungen von Ernestine H., Jg. 1928, damals 16-jährige Bauerntochter in Anif. Ihre Mutter kam am 11. November 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 137.

[1736] Interview mit Gertrude B., Jg. 1930, damals 15-jährige Eisenbahnertochter in Radstadt. Tonarchiv des Steinocher-Fonds. Interviewerin Ingrid Bauer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 150.

[1737] Interview mit Maria M., Jg. 1909, Eisenbahnersfrau aus Radstadt. Tonarchiv des Steinocher-Fonds. Interviewerin Ingrid Bauer. Zitiert nach [Thurner 1996], S. 152.

[1738] Interview mit Leopoldine S., Jg. 1922. Damals ehrenamtliche Rot-Kreuz-Schwester, später Sekretärin und Buchhändlerin. Interviewerin Franziska Schneeberger. Zitiert nach [BauerI 1998], S. 76.

[1739] Interview mit Frau B., Jg. 1922. Interviewerinnen Ursula Resch, Ingrid Bauer. Zitiert nach [BauerI 1998], S. 74.

[1741] Interview mit Anna M., Jg. 1928, im Nachkriegsjahrzehnt Postbeamtin. InterviewerInnen Ingrid Bauer, Reinhold Wagnleitner. Zitiert nach [BauerI 1998], S. 183.

[1742] Interview mit Marie St., Jg. 1905, damals Zigarrenarbeiterin in Hallein. Tonarchiv Boltzmann-Institut/Steinocher-Fonds. Interviewerin Ingrid Bauer. Zitiert nach [BauerI 1998], S. 55.

[1743] Interview mit Anna D., Jg. 1936, damals Schülerin in Hallein. Interviewerin Sabine Jahn. Zitiert nach [BauerI 1998], S. 56.

[1744] Interview mit Anna M., Jg. 1927. Zunächst Postangestellte, nach Heirat und der Geburt der Tochter 1953 Hausfrau. InterviewerInnen Ingrid Bauer, Reinhold Wagnleitner. Zitiert nach [BauerI 1998], S. 288.

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