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Alte Handwerkerherrlichkeit (Günther Jontes) – Langtext

Vom Leben der Zünfte

Das europäische Mittelalter mit seinem sozialen Gefüge hat zwei für Jahrhunderte zukunftsweisende neue Lebensformen hervorgebracht: den Adel und den Handwerkerstand, der sich zünftisch organisierte. Der Adel ist ein Ergebnis der Entwicklung eines vorher in dieser Form nicht existierenden Begriffes von Herrschaft und dem damit verbundenen Machtwandel. Die Entstehung eines eigenen Handwerkerstandes ist hingegen mit dem Aufkommen der Märkte und Städte in Verbindung zu setzen, die mit den Siedlungsstrukturen der Antike nur mehr wenig gemein haben. Die gesellschaftliche Basis bildeten nach wie vor die Bauern, neben die sich nun langsam im Zuge der produktionsmäßigen Spezialisierung in den neuen Siedlungen die Handwerker und Gewerbetreibenden setzten. Diese rekrutierten sich anfänglich aus Leuten, die im Rahmen der Wirtschaft etwa eines Bauernhofes neben der eigentlichen landwirtschaftlichen Arbeit auf Feld, Wald und Weide auch manipulativen Tätigkeiten wie Weben, Schmieden und dergleichen nachgingen, wie es ein versorgungsmäßig halbwegs autochthoner Komplex erforderte. Zog es dieselben in Markt oder Stadt, so wurden sie zu Spezialisten, die sich auf eine spezifische Produktenpalette konzentrieren konnten. Der Leibuntertänigkeit, die sie unter den Grundherrn zwang, waren sie dann nicht mehr unterworfen. Sie waren ad personam politisch so gut wie frei, das heißt, sie waren Teil der Bürgerschaft und nur diese stand mit ihrer Vertretung durch Richter, Rat und später Bürgermeister dem Landes- oder Stadtherrn gegenüber, der ein Landesfürst, Bischof oder Adeliger sein konnte. Der Ruf „Stadtluft macht frei“ muss vor allem seit dem 13. Jahrhundert eine besondere Anziehungskraft für wagemutige und agile Landbewohner besessen haben, vielleicht am ehesten vergleichbar mit den starken Auswanderungsbewegungen in die Neue Welt im 19. und 20. Jahrhundert.

Arbeit in Fronhöfen und Klöstern des frühen Mittelalters und der Drang in die Stadt

Die Handwerker der mittelalterlichen Fronhöfe waren also unfreie lohnabhängige Arbeiter, der spätere „klassische“ Handwerker aber ein Stadtbewohner und Bürger. Auch die Klöster dürfen für die Entwicklung des Standes nicht außer Acht gelassen werden, hatten die „alten“ Orden wie etwa die Zisterzienser doch überhaupt in weiten Teilen des mittelalterlichen Europa erst von Grund auf mit der Kolonisation begonnen und von der Rodung des Urwaldes bis zur Schaffung kunstreichster liturgischer Handschriften alles selbst in die Hand genommen. Klosterhandwerker aus dem Fundus der nicht zu Priestern geweihten Brüder („Konversen“) erhielten die klösterliche Gemeinschaft mit ihrem Umfeld an bäuerlichen Untertanen in Bewegung. Manche heute noch übliche zu Familiennamen gewordene Handwerkerbezeichnungen sind aus dem mittelalterlichen Klosterlatein zu erklären, so etwa Pfister (lat. pistor = „Bäcker“) oder Sutter ( lat. sutor = „Schuhmacher“).

In einer Siedlung zu leben bedeutete auch, einen anderen Schutz zu genießen als auf dem flachen Lande, wo Feindeseinfälle, Fehden, Naturgewalten unmittelbar drohten. Schutz hatte aber seinen Preis. Man musste als Teil einer Gemeinschaft selber dazu beitragen, nahm an verschiedenen Verpflichtungen teil, wie sie etwa Verteidigung, Feuerschutz, öffentliche Aufgaben usw. darstellten. Dennoch musste die zuvor nicht gekannte persönliche Freiheit Attraktivität genug gehabt haben, auch wenn dazu noch Enge, Lärm, Epidemien das Leben in einer Siedlung immer wieder beeinträchtigten.

Das dominierende religiöse Leben forderte den Menschen ebenfalls. Er war auch in die christliche Gemeinschaft einer Pfarre oder einer geistlichen Bruderschaft eingebunden, die ebenfalls ihre Pflichten vorschrieben. Durch den Glauben gebunden, waren diese Gemeinschaften noch dazu mit irrationalen psychischen Zwängen verbunden, an deren Verheißungen sich sogar das Höllenfeuer entzünden konnte. Allerdings hatten auch diese verpflichtenden Vereinigungen, aus denen sich später die Handwerkerzünfte entwickeln sollten, ihre großen Vorteile. Sie boten zusätzlichen Schutz nicht nur im geistlichen Bereich, sondern unterhielten auch Spitäler und andere Sozialeinrichtungen und garantierten ihren Mitgliedern ein würdiges Begräbnis.

Die soziale und organisatorische Entwicklung des Handwerkerstandes erfolgte einerseits über den technischen und technologischen Fortschritt, in der Rezeption neuer Arbeitsmethoden und bisher unbekannter Werkstoffe. Andererseits erfolgte dieser Kulturwandel nicht nur im Äußerlich-Technischen, sondern auch in der schrittweisen Veränderung der Anschauungen und Vorstellungen vom ethischen Wert der Arbeit. Körperliche Arbeit gewinnt einen in der Antike noch unbekannten sittlichen Wert. Im Mittelhochdeutschen bedeutet „arebeit“ noch Mühsal, Anstrengung, Plage im Sinne eines hohen, kräftezehrenden, körperlichen Energieaufwandes. Erst im Sprachgebrauch der frühen Neuzeit gewinnt es positive Inhalte, wird mit dem Tagewerk des Menschen in Zusammenhang gebracht, das voller Mühe ist, aber eine sittliche Aufgabe darstellt. Arbeit wird zum wichtigsten Teil eines „Berufes“ – eines Zustandes, zu dem man quasi von oben her „berufen“ wird. Ein Arbeiter ist noch im Mittelalter der Handwerker schlechthin.

Die ethisch-moralische Bedeutung der Arbeit wurzelt auch in der vitalen Notwendigkeit derselben für den Broterwerb und der damit verbundenen Sorge und Sorgepflicht für andere. Die Verbindung mit dem und die Abhängigkeit vom täglichen Brot, um das man im christlichen Gebet bittet, wird daraus deutlich.

Vorgaben über den Wert der Arbeit in der Antike

In der klassischen Antike beschäftigten sich die griechischen Philosophen, vor allem schon die Sophisten des 5. Jahrhunderts v. Chr. mit der menschlichen Arbeit. Ein Wertsystem war gefragt. Sokrates (470–399 v. Chr.)[2830] meinte, dass es ehrenvoller sei, von seiner Hände Arbeit zu leben, als sich seinen Lebensunterhalt durch Müßiggang zu verschaffen. Sie stünde auch einem Freien an. Plato (428/27–348/347 v. Chr.)[2831] hat in seinen Vorstellungen von einer utopischen Republik die Arbeitenden, die Werkleute, als einen politisch angesehenen Stand vor Augen gestellt. Von Sklaven ist nicht mehr die Rede. Sie treten gleichberechtigt neben die Stände der Krieger und der gebildeten Regierenden.

Römische Ethiker stellen die praktische Lebensführung über die kontemplative, meinen dabei aber stets den Politiker, der ein officium hat, also ein Amt, eine Aufgabe im Staat, die eine öffentliche Ehrenpflicht darstellt und deshalb auch nicht besoldet wird. Der ehrenamtlich Tätige erhält keinen Lohn oder Sold, sondern nur eine Ehrengabe, ein honorarium.

Derjenige aber, der von seiner Hände Arbeit leben muss, genießt im antiken Rom keine Achtung. Seine Tätigkeit ist ein Makel und hindert ihn, frei und edel zu leben. Lohnarbeit schändet! Ein Hauptfaktor antiker Wirtschaft im Römerreich waren auch die Sklaven- und Zwangsarbeit, die zur Geringschätzung des werktätigen Lebens beitrugen.

Die christliche Antike beseitigt diese heidnischen Bewertungen keineswegs, nur wird die philosophische Weisheit in eine religiöse umgedeutet. Gott zu suchen und zu beten, wird im Sinne einer sich neu gestaltenden christlichen Ethik eine höher bewertete Tätigkeit. Dem Ewigen wird das Zeitliche, Irdische untergeordnet. Dadurch kommt es aber auch zu einer gewissen Aufhebung der Unterscheidung zwischen profanen Tätigkeiten der Oberschichten und der Lohnarbeit, auf die die niederen gesellschaftlichen Gruppierungen angewiesen sind. Sie werden beide als im religiösen Sinne entwertet angesehen. Frommes Leben ist aber trotzdem mit profaner Arbeit vereinbar. Die erste westliche Ordensregel, die des heiligen Mönchsvaters Benedikt von Nursia (Nursia 480 – Montecassino 547, Begründer des Benediktinerordens und seiner „Regula Benedictini“), gipfelt in der Devise „Ora et labora – Bete und arbeite“.

Das Christentum bringt ein neues Arbeitsethos: Klöster und Bruderschaften

Die aus benediktinischem Geist entsprießenden Orden prägen damit ein neues Arbeitsethos, das später eine wichtige Grundlage späterer Handwerksentfaltung wird, da die Klostergemeinschaft der Mönche bereits auf Arbeitsteilung und Spezialisierung hin ausgerichtet ist. Besonders der Reformorden der Zisterzienser[2832] pflegt dies konsequent, wo Bauleute, Schreiber und Klosterhandwerker aus dem Kreise der Konversen für Bau, Einrichtung und Erhaltung ganzer Klosterkomplexe verantwortlich sind, während die geweihten Mönche die religiöse Infrastruktur mit Gebet, Wissenschaft und Seelsorge garantieren. Die Pflicht zur niedrigen Arbeit wird also in ein hoch bewertetes ethisches System eingebunden. Damit werden die Zisterzienser zu bedeutenden Kolonisatoren des noch dünn besiedelten und auf weiten Strecken hin noch nicht unter den Pflug genommenen Europa. Sie vermitteln zwischen der feudalen Auffassung des Adels von Arbeit und den gewöhnlichen Werkleuten, Bauern und Handwerkern.

Im Hochmittelalter entstehen nach dem Vorbild der klostergebundenen Orden auch Laienvereinigungen, Bruderschaften, die später einen wichtigen Beitrag zum Entstehen der Handwerkerverbände, der Zünfte, bilden werden.

Diese Bruderschaften sind zwar religiös ausgerichtet, es fehlt ihnen aber eine übergeordnete zentrale Autorität. Ihre Statuten („Ordnungen“) richten sich nach individuellen und lokalen Gegebenheiten und ihre Mitglieder haben gewissen Kriterien der Ehrbarkeit zu gehorchen. Da sie sich aus Markt- oder Stadtbürgern zusammensetzen, haben sie bei dem Übergewicht der ein Handwerk oder Gewerbe Treibenden auch den vorderhand noch unausgesprochenen Zweck, wirtschaftliche Interessenskollisionen zu verhindern. Als sich die Bruderschaften immer mehr zu exklusiven Handwerkerbruderschaften entwickeln, beginnen sie auch, Produktionsrichtlinien zu geben und die gegenseitige Konkurrenz zu regulieren, indem sie etwa die Zahl der Lehrlinge und Gesellen festlegen.

Zuerst sind solche Vereinigungen religiöser und gleichzeitig ökonomischer Ausrichtung um etwa 1100 an Rhein und Main urkundlich feststellbar. Sie definieren sich dann in der Folge in ihren Ordnungen schon sehr genau. So verwehren sie denjenigen Handwerkern, die ihrer Vereinigung nicht angehören die Ausübung des nämlichen Gewerbes am selben Ort, regeln den Absatz der Erzeugnisse, beschaffen gemeinsam die Rohstoffe und kontrollieren – auch ein früher Konsumentenschutz! – die Qualität der Produkte, was sowohl gesellschaftliche Prämissen der Ehrbarkeit und Redlichkeit als auch religiös-ethische Grundsätze in sich fasst. Man sorgt auch für eine Differenzierung der Handwerke, um möglichst Vielen Brot ohne große Konkurrenzierung zu verschaffen. So werden etwa die Lederer von den Weißgerbern, die Fleischhauer von den Kalbfleischhauern oder Pferdefleischern unterschieden.

Das Mittelalter pflegt noch eine ganzheitliche Lebensweise und ein ebensolches Sozialgefüge, deshalb hat neben dem Religiösen und Ökonomischen auch das Gesellige, „Brauchtümliche“ und Rechtliche Platz. Die Bezeichnung Bruderschaft (lat.: confraternitas, fraternitas) zeigt die Gemeinschaft als vom Mitbruder, als vom Mitchristen her bestimmt.

Das Gemeinschaftliche wirkt auch noch in anderer Weise Namen bildend, denn der Begriff „Zeche“ für eine solche Vereinigung leitet sich vom gemeinsamen geselligen Trunk ab. Am geläufigsten ist heute der Name Zunft, der so etwas wie ein Geordnetes, auf einen festgelegten Zweck hin Ausgerichtetes, „Zünftiges“, somit Regelrechtes zum Inhalt hat.

Zünfte und Bruderschaften lassen sich dann durch das Überwiegen des jeweils berufsorientierten bzw. des religiösen Zweckes unterscheiden. Auch die Zünfte hatten in ihren Statuten zahlreiche religiöse Artikel, die gemeinsame Frömmigkeitsübungen wie Gebet, Messbesuch, Prozessionen und Wallfahrten festsetzen, Brauch und Sitte regulierten, jedoch auch handfeste materielle Grundsätze festlegten und ordneten, die für Bestand und Aufgabensetzung der Zunft von Belang und Wichtigkeit waren. Da gab es über die Beitragsleistung der Mitglieder finanzierte Altäre, besoldete Kapläne, Spitäler als Pflegeheime für alte und unversorgte Mitglieder in Analogie zu den Bürgerspitälern, ja sogar eigene Kirchen, unter denen die gotische St. Nikolauskirche der Flößer- und Schiffleutezunft im steirischen Bruck a. d. Mur ein beredtes Zeugnis aus dem Spätmittelalter ablegt.

Jedes Handwerk hat einen geistlichen Schutzpatron

Die religiöse Ausrichtung zeigt sich auch in der Zuordnung gewisser Heiliger oder biblischer Gestalten als Schutzpatrone einzelner Zünfte oder ganzer Handwerkszweige. So ist der Heilige Joseph als Zimmermann Schutzherr zahlreicher Zimmerleutezünfte und -bruderschaften. Ebenso kommt der Heilige Jakobus d. Ä. bei den Hutmachern zu solchen Ehren, weil er als Pilger dargestellt wird und deshalb als Einziger unter den Aposteln einen charakteristischen Hut trägt und auch Legenden ihn als dessen „Erfinder“ ausgeben. Der Heilige Florian hingegen ist wegen seiner Wasser-Feuer-Bindung häufig Patron von Gewerben und Handwerken, die mit dem Feuer zu tun haben, was von den Hammerschmieden bis hin zu den Bierbrauern reichen kann und noch heute bei den Feuerwehrleuten ungebrochene Aktualität besitzt. Die Wahl solcher geistlicher Beschützer ist sehr klar durchschaubar und charakteristisch für das handfeste Denken solcher mittelständischer Bevölkerungsschichten, wie sie die Handwerker darstellen. Es sind die Lebenssituationen der heiligen Personen, die sich bei Martertod mit ihren Attributen oder Wundern und deren Auswirkungen erkennen lassen. So sind die Heiligen Vier Gekrönten frühchristliche Steinmetzen, die sich weigerten, heidnische Götterbilder zu meißeln und deshalb mit glühenden Kronen zu Tode gemartert wurden. Sie werden von Italien aus bis in den Alpenraum zu Patronen der Steinmetzen, Bildhauer und Bauleute. Oder der Heilige Eligius: Er heilte einem Pferd einen abgeschlagenen Fuß wieder an und wurde so zum Schutzpatron der Hufschmiede, die als Kurschmiede auch frühe Tierheiler sind. Auch aus dem Kreis der vierzehn Nothelfer lassen sich etliche solcher „Spezialisten“ in verschiedenen Anliegen herauslösen, die für Handwerker und andere Stände bezeichnend sind.

Die Stadt als Nährboden der Handwerkszünfte

Christliche Ethik prägt also äußeres und inneres Leben der Zünfte, wenngleich diese Grundhaltung nicht nur religiöse, sondern auch politische Wurzeln erkennen lässt, da politische Ehrbarkeit für den Zusammenhalt einer Notgemeinschaft, wie sie die Bevölkerung einer Stadt darstellt, lebenswichtig ist. Städte entstehen aus Märkten, also Plätzen wirtschaftlicher Entfaltung, sind als Ganzes einem Stadtherrn unterworfen, dem gegenüber man Einheit zu beweisen hat, und haben im Bedrohungsfall für sich selbst zu sorgen und sich zu verteidigen. Das Ergebnis ist schließlich ein selbstbewusster Bürger, der im Idealfall als Oberschichtangehöriger das politische Geschick der Siedlung als Richter, Rat oder Bürgermeister weitgehend bestimmt. Er führt Waffen und damit ein zuerst allein dem Adel zustehendes Privileg und übertrifft diesen etwa in einigen großen Reichsstädten als Patriziat sogar materiell und kulturell. Letztendlich wird der Bürger von der Französischen Revolution an bis heute zur überhaupt bestimmenden politischen Kraft – zu einem neuen Stand, der alle anderen überflügelt(e).

Grundlage für diese Entwicklung ist ein Ethos, das aus der positiven Beurteilung gewerblicher manueller Arbeit als christliche Pflicht erwächst. Diese durch Fleiß, Ausdauer, Geschick und Begabung gekennzeichnete Tätigkeit eines Handwerkers oder Gewerbetreibenden ermöglicht, weil man den Segen Gottes darauf zu spüren scheint, eine Lebensführung über das rein Leiblich-Vitale hinaus. Nicht mehr das nackte Überleben bestimmt nun das Lebensgefühl. Der Mensch hat Zeit, über seine materielle Lebenssituation hinaus an sein Seelenheil zu denken, an das ihn die christliche Lehre stets gemahnt. Er kommt in die Lage, gute Werke zu tun, die nicht wie vielleicht heute rein sozialen Charakter tragen, sondern die individuell wie gemeinschaftsbezogen den Heilsschatz der Seele für ein paradiesisch verheißenes Jenseits mehren sollen. Das wird als Realität akzeptiert und erklärt auch die enormen religiösen und sozialen Aktivitäten der Zünfte und Bruderschaften.

Von der Ehrbarkeit des Handwerks

Die sittliche Beurteilung des Verhaltens des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit, in diesem Falle des Handwerkers gegenüber der Zunft oder der Bruderschaft, äußert sich also in einer „Ehrbarkeit“, einem Gefühl, das einem bestätigt, im christlich definierten Sinne richtig für die anderen und auch für sich zu handeln. Die solidarische Verbundenheit der Handwerker untereinander kommt in den Artikeln der Zunftordnungen zum Ausdruck, die berufliche wie religiöse Komponenten und Richtlinien für das Gemeinsame und Individuelle beinhalten.

Deshalb ist der Ruf des Handwerkers so wichtig. Schlechte Arbeit und verfälschte Produkte schädigen diesen. Deshalb sind schon frühe Qualitätskontrollen üblich. Wenn die Zinngießer ihre Erzeugnisse mit Meistermarken versehen, die die Herkunft bezeichnen und die Zunft oder die Stadtverwaltung Garantiebestätigungen in Form von Kontrollmarken aufschlägt, so soll dies dem Käufer und Konsumenten zeigen, dass das kostbare Zinn nicht mit dem billigen, aber gesundheitsschädlichen Blei gestreckt wurde. Gerechte Preise für Produzenten und Verbraucher sichern beiden das Auskommen. Brot- und Fleischsatzungen geben den preislichen Rahmen an und spielen bei der Gewichtskontrolle der Erzeugnisse von Bäcker und Fleischer eine große Rolle. Zuwiderhandelnde verfallen zum Teil entehrenden Strafen. Wer kennt nicht das oft bezeugte „Bäckerschupfen“? Das Wirtsgewerbe wird von besonderem Misstrauen begleitet. Zum einen lässt sich ein Qualitätsprodukt wie der Wein als Standardgetränk früherer Jahrhunderte am leichtesten verfälschen, indem man ihn wässert. Zum anderen haftet dem Gastgeb (Wirt) ein heute absurd wirkender Makel an, hatte doch ein solcher das heilige Paar Maria und Josef bei deren Herbergssuche – nach sehr großzügig ausgelegtem biblischen Bericht – abgewiesen. Ebenso werden dem Müller immer Manipulationen mit dem Mahlgut zugeschrieben.

Richtige Maße und Gewichte sind ein weiterer Punkt der Ehrbarkeit, was bei der kleinsträumigen Differenzierung eines noch nicht reichsweit vereinheitlichten Systems sicherlich große Probleme mit sich brachte. Deshalb ist häufig eine zentrale Waage, eine Stadtwaage, anzutreffen, deren Äußeres wie etwa in Nürnberg oder verschiedenen niederländischen Städten mit der Dominanz der Kaufleute eine stattliche und künstlerisch hochwertige Ausschmückung aufweisen kann. All das dient zum Besten der ganzen Stadt und deren Bürgerschaft.

Arbeit in ihrer Ehrbarkeit ist deshalb auch eine Art Dienst an Gott, ein Gottesdienst. Nicht von ungefähr tragen Werkstücke wie Glocken oder Bauwerke in Mittelalter und früher Neuzeit In- und Aufschriften wie „Omnis ad maoirem dei gloriam“ (O.A.M.D.G.) – „Alles zur höheren Ehre Gottes“ – als sittliches Bekenntnis eines schöpferisch tätigen und zugleich gläubigen Menschen.

„Soll das Werk den Meister loben, doch das Gute kommt von oben“, sagt Friedrich Schiller (1759–1805) im wohl berühmtesten Handwerkergedicht deutscher Zunge, in seinem „Lied von der Glocke“. Wie Gottes Schöpfung soll auch das Werk der Hände eines Einzelnen vollendet sein. Es kommt, wenn es perfekt ist, auch einem Gotteslob gleich. Deshalb wohl mögen die jedem menschlichen Blick entrückten Details der Zierrate von mittelalterlichen Dombauten in schwindelnder Höhe feinteilig und mit größter Sorgfalt gearbeitet sein. Denn Gottes Auge sieht alles und beurteilt den Menschen nicht nur nach seinen inneren Einstellungen und Taten, sondern auch nach seinen Werken. Vollkommenheit ist also auch ein handwerkliches Ideal. Naturabläufe und die Physik des Weltengetriebes werden erst langsam durch Beobachtung und Messung erkannt und dienen anfänglich wie die Astronomie ebenfalls dem Preise Gottes als der Macht, die das Weltall beherrscht und Myriaden von Sternen kreisen lässt. Der Handwerker arbeitet noch rein empirisch und kann sich noch nicht auf mathematische, chemische oder physikalische Einsichten und Erkenntnisse stützen. Er sieht in seinen Fähigkeiten bewusst oder unbewusst das Wirken Gottes in seiner eigenen Schaffenssphäre und erfüllt damit ein Ideal. Ein solches ideales Schaffen hat sich im handwerklichen Bereich trotz aller Entfremdung vereinzelt noch bis heute erhalten und erfüllt uns mit Respekt.

Handwerkervereinigungen als soziale Institutionen

Ein ethischer Aspekt, der seine Deckung auch durch das Ideal der christlichen Kardinaltugenden (Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit) findet, ist die Hilfeleistung auf Gegenseitigkeit, die in der Selbstverwaltung der Bürgerschaft die ehrenamtliche Bekleidung und Ausfüllung von öffentlichen Ämtern erbringt und den einzelnen Bürger etwa in die gemeinschaftliche Ortsverteidigung und Brandbekämpfung einreiht. Dass vieles davon auch in Formalismen erstarrte und gelinden Spott bei anderen hervorrufen konnte, zeigt der Begriff „Spießbürger“, der ursprünglich jemanden kennzeichnete, der zwar berechtigt ist, eine Waffe zu führen, diese aber nur unprofessionell beherrscht, weil er eben für andere Tätigkeiten ausgebildet und ausersehen ist.

Ebenso erwuchsen Sozialinstitute wie Bürgerspitäler, die in den Zünften ihre Parallelen finden, die oft wie die Bruderhäuser der Bergbau- und Siedregionen organisiert waren. Dieses konnte auch von Privatpersonen ausgehen, wie das prominente Beispiel der „Mendelschen Zwölfbrüderstiftung“ in Nürnberg zeigt, die 1380 von Konrad Mendel d. Ä. dortselbst für zwölf – man achte auf die Zahl der Apostel Christi! – verarmte und ohne Angehörige dastehende Meister ins Leben gerufen worden war. Das erhalten gebliebene Bruderbuch ist eine einzigartige Bildquelle zum spätmittelalterlichen Handwerk, wurde doch jeder verstorbene Bruder in seiner handwerklichen oder gewerblichen Tätigkeit im Bilde gezeigt und so dem Vergessen bis heute entrissen.

Ein wesentliches Element des Gemeinschaftsgefühls war wie schon zuvor in den religiös bestimmten Bruderschaften die Ausrichtung eines würdigen Begräbnisses für die Mitglieder. Man findet auch wie in Nürnberg auf den Friedhöfen seit dem Beginn der Neuzeit Gemeinschaftsgräber für unverheiratete Gesellen, denen keine eigene Familie fern der Heimat ein solches bieten konnte. Zumindest ein schönes Bahrtuch deckte den schlichten Sarg eines kleinen Handwerksmeisters oder -gesellen, ebenso waren Konduktbegleitung durch seine Mitmeister oder -gesellen und deren Familien und würdiges Begräbnisritual garantiert. Zudem hatte die Seele des toten Mitbruders Anteil am Heilsschatz der Zunft, den diese durch Mess- und Ewiglichtstiftungen für ihre Mitglieder aufgerichtet hatte.

Die Ausbildung beginnt beim Lehrjungen

Um sach- und fachgerechte handwerkliche Arbeit in einem überlieferten Schema zu gewährleisten, ist Ausbildung vonnöten. Dabei lässt sich am Werdegang eines Handwerkers eine schrittweise Einführung und Aufnahme in eine Gemeinschaft mit Pflichten und Rechten erkennen. Das Wechselspiel von Bindung und Freiheit wird daraus deutlich. In der Ordnung des Gemeinwesens einer Siedlung, sei diese nun ein kleiner Markt oder eine große Stadt, wird der standesgebundene Mensch auf eine Trägerrolle vorbereitet.

Beim Lehrling erfolgte eine rigorose Fixierung in der patriarchalischen Ordnung des Haushaltes eines Meisters. Der Lehrjunge musste, solange er lernte, auch ein Dienender sein und war damit ebenso der Hausmutter als auch seinen Nächstgereihten, den Handwerksgesellen, untergeordnet. Er musste ehrlich geboren sein und hatte dies auch mittels eines Geburtsbriefes – einer Art Taufschein – seiner Heimatpfarre oder Grundherrschaft zu beweisen. Das heißt, er musste einem ehrlichen Stand angehören. Dass er selbst nicht straffällig sein durfte, versteht sich von selbst. Unehrlich waren Henker, Abdecker, Gerichtsdiener, Zöllner, Prostituierte oder Fahrende.

Eine feierliche Aufnahmezeremonie führt dem Lehrling seine neue Stellung vor Augen. Vor den versammelten Zunftangehörigen wird er „vor offener Lad“ aufgedungen. Diese Aufdingung enthielt auch die Eintragung in das Aufdingbuch der Zunft, in dem Lehrlinge, Gesellen und Meister in gleichem Maße als Mitglieder einer Ordnung eingeschrieben sind. Der Lehrjunge musste dazu zwei Bürgen mitbringen, die dafür garantieren sollen, dass der Jüngling sich ehrbar verhalten und sich nicht wieder aus dem Staube machen würde. Diese schützen aber denselben auch, wenn er ungerecht behandelt werden sollte. Zum Aufnahmeritual gehörte auch ein abschließendes Essen, das Mahl oder, wie es im Ostalpenraum heißt, die „Jause“, die der aufdingende Meister gab. Daran können sich auch quasi inoffizielle, subkulturelle Scherzzeremonien anschließen, die als „rites de passage“, wie sie etwa beim Gautschen der Buchdrucker anlässlich deren Freisprechung noch heute lebendig sind, den Einstand auf einer anderen Ebene bekräftigen.

Das Aufdingalter lag einst je nach körperlicher und geistiger Reife zwischen 12 und 15 Jahren. Gesetzliche Altersgrenzen gab es keine. Pragmatisches Denken herrschte in einer recht differenzierten, kleinteiligen und meist nur durch Herkommen oder Privilegien gestützten Rechtssituation vor. Die Lehrzeit betrug ursprünglich zwei bis drei Jahre, wurde später aber auf bis zu sieben Jahren erhöht, um das Meisterwerden zu erschweren. Es gab weder Berufsschule noch Lehrbücher und die nötigen Kenntnisse und Kniffe vermittelten ausschließlich Meister und Gesellen. Der Meister verfügte auch über das Erziehungs- und Strafrecht. Im Haushalt unterstand der Lehrling der Meisterin, die ebenfalls an seiner Erziehung mitwirkte, gleichzeitig als Hausmutter aber auch Sorgepflicht über ihn hatte. Hatte der Lehrjunge das Pech, an eine harsche Person zu geraten, so gab es oft Klagen. Auch die Gesellen waren da nicht ausgenommen. Der deutsche Gerbergeselle Johann Eberhard Dewald klagte 1836 in seinen Aufzeichnungen:

„Die Gesellen ließen an dem Meister keinen guten Faden. Sie rissen das Maul gehörig auf, was ich durchaus nit leiden mag. Er sei ein Leutschinder, dazu ein Geizhals, der den Gesellen jeden Löffel in den Mund zähle und nit genug zu jammern wisse, wie teuer das Essen sei, sodaß es einem fast wiederkäme; wär nit zu befürchten, die Meisterin machte eine neue Mahlzeit daraus. Denn sie sei sein Widerspiel und um kein Haar nit besser. Dabei sei ihm der beste Altgesell nit mehr als ein Lehrbub.“

Vom Lehrling zum Gesellen

War die Lehrzeit vorüber, so fand die Freisprechung, ebenfalls in feierlicher Form „vor offener Lad“ statt. Prüfung hatte es vorher keine gegeben. Der Meister musste die Reife des Lehrlings verantworten und hatte dabei auch auf seine eigene Reputation zu achten. Mit der Zeremonie der Freisprechung trat der Jüngling als Jung-Geselle aus dem Familienverband des Meisters aus. Er hatte nun ein neues Verhältnis zur Werkstätte als seinem Arbeitsplatz, das in seinem wichtigsten Element ein lohnbezogenes war. Er erhielt für seine Arbeit klingende Münze, während er oder seine Eltern zuvor unter Umständen sogar noch „Lehrgeld“ zu zahlen verpflichtet waren. Er wurde nun in das Gesellenbuch eingetragen, in den mittelalterlichen Steinmetzzünften und Bauhütten wurde ihm ein eigenes Merkzeichen für seine Werkstücke, das Steinmetzzeichen, verliehen. Der Freisagespruch und der Geselleneid waren sehr formelhaft, die ganze feierliche Handlung stark zeremoniell angelegt. Bei den anschließenden recht bunten Bräuchen der schon erwähnten Gesellentaufe ging es oft sehr roh zu, wie uns immer wieder verkündete und meist erfolglos gebliebene obrigkeitliche Verbote berichten.

Der junge Mann erreichte damit – Frauen waren aus der Handwerkerkarriere ausgeschlossen – den neuen Stand eines Gesellen, der meistens bis an sein Lebensende währte, wenn er nicht durch Herkunft aus einer Meisterfamilie, durch Einheirat in eine solche oder durch besonders günstige Lebensumstände auch noch die höchste Stufe, nämlich die eines Handwerksmeisters, erklimmen konnte.

Auf Schusters Rappen durch Europa

Der Geselle löst sich aus der Unterordnung, der er als Lehrjunge unterworfen war, indem er die geforderten Wanderjahre antrat. Es war eine Freiheit ohne Sicherheit, die jedoch Welterfahrenheit, Vermehrung handwerklicher Kenntnisse, Techniken und Verhaltensweisen brachte. Die Mobilität des Menschen war bis zum Zeitalter der Massentransportmittel eher gering. Fernwallfahrten, die Kavalierstour des Adeligen und die Geschäftsreisen der Kaufleute brachten, gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung, nur relativ wenige Menschen an ferne Orte. Der Wanderbursche war, während dieser seiner Zeit der Erprobung der bisher erworbenen Fähigkeiten, einer der mobilsten.

Die verpflichtende Wanderzeit scheint sich bereits im 15. Jahrhundert durchgesetzt zu haben, also in einem Zeitalter allgemeinen Aufbruchs der Menschheit in eine vertikale Mobilität, die global im Abenteuer der Entdeckungsreisen und der Eroberung der Neuen Welt gipfelte. Wandern auf Schusters Rappen wurde zum Medium für Lernen und Er-Fahren von Weltläufigkeit, Lebens- und Arbeitserfahrung, wie uns später noch Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) „Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre“ literarisch vor Augen führen. Nahezu jede Epoche bis herauf zu uns entdeckt „das Wandern“ unter geänderten Prämissen wieder neu.

Wollte jemand Meister werden oder besser gesagt: hatte er die Chance, dieses Ziel zu erreichen, so hatte er wenigstens drei Wanderjahre als Handwerksgeselle nachzuweisen. Hier war etwa auch die Herkunft öfters hilfreich und man weiß von der missbräuchlichen Nachsicht des Wanderns bei Meistersöhnen oder auch der Möglichkeit, sich davon mit Geld freizukaufen. Dies beweist, dass die Gesellenwanderung auch als lästig empfunden worden war. Die Masse stürzte sich aber in dieses Abenteuer und ging auf die „Walz“, gewiss nicht zum Nachteil für das zukünftige Berufsleben.

Kennzeichnend für diese Phase im Handwerkerdasein war der rasche Wechsel der Arbeitsstätten. Wenn es hoch ankommt, betrug die Verweildauer an einem Ort, bei einem Meister, in einer Werkstätte nur ein viertel bis ein halbes Jahr. Durchwandert wurde das ganze Heilige Römische Reich Deutscher Nation[2833] das ja auch eine vertraute Sprach- und Kultureinheit bildete. In sprachlich fremdartige Länder zog man anfänglich nicht, jedoch wurde im 17. Jahrhundert die Wanderschaft bei einzelnen Handwerkszweigen auf England, Italien, Spanien und Frankreich ausgedehnt. Tuchmacher konnten überall hin. Lederer und Rotgerber gingen bis nach Schweden, Dänemark und Holland.

Zunftprotokolle und kommunale Akten erlauben noch heute, diese Mobilität der Wanderburschen seit der frühen Neuzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Das Ende der Gesellenwanderung war abzusehen als die Industrialisierung des Handwerks eine neue Form der Ortsgebundenheit gebracht hatte. Heute ist mit der noch gepflogenen Sitte der Wanderung der Hamburger Zimmermannsgesellen in genau definierten Abläufen und brauchgebundenen Äußerungen nur mehr ein Rudiment einstiger Wanderbewegungen spür- und sichtbar.

Der wohl berühmteste Wanderbursch war der Nürnberger Poet und Schuhmacher Hans Sachs (1494–1576, Lyriker und Dramatiker, Meister der Fastnachtsspiele), der 1511 als Siebzehnjähriger nach seiner Lehrzeit loszieht. Weil er es selbst berichtet, können wir seine Route noch heute nachvollziehen. 1513 war er jeweils kürzer oder länger in Regensburg, Passau, Braunau am Inn, Burghausen, Ried im Innkreis, Wels, Salzburg, Reichenhall, 1514 in München und Landshut, 1516 in Würzburg und Frankfurt am Main, Koblenz, Köln und Aachen.

Seine Befindlichkeiten fasste er in kraftvollen Reimen und Versen zusammen:


      
„Fünf ganze Jahr ich wandern tät
In diese und viel andre Städt.
Spiel, Trunkenheit und Buhlerei
Und ander Torheit mancherlei
Ich mich in meiner Wanderschaft
Entschlug und war allein behaft
Mit herzenlicher Lieb und Gunst
Zum Meistersang, der löblichen Kunst.“
      

    

Die Leiden der Gesellenwanderung schilderte er 1516 in dem Schwank „Der Rock“, der vielleicht sogar ein Eigenerlebnis in Worte fasste. Ohne Geld in der Tasche wanderte er und musste in München auf der Herberge seinen Rock als Pfand geben, um Wein trinken zu können. Er bekam von der Herbergsmutter aber Gelegenheit, sein Kleidungsstück wieder auszulösen. Sie wolle ihm seinen Rock wiedergeben, wenn es ihm gelänge, ein Gedicht zu verfassen, in dem er das Werkzeug und die Arbeit des ihm eigenen Schusterhandwerks besinge. Mit Geschick entledigte er sich seiner Aufgabe und bekam seinen Rock zurück.

Das Unterwegssein zu jeder Jahreszeit unter oft ungünstigsten physischen und psychischen Bedingungen ließ ein starkes Gemeinschaftsgefühl der Gesellen untereinander entstehen. Hilfreich war dabei eine halbwegs homogene Handwerkerkultur der Städte und Märkte im alten Reichsgebiet. Auf den Straßen und in den Herbergen äußerte sich dieses Gefühl in einer eigenen Subkultur der Mobilität, wie sie vielleicht heute unter verwandten Prämissen unter den Fernfahrern zu beobachten ist. Der rasche Wechsel der Arbeitsstätten erlaubte kaum eine Integration in Werkstatt und Familie des Betriebes, bei dem man zugesprochen und Arbeit bekommen hatte und führte dazu, dass die Gesellen dort in ein sehr versachlichtes und unpersönliches Dienstverhältnis gerieten.

Der wandernde Handwerksbursch sank wegen dieses unsteten Lebens, das ihn strukturell den Fahrenden annäherte, im Ansehen. Am Beginn der Neuzeit sah er sich auf den Straßen in Gesellschaft von Gauklern, gartierenden Landsknechten, Bettlern und aus dem Geleise geratenen Pilgern. Gleichwohl nahm sich seit der Romantik die Literatur seiner an und zeichnete einsichtige bzw. verkehrte Bilder von ihm, die – wählte man zwei prominente Beispiele – von Johann Ludwig Müllers[2834] „Winterreise“ bis zu Rudolf Baumbachs[2835] „Liedern eines fahrenden Gesellen“ reichen. Im Milieu der Wirtshäuser mit einem Halbweltpublikum, im Sprachmilieu des Rotwelschen und Jenischen bewegt er sich auch unter Gaunern und Spitzbuben, was auch nicht gerade zu seiner Reputation beitrug.

Der Wanderbursch musste sich ausweisen können

Ihre in Meisterfamilien ansässigen Gesellen wusste eine ortsgebundene Zunft zu disziplinieren und zu überwachen. Dadurch blieb der Standard der Ehrbarkeit gewahrt. Viel problematischer war dies beim Wanderburschen. Hier half ein kompliziertes Ritual von Begrüßungssitten, um sich von handwerks- und zunftfremden Elementen zu schützen, die die Vorteile der Gemeinschaft für sich nutzen wollten. Bestimmte Passwörter und Handgriffe, wie sie auch bei Geheimgesellschaften Verwendung finden, dienten dazu. Schließlich kamen mit der wachsenden Schriftlichkeit auch Wanderdokumente auf, die als Kundschaft, Handwerkerbrief oder Wanderbuch durch Jahrhunderte hindurch eine erhöhte Beweiskraft besaßen und die Missbräuche der Wanderfreiheit in gewissem Maße einzuschränken in der Lage waren. Anfänglich waren es die Zünfte selbst, die solche Papiere als Wanderbriefe ausstellten, dann nahmen sich auch Kommunen und die Regierung dieses Instrumentes zur Verbesserung der Sicherheit an.

Schon vor der allgemeinen Schriftlichkeit musste es im Mittelalter Formen des Sich-Ausweisens gegeben haben, die aber urkundlich nur im militärischen Bereich als „Losung“ oder „Parole“ fassbar sind. Bei den Handwerkern in ihrem Drang nach Exklusivität musste daraus ein kulturelles Element entstanden sein, das sich in Gruß, Spruch und Zeichen geäußert haben muss. Diese zum Teil kryptischen Rituale blieben aber auch weiter bestehen, nachdem schon Lehrbrief und „Kundschaft“ zum wichtigsten Beweismittel geworden waren und zeigen neben den innovativen Kräften auch beharrende Elemente der Tradition. Das von der Obrigkeit angestrebte allgemeine Melde- und Erkennungswesen erfuhr in den katholischen Landen zur Zeit der Gegenreformation eine besondere Erweiterung, wollte man doch einerseits katholische Lebensformen im Volke wieder beleben und erneuern, andererseits war man aber bestrebt, „ketzerische“ Ideen durch Kontrollmaßnahmen im Bereich der mobilen Menschen möglichst hintanzuhalten. Auch wurde das öffentliche Bekenntnis zum Katholizismus zur Voraussetzung für das Bürger- und damit auch Meisterrecht in katholischen Ländern. Der Beichtzettel war eines dieser Instrumente zur konfessionellen Disziplinierung der Untertanen. Die als Beweismittel der Herkunft und handwerklichen Kompetenz eines wandernden und zusprechenden Handwerksburschen geltenden schriftlichen Urkunden des Geburts- und Lehrbriefes sowie des „Abschieds“ boten den Kontrollinstanzen gute Möglichkeiten, herauszubekommen, unter welchen Voraussetzungen ein Bewerber um eine Arbeitsstelle aufgewachsen bzw. unter welchen Einflüssen er gestanden war.

Parallel dazu wurden in den österreichischen habsburgischen Erblanden[2836] beim Einsetzen der Gegenreformation um 1600 die Zunftordnungen eingezogen und auf ihre konfessionelle Loyalität überprüft. Meist wurden neue ausgestellt, die die katholischen Elemente wieder stärker betonten. Da die Handwerker als Bürger und Städter zumeist der Reformation angehangen hatten, versuchte die Obrigkeit auch, das gesamte Zunftwesen seiner starken autonomen Grundhaltung zu berauben. So entstand ein neues Zunftsystem, das die bunte Vielfalt der Kleinverbände ablöste. So wurde für jedes Zunfthandwerk meist in der Hauptstadt des jeweiligen Kronlandes eine Hauptlade geschaffen, von der die Viertelladen abhingen, wobei der Begriff Viertel die Verwaltungseinheiten eines Landes (und nicht einen vierten Teil) meint. Diese hatten z. B. in der Steiermark ihren Sitz in Landgerichts- und Pfarrorten. Die Hauptladen hatten normative Gewalt über Arbeitsweisen und ihre Ordnungen waren Vorbilder für die Laden der Ortszünfte. Das Erscheinen der Mitglieder zur Jahresversammlung am Fronleichnamsfest wurde als Äußerung katholischer Glaubensfestigkeit verpflichtend. Die Aufdingungen der Lehrjungen und die Freisprechungen der Gesellen erfolgten dabei hochoffiziell „bei offener Lad“.

Mit der teils gewaltsam erzwungenen Durchsetzung der katholischen Restauration und der Beruhigung der Gemüter im 17. Jahrhundert wurde die Gesinnung gegenüber den Wandergesellen liberaler, jedoch blieben Geburts- und Lehrbrief noch bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts als Wanderdokumente von großer Bedeutung. Sie enthielten – als von der Obrigkeit ausgestellte amtliche Dokumente – Angaben über eheliche Geburt, Taufe, stellten dazu ein Sittenzeugnis dar und gaben Empfehlungen zur Förderung durch Gewährung von Arbeit. Sie waren deshalb nicht nur Abschlusszeugnisse einer genau definierten Handwerkslehre, sondern auch Schicklichkeits- und Leumundszeugnisse. Wenn ein Geselle während seiner Wanderzeit wieder aus der Arbeit trat, um weiterzuziehen, so erhielt er, wie 1711 in Wien für die Schuhmacher bezeugt, eine schriftliche Bestätigung über Wohlverhalten und Arbeitsdauer.

Nach der Rekatholisierung hatte sich das Zunftwesen langsam wieder konsolidiert und in Richtung Autonomie hinbewegt. Man bemühte sich deshalb 1731 durch eine Reichszunftreform, diesen Tendenzen der Selbstherrlichkeit, formalistischen Erstarrung und auch der Fortschrittsgegnerschaft entgegenzuwirken. Die Gesellenwanderung wurde wieder stärker unter Kontrolle gestellt. Der Lehrling musste nunmehr am Ort seiner Lehre den Lehrbrief in der Zunftlade hinterlegen und bekam bei Beginn seiner Wanderjahre nur eine Abschrift davon mit auf den Weg. Auch führte man ein neues, für damalige Verhältnisse modernes Dokument ein, das erstmals eine Möglichkeit der Identifizierung eines Menschen gibt. Dieses enthält auch den Ansatz einer Beschreibung des Äußeren und ist damit dem damals schon üblichen Steckbrief ähnlich. Der vorgeschriebene Text hat Formularcharakter und lautet etwa:

„Wir Zechmeister und ander Meister des Handwercks derer N. in der Stadt N. bescheinigen hiemit, daß gegenwärtiger Gesell Nahmens N. von N. gebürtig, so ... Jahr alt, und von Statur ..., auch Haaren ist, bey uns allhier ... Jahr ... Wochen in Arbeit gestanden und sich solcher Zeit über treu, fleißig, still, friedsam und ehrlich, wie einem jeglichen Handwercks-Purschen gebühret, verhalten hat, welches wir also attestieren und deshalben unsere sammentliche Mit-Meister diesen Gesellen nach Handwercks-Gebrauch überall zu fördern geziemend ersuchen wollen.“

Ebenso wurde ein Herbergszwang eingeführt, das heißt, dass der Wanderbursch zwecks besserer Überwachung nur mehr in eigens dafür geschaffenen Zunft- bzw. obrigkeitlichen Handwerkerherbergen einkehren durfte, wenn er in einen Ort kam, wo er um Arbeit vorsprechen wollte. Dabei hatte er das erwähnte Dokument vorzuweisen. Diesen Herbergen stand der Herbergsvater vor, ein Begriff, der sich übrigens bis heute in den Jugendherbergen gehalten hat. Dieser wies den Gesellen einem einschlägigen Meister zu, wenn ein solcher Bedarf für eine Arbeitskraft angemeldet hatte. War kein Bedarf gegeben, so durfte der Wanderbursch noch drei Tage bleiben und selbst nachfragen. Falls er Arbeit bekam, musste er seine Dokumente hinterlegen.

Im Laufe der Zeit wurde es üblich, diese Reisedokumente und Arbeitsbestätigungen künstlerisch auszugestalten. Daraus wurden großformatige, auf Papier gedruckte und faltbare Formulare, die als Kopf eine meist in Holzschnitt oder Kupferstich gehaltene Ortsansicht des Sitzes der ausstellenden Zunft zeigen. Diese Handwerkskundschaften sind oft künstlerische Meisterwerke und dazu noch wertvolle Quellen zur historischen Topografie von Städten und Märkten seit dem 18. Jahrhundert. Ganz zu beseitigen war das Misstrauen gegenüber Fahrenden nie, zu denen temporär in diesem Falle auch die Handwerksburschen zählten. Missbräuchliche Verwendung und Verkauf der Kundschaftsbriefe an Unberechtigte führten dazu, dass das Scheltwort „Kunde“ oder „Kundinger“ bis heute in der Umgangssprache erhalten blieb. Es hat nichts mit dem seriösen Kunden eines Geschäftes oder einer Firma zu tun.

Mit diesen Regulierungen wollte man im 18. Jahrhundert, das ja ein Jahrhundert der mitteleuropäischen Kriege im Reich war, auch dagegen ankämpfen, dass sich Handwerksburschen der Rekrutierung für die Armeen der kriegsführenden Mächte, besonders Österreichs und Preußens, durch verstärkte Unstetigkeit entzogen. Der absolutistische Zentralstaat gab dabei auch noch andere Erlässe heraus, die oft durchaus im Interesse der Zünfte waren. Die Regelung von Kündigungsfristen, das Verbot der Arbeitsniederlegung oder korporativen Abwanderung zur Durchsetzung sozialer und wirtschaftlicher Forderungen durch verschworene Gesellen, die oft erneuerte und eingeschärfte Ermahnung zu gesitteter Lebensführung wurden immer wieder in Form von Patenten und Kurrenden eingemahnt.

Der letzte administrative Eingriff für die Wanderburschen war schließlich das Arbeitsbuch, das ein Attestat über Geburt und Lehre, Reisepass und Zeugnisse in einem zusammenfasste. In Deutschland tauchen Arbeitsbücher um 1810 zum ersten Mal auf. In Österreich sind sie seit 1827 einheitlich für den Bereich der gesamten Monarchie ausgegeben worden, nachdem es davor Sonderbücher für einzelne Handwerke wie die Rauchfangkehrer, Bäcker und Schuster gegeben hatte. Mit der neuen Gewerbeordnung von 1860 bekamen auch die Fabrikarbeiter das Arbeitsbuch.

Wenn anfänglich die Gesellenwanderungen verpflichtend waren, ergab sich seit Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) als erbländischer Herrscherin[2837] eine gewisse Liberalisierung. 1776 hob sie den Zwang zum Wandern auf. Die einstige Pflicht hielt sich aber als Handwerkersitte noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und war lebendige Gewohnheit. Es gab aber auch früh so genannte „gesperrte Gewerbe“, denen das Wandern sogar untersagt war, weil man fürchtete, dass dadurch Werkstätten- und Produktionsgeheimnisse verraten werden könnten. Das traf z. B. die Feinmechaniker. Tatsächlich sind ja auch schon frühe Formen der Werkspionage bezeugt.

Geselle ein Leben lang

Die Gesellen nahmen im Rahmen der früheren Gesellschaftsordnung eine relativ unabhängige Stellung ein. Aber: Freiheit bedeutete auch immer eine gewisse wirtschaftliche Unsicherheit. Es entstand aber ein starkes Gemeinschaftsgefühl, etwas, das man heute Solidarität nennen würde. Auch die Herbergen, wo man der Herkunft nach bunt durcheinander gewürfelt aufeinander traf, stärkten dieses Gefühl der Verbundenheit durch die Arbeit im Kampf um die Lebenssubsidien.

Es gab Handwerke und Gewerbe, die wie etwa die Schuster, Schneider, Bäcker wichtige Grundlagen des Lebens und Überlebens schafften oder arbeitsintensive Produkte herstellten und deshalb mehr Werkstätten und Betriebe umfassten als Randproduzenten wie die Lebzelter, Nadler oder Zinngießer, die deshalb auch insgesamt über weniger Gesellen verfügten. Die werkstättenreicheren Gewerbe hatten in ihren Gesellen deshalb Personen, die sich kraft ihrer Zahl besser durchsetzen konnten als die anderen. Sie konnten Missständen besser gegenübertreten und ihre Verbesserung fordern. Hin und wieder wurde sogar schon zum Mittel des Streiks („Ausstand“) gegriffen, so 1713 in Graz, wo die Schuhmachergesellen damit gegen die Einführung neuer Wanderpapiere protestierten. Auch Lohnkämpfe gab es bereits.

Andererseits bildeten die Gesellen auch für die lokale oder regionale Einwohnerschaft ein wichtiges Potenzial bei drohenden Gefahren. Hammer- und Hufschmiede traten als starke Burschen 1529 bei Waidhofen a. d. Ybbs den anbrandenden Türken entgegen und besiegten diese in einem Gefecht vor den Toren der Stadt. 1683 erwarteten die Schmiedegesellen der Eisenwurzen todesmutig den Erbfeind. Ebenso bildeten sie wichtige Wehrkontingente unter den Verteidigern Wiens im selben Jahr oder unter den Freiwilligenverbänden der Napoleonischen Zeit. Die Revolution von 1848 wurde in Österreich besonders von Studenten, Arbeitern und Handwerkern getragen.

Auch unter den Gesellen gab es Ränge, die nach dem Alter gestaffelt waren. Vierteljährlich wählten die Mitglieder von Gesellenzünften unter den ihren den Altgesellen, der als ihr Sprecher gegenüber Meistern und Obrigkeiten fungierte. Er trat in Streitfällen als Vermittler auf und sprach für die ankommenden Wanderburschen bei den Meistern um Arbeit vor. Oft war er sogar Gegensperrer der mehrfach verschlossenen Zunftlade und damit Kontrollorgan innerhalb der Führungsspitze der Zunft.

Wie es in einer Zunftherberge zuging

Das interne Gemeinschaftsleben spielte sich in der Herberge ab, die also nicht nur ein Absteigquartier für durchkommende Wandergesellen war. Hier fanden die meist am Sonntag nach der Messe abgehaltenen Zusammenkünfte statt, die stets mit einem Umtrunk verbunden waren. Man besprach Handwerksangelegenheiten, dem Tratsch wurde sicher breiter Raum gegeben und sicherlich gab es stets auch Gründe zum Feiern. Es kam aber auch zur Vermittlung von Arbeitsplätzen und zu Absprachen zwischen Meistern und Gesellen.

Die Herberge war deshalb auch gleichsam ein Arbeitsamt zur Stellenvermittlung. In Nürnberg, dieser Hochburg des Handwerks, ist für 1619 bezeugt, dass in jeder Herberge eine Tafel mit den Namen der einschlägigen Handwerksmeister aufgehängt war, auf der der Name des obersten Meisters besonders markiert war. Wenn ein Geselle Arbeit suchte, so besuchten die so genannten Zuschickgesellen zuerst diesen und gingen von ihm aus von Werkstatt zu Werkstatt und fragten solange um Arbeit für den Neuangekommenen, bis eine solche ausfindig gemacht worden war. Nürnberg stellte im Übrigen einen Sonderfall dar, weil es hier wegen eines im Mittelalter von den Patriziern niedergeschlagenen Handwerkeraufstandes keine Zünfte, sondern nur „geschworene Handwerke“ geben durfte.

Ein Trunk zum Willkomm ist ein sehr alter Brauch des Gastrechtes. Er wurde als erster Labetrunk auch einem Neuankömmling gereicht. Ebenso bekam der wieder Abreisende ein kleines Geldgeschenk, auf das später sogar Anspruch bestand. Man sieht also, dass soziale Hilfe für den gezwungenermaßen unstet wandernden Handwerker sittlichen Grundlagen entsprang und nicht nur der Willkür unterworfen war. Das Geldgeschenk wird aus der „Büchse“, also der Herbergskasse gereicht und war in Zeiten des Wanderzwanges eine Unterstützung, die einem als Wanderburschen zustand und kein Almosen war. Noch im 19. Jahrhundert wurde im Wanderbuch das „Ortsgeschenk“ eingetragen, das man in den „Naturalverpflegsstationen“ gereicht bekam, wie man die Herbergen damals nannte. Diese wurden als „Einrichtungen mit dem Zweck, mittellosen, aber arbeitsfähigen und Arbeit suchenden, auf der Wanderschaft befindlichen Personen Kost und Nachtlager zu gewähren“ definiert. In Deutschland und Österreich gab es sie seit etwa 1880 auch als kommunale Einrichtungen.

Symbolik und Realien der Zünfte

In reichen Städten gab es auch entsprechend wohlhabende Handwerkszünfte, die wie in Zürich über stattliche Zunfthäuser verfügten. Der Wohlstand einer Zunft lässt sich auch an den erhalten gebliebenen Zunftrealien ablesen, also den Gegenständen, die im Fest- und Repräsentationsleben des Handwerks eine große Rolle spielten und meist exzellente Hervorbringungen des Kunsthandwerks der Tischler, Zinngießer, Maler und Bildhauer darstellen. Das wichtigste Symbol war jeweils die Zunftlade, eine Truhe kostbarer Tischlerarbeit, die mit mehreren Schlössern versehen ist, sodass kein einzelner und nicht dazu Berechtigter sich Zugriff zu ihrem Inhalt verschaffen konnte, enthielt sie doch die wichtigsten Rechtsinstrumente der Zunft. Diese bestanden aus der zumeist in Libellform (kleines Buch aus einer Lage Papier in keinem bestimmten Papierformat) gebundenen, auf Pergament geschriebenen und mit Herrscherfertigung und -siegel versehenen Zunftordnung, den nachfolgenden ebenfalls „allerhöchst“ (vom Landesherren) gefertigten und gesiegelten Bestätigungen, die jeweils bei Antritt der Herrschaft eines neuen Landesfürsten ausgestellt wurden und nebenbei dem Fiskus gute Einnahmen brachten, weiters die Aufdingbücher, das Typar für das Zunftsiegel (Siegelabdruck, Negativform für das Zunftsiegel) und Gelder. Außerdem wurden in der Zunftlade persönliche Dokumente der Handwerker wie deren Lehr- und Geburtsbriefe hinterlegt. Die Zunftlade hatte zwei Tragegriffe, war also mobil und man weiß, dass sie als kostbarer Gemeinschaftsbesitz auch beim kirchlichen Höhepunkt des religiösen Handwerkerjahrlaufes, in der Fronleichnamsprozession, mitgetragen wurde. Zunfttruhen sind oft außen und innen mit Malereien und Einlegearbeiten verziert, die mit Jahreszahl und Handwerkssymbolen, auch mit Darstellungen der Zunftheiligen versehen. Sie geben daher auch tieferen Einblick in das ästhetische Empfinden einfacher Handwerksleute. Auch auf Kuriosa trifft man, so etwa bei den Grazer Glaserern, deren Lade aus Glas gefertigt wurde, das nach Art der Kirchenfenster in Bleirauten gefasst ist.

Zum Feiern gehörte unabdingbar das teilweise auch als Zeremoniell aufgefasste Trinken. Dazu verwendete man eigene Zunftpokale und große so genannte Schleifkannen, in denen der Nachschub an Wein herbeigeschafft und aus denen eingeschenkt wurde. Sie sind oft Meisterwerke des Zinngießerhandwerks und tragen Gravuren und Reliefs mit Symbolen und Inschriften, die Auskunft über Stifter, Ort und Handwerk geben. Prunkstücke waren auch die Zunftfahnen, die mit beziehungsvollen Malereien auf das Handwerk und seine Schutzpatrone hinweisen und bei den Prozessionen, bei denen die Handwerkerverbände eine dominierende Rolle spielten, mitgetragen wurden.

Verschiedentlich gab es auch Privilegienumzüge, so der Grazer Bäckergesellen, weil diese angeblich bei der – nie stattgehabten! – Türkenbelagerung von Graz 1532 so tapfer bei der Verteidigung mitgewirkt hatten. Mit fliegender Fahne und Musik durften sie deshalb einmal jährlich Geld sammelnd durch die Straßen der Stadt ziehen.

Eine kulturelle Sonderentwicklung der Handwerker deutscher Zunge stellte der Meistergesang dar, der seit dem Mittelalter in den Städten besonders des süddeutschen Raumes blühte. Er hatte anfänglich mit der Emanzipation des Bürgerstandes gegenüber dem Adel zu tun, der mit dem Minnesang und dem Heldenepos sich eigene exklusive Literatursparten geschaffen hatte. Seine komplizierten Vorschriften, wie zu dichten sei, welcher „Töne“ man sich zu befleißigen habe und welche Inhalte man zu wählen habe, hat Richard Wagner (1813–1883)[2838] in seinen famosen „Meistersingern von Nürnberg“ romantisierend wieder auferstehen lassen und ihre Erstarrung bei den konservativen Meistern der freien Kunst eines Walter Stolzing gegenübergestellt. Dass auch Österreich dieser bürgerlichen Kunstform anhing, beweist Hans Sachs, der uns wissen lässt, dass er die Gesetze des Meistergesanges auf seiner Gesellenwanderung im oberösterreichischen Wels gelernt habe.

Wie stand es um Arbeit und Freizeit?

Die frühen Zunftordnungen geben über Arbeitszeitregelungen kaum Auskunft. Man arbeitete unter Berücksichtigung der Heiligung der Sonn- und Feiertage sicherlich jeweils nach Bedarf. In den Alpenländern gab es den Brauch des so genannten „Lichtbratls“. Der Michaelitag, also der 16. Oktober, wurde wegen der kürzer werdenden Tage als derjenige Termin angesehen, an dem man zum ersten Mal wieder bei künstlichem Licht arbeiten musste. Der Meister gab den Seinen also ein besonderes Mahl, bei dem auch ein Braten serviert wurde. Aus solchen Regelungen sind Rückschlüsse auf die Arbeitszeit möglich.

Die Arbeitszeit stieg im 16. und 17. Jahrhundert ziemlich an, weil sich die Basis der materiellen Kultur verbreitete, Luxusgüter ihren Absatz fanden, neue Technologien und Werkstoffe auftraten. Damals waren schon einschließlich der Esspausen 14 bis 16 Stunden Arbeitszeit üblich. Am Samstag war der Arbeitsschluss mit 15 bis 16 Uhr etwas früher als unter der Woche. Das war auch beim alle zwei Wochen angesetzten Badetag der Fall, bei dem man als arbeitender Mensch die Badstube als Stätte des Körperkultes, aber auch Geselligkeit und Unterhaltung aufsuchen konnte. Gewöhnlich war schon um 9 Uhr abends Nachtruhe angesagt. Der Sonntag war selbstverständlich Ruhetag, brachte aber auch die Pflicht zum Besuch der heiligen Messe und diverser Zunftveranstaltungen. Etwas Besonderes war dann allerdings der noch heute nicht ganz aus dem Sprachschatz verschwundene „Blaue Montag“, dessen sprachliche Erklärung noch immer einige Probleme aufgibt. Kommt die Bezeichnung davon, weil am Faschingsmontag, dem „Rosenmontag“, die Arbeit ruhte und man sich daran machte, die ab dem Aschermittwoch geltende Verhüllung der Kircheneinrichtungen mit Textilien in der alten kirchlichen Trauerfarbe Blau (heute Violett und Schwarz) vorzubereiten? Oder hängt es mit der Tätigkeit der Blaufärber zusammen, die das Garn am Sonntagabend in das Farbbad legten und dann 12 Stunden warten mussten, bis der chemische Färbeprozess abgeschlossen war? Vielleicht meinte man damit, dass so mancher vom Sonntag her noch „blau“, also angesäuselt oder betrunken war. Der „Blaue Montag“ war deshalb wahrscheinlich der Tag, wo man den Meister mit nur vorgetäuschter Arbeit hinters Licht führte, also „blau machte“.

War der „Blaue Montag“ ein Gewohnheitsrecht, so gab es doch eine ganze Reihe von Erleichterungen für den manuell schaffenden Menschen, die erst in der Zeit der Aufklärung schrittweise beseitigt wurden. Erstens existierten sehr viel mehr kirchliche Feiertage, die arbeitsfrei waren. So boten etwa die Ehrentage der zwölf Apostel solche Gelegenheit, Kraft zu schöpfen und das waren nicht die einzigen Feiertage, die heute längst abgeschafft sind – in den habsburgischen Erblanden schon zur Zeit Maria Theresiens (1754, erweitert 1771), in Salzburg seit Erzbischof Hieronymus Colloredo (1772/73). Dann gab es Arbeitszeitverkürzungen an den Vigilien, also den Tagen, die bestimmten Feiertagen als Rüstzeit vorangingen. Benefizien der Körperkultur der Handwerker waren der alle vierzehn Tage gewährte Badetag und der ebenfalls in zweiwöchigem Abstand stattfindende Wechsel der Bettwäsche. Bargeld verdiente der Geselle nicht viel. Er hatte aber freies Quartier und aß am Tische des Meisters. Prämien bei besonderer Güte der Arbeit und andere unregelmäßige Zuwendungen muss es aber zuweilen auch gegeben haben, denn man kann aus den Quellen ablesen, dass sich die Kleiderordnungen, die im starren Gesellschaftsgefüge die Stände des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit voneinander abgrenzten, auch gegen Bekleidungsluxus bei Handwerksgesellen wenden. Es gab Wochen-, aber auch Taglohn, in verschiedenen Sparten aber auch Stück- oder Akkordlohn. Auch Trinkgelder wird man nicht außer Acht lassen dürfen.

Vom Gesellen zum Meister

Der Meister hatte die höchste Stufe seiner Möglichkeiten als Handwerker erreicht. Höher konnte er im Ansehen nur mehr steigen, wenn er auch eine Stellung im Gemeinwesen einnahm, die mit Verwaltung und Rechtsprechung einherging und sich auf seine wirtschaftliche Stellung innerhalb von Markt oder Stadt gründete. Er war dann nicht nur ein Mitgestalter in der Zunft, sondern auch ein Mitverantwortlicher im Stadtregiment.

Wenn ein Geselle Meister werden wollte, hatte er Voraussetzungen zu erfüllen, die nicht allein in seinem Ermessen lagen. Die Zunft prüfte nochmals seine ehrliche Abkunft und die ordnungsgemäß abgelegten Wanderjahre. Und dann hatte er das Meisterstück zu liefern, das noch heute – zumindest in unserem Wortschatz – eine große Bedeutung im Sinne von Höchstleistungen jeder Art hat. Unter Aufsicht musste dieses untadelig verfertigt werden und Beweis dafür ablegen, dass der Prüfling die technisch-manipulativen Seiten seines Metiers beherrschte und zwar „meisterlich“. Oft war es ein kunstvolles Stück, das auch in seiner ästhetischen Auslegung etwa bei Metall verarbeitenden Handwerken höchste Bewunderung zu erwecken vermag. Nicht von ungefähr ist noch heute vom Kunsthandwerk die Rede. Verfallserscheinungen zeigten sich später, als die Verfertigung des Meisterstückes durch eine Geldzahlung an die Zunft abgelöst werden konnte.

Die Meisterprüfung umfasste darüber hinaus aber auch Fragen, die das Gewerberecht und die Zunftordnung betrafen. Von besonderer Bedeutung war aber, dass der Meister ein Bürger sein musste, das heißt, seit geraumer Zeit ein Hauswesen auf eigenem Grund und Boden in Stadt oder Markt seines Gewerbebereiches innehaben musste. Erfolgte dies im Erbgang an einen Meistersohn, so war die Situation noch am einfachsten, wenngleich hohe Aufnahmegebühren in die Zunft üblich waren. Auch gab es die Pflicht, beim Eintritt in den neuen Stand das Meistermahl auszurichten. Nur schwer war es für Gesellen, wenn sie nicht durch besonders glückliche Umstände zu finanziellen Mitteln gekommen waren, in den Meisterstand zu treten. Die Kosten für Meistersöhne waren üblicher Weise geringer.

Ein Sonderfall, der jedoch häufig eintrat, war, wenn der Geselle die Witwe eines Meisters heiratete oder vielleicht kundtat, eine – sonst vielleicht unanbringliche – Meistertochter heiraten zu wollen, wenn kein männlicher Nachfolger vorhanden war. Mehr oder weniger ein Provisorium war, dass Witwen nach dem Tod des Handwerksmeisters dessen Werkstatt auch mit einem Gesellen weiterführen konnten. Bevölkerungspolitisch ergaben sich daraus bedenkliche Erscheinungen nicht nur wegen der hohen Kindbettsterblichkeit der Frauen. Eine Witwe heiratete einen relativ jungen Gesellen, starb wegen höheren Alters früher, worauf der schon angejahrte, auf diese Weise zum Meister gewordene Mann wieder um ein junges Mädchen freite, das er wiederum relativ früh zur Witwe machte u. s. w. Dass dabei die Witwen nicht gerade in glücklichen Umständen lebten, hat Gunda Barth-Scalmani[2839] für Salzburg aufgezeigt.

Bedrohlich wurde zu verschiedenen Zeiten eine Konkurrenz, deren man sich schwer erwehren konnte. Das waren einerseits die so genannten „Störer und Fretter“, die außerhalb der Städte und Märkte im „Gäu“ meist als Kleinhandwerker arbeiteten und nicht Angehörige der Zunft waren. Störhandwerker hatten sich ja noch wie Schneider und Weber in bäuerlichen Landschaften bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Andererseits gab es in fürstlichen Residenzorten Hofhandwerker, die ebenfalls zunftfrei waren und exklusiv für den Hof arbeiteten und deshalb den ansässigen Zunfthandwerkern das Brot vor dem Mund abschnitten. Beide geben stets Anlass zu Klagen.

Die Zünfte zeigen viele Züge eines Männerbundes. Die Kirchenfeste wurden aber gemeinsam mit Weib und Kindern gefeiert. Im Haushalt hatte die Frau und Gattin jedoch eine dominante Stellung – auch gegenüber den Lehrjungen und Gesellen – und nahm auf diese Weise ebenfalls am Gewerbeleben teil, indem sie die Werkstätteninsassen im Familienverband betreute und sicherlich auch gewisse Agenden im Verkauf der Waren innehatte. Die eigentliche und reguläre Handwerkerlaufbahn von der Lehre bis zur Meisterschaft blieb der Frau aber bis ins 20. Jahrhundert verschlossen. Das sollte sich erst mit der wachsenden Emanzipation ändern. Wenn man auf frühen Handwerkerdarstellungen Frauen am Werken sieht, so handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur um unterprivilegiertes Hilfspersonal. Nur im Verkauf außerhalb der Zunftordnungen hatten Frauen Zutritt, vor allem dann, wenn es um die Deckung von Grundbedürfnissen ging. Deshalb hielten „Fratschlerinnen“ bestimmte Lebensmittel auf dem Markt oder auf der Gasse feil und waren die „Brotsitzerinnen“ der verlängerte Arm jener Bäckermeister, deren Backstube kein Verkaufslokal war.

Im 19. Jahrhundert sanken die Bedeutung der Zünfte und deren soziale und wirtschaftliche Bedeutung rapid. Die teilweise schon maschinell erzeugten Produkte der Fabriken mit ihren Massen an entrechteten Proletariern gruben der Handarbeit und den davon lebenden Menschen das Wasser ab. Die Gewerbeordnung von 1859 markiert das Ende auch der Reste alter Zunftherrlichkeit. Für das neue Großbürgertum und seine Fabrikanten waren die Handwerker nur mehr Unterschichten. Seit den europäischen Revolutionen von 1848 treten diese deshalb schon verstärkt als Träger sozialrevolutionärer Bewegungen auf.

Die heutigen Innungen beweisen aber, dass auch die Gegenwart nach wie vor genossenschaftliche Zusammenschlüsse zur Vertretung gemeinsamer Interessen braucht. Und solides Handwerk hat auch heute noch immer einen goldenen Boden.

Wie hat es bei den alten Handwerkern ausgesehen?

Schriftliche Quellen, Realien, aber auch Bildzeugnisse ermöglichen uns heute eine ziemlich genaue Vorstellung von der Lebens- und Arbeitswelt der Handwerker früherer Zeiten. Besonders anschaulich sind dabei die Darstellungen der so genannten Ständebücher. Es handelt sich dabei um Bücher, in denen die gesamte Gesellschaft des frühneuzeitlichen Abendlandes vom Papst und Kaiser bis zum Handwerker und Bettler herunter in Wort und Bild geschildert wird. In einer Zeit, in der die herkömmliche Rangordnung des Spätmittelalters durch Humanismus, Renaissance und Reformation in Bewegung, ja ins Wanken gekommen war, versuchen sie, die überlieferte Ordnung der Stände noch einmal in literarisch-bildlicher Form festzuschreiben. Ihre formalen Vorgänger sind die Bildfolgen der mittelalterlichen Totentänze, die noch die Gleichheit der Gesellschaftsschichten vor dem Tod darzustellen suchen. In den Ständebüchern hingegen wird die Ungleichheit betont und damit die Unverrückbarkeit der Hierarchien. Da die bürgerlichen Tätigkeiten den größten Teil der Vielfalt der Beschäftigungen ausmachen, stehen das Handwerk und seine Betreiber in größter Vielfalt im Vordergrund.

1568 erschien in Frankfurt am Main das erste und zugleich bis heute berühmteste Ständebuch, das des Grafikers Jost Amman (1539–1591, er lebte lange in Nürnberg), dessen 114 Holzschnitte durch Verse des Schuhmachers und Poeten Hans Sachs aus Nürnberg erläutert werden. Jede Seite bringt eine solche Miniatur, die uns Handwerker in ihren Werkstätten sowie Arbeitsvorgänge und Produkte exemplarisch vor Augen führt. Die Texte zählen das auf, was man durch das Bild nicht zur Gänze erfassen kann. Hier Hans Sachs über sein eigenes Metier im Originalton:


      
„Der Schuhmacher

Hereyn / wer Stiffl vnd Schuh bedarff /
Die kan ich machen gut vnd scharff /
Büchsn /Armbrosthalffter vnd Wahtseck /
Fewr Eymer vnd Reyßtruhen Deck /
Gewachtelt Reitstiffl / Kürißschuch /
Pantoffel / gefütert mit Thuch /
Wasserstiffl vnd Schuch außgeschnittn /
Frawenschuch / nach höflichen Sittn.“
      

    

Hier fällt auf, dass außer dem Schuhwerk noch viele andere Produkte aus Leder sehr spezieller Art aus der Werkstatt eines Schusters kommen. Ein Kunsthandwerker hingegen ist:


      
„Der Goldschmid 

Ich Goldschmidt mach köstliche Ding /
Sigel vnd gülden Petschafft Ring /
Köstlich Geheng vnd Kleinot rein /
Versetzet mit edlem Gestein /
Guldin Ketten / Halß vnd Arm Band /
Scheuren vnd Becher mancher Hand /
Auch von Silber Schüssel vnd Schaln /
Wer mirs gutwillig thut bezahln.“
      

    

Vitale Bedürfnisse decken die Lebensmittelgewerbe, wie etwa:


      
„Der Metzger

Hieher / wer Fleisch nit kan gerahten /
Zu Sieden / Kochen vnd zu Braten /
Von Ochsen / Kelber / Schaffn vnd Schwein /
Gut / feist / die frisch gestochen seyn /
Gut vorricht / Kalbsköpff / Füß vnd Kröß /
Kuttelfleck / Ochsenmägen sind nit böß /
Welcher mir bar Gelt zelet auff /
Dem will ich gebn guten Kauff.“
      

    

Und das Brot als ein Hauptnahrungsmittel liefert


      
„Der Beck

Zu mir rein / wer hat Hungers Not /
Ich hab gut Weitz vnd Rücken Brot /
Auß Korn / Weitzen vnd Kern / bachen /
Gesaltzen recht / mit allen Sachen / 
Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände / 
Ein recht Gewicht / das recht wol schmeck /
Semmel / Bretzen / Laib / Spuln vnd Weck /
Dergleichen Fladen vnd Eyerkuchn /
Thut man zu Ostern bey mir suchen.“
      

    

Gesundheit und Hygiene zugleich betreut:


      
„Der Bader

Wol her ins Bad Reich vnde Arm /
Das ist jetzund geheitzet warm /
Mit wolschmaker Laug man euch wescht /
Dann auf die Oberbanck euch setzt /
Erschwitzt / dann werdt ir zwagn vnd gribn /
Mit Lassn das übrig Blut außtriebn /
Dann mit dem Wannenbad erfrewt /
Darnach geschorn vnd abgefleht.“
      

    

Vom Grafischen und Typografischen her stellt das Ständebuch des Kupferstechers Christoph Weigel einen gewissen Höhepunkt dar, das 1698 in Regensburg erschien und mit Texten des famosen Barockpredigers und -autors Abraham a Sancta Clara (Schwaben 1644 – Wien 1709)[2840] versehen ist. Diese „Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände“ reicht „von denen Regenten und ihren so in Friedens- als Kriegs-Zeiten zugeordneten Bedienten an biß auf alle Künstler und Handwercker nach jedes Ambts- und Beruffs-Verrichtungen“ und enthält 212 Darstellungen mit je einer kurzen gereimten Moral und Nutzanwendung, die uns schon sehr deutlich den spätbarocken Rationalismus kurz vor Einsetzen der europäischen Aufklärung vor Augen führen.

Die Aufklärung setzt dann mit dem Sammelwerk europäischer Bedeutung der „Encyclopédie“ neue Maßstäbe in der systematischen Beschreibung handwerklicher Tätigkeiten. Die beiden französischen Literaten und Philosophen Denis Diderot (1713–1784) und Jean Le Rond d’Alembert (1717–1783) brachten dieses „Dictionnaire raisonné de sciences, des arts et des métier“ seit 1781 heraus, das 21 Textbände mit jeweils etwa 1.000 Seiten mit 6.000 Einzelartikeln, dazu 12 Bände mit Kupferstichen auf 3.132 Bildtafeln und zwei Registerbände umfasst. Hier wird so ziemlich jedes Handwerk in all seinen technologischen Grundlagen in Wort und Bild geschildert. Es stellt bis heute eine der wichtigsten Quellen zur neueren Technikgeschichte dar. Selbst Johann Wolfgang von Goethe war von der Eindringlichkeit dieses verlegerischen Monsterunternehmens wie erschlagen. Seine Meinung darüber lässt die Überwältigung des traditionellen Handwerks durch die aufkommende Industrie erahnen. Im 11. Buch von „Dichtung und Wahrheit“ bekennt er:

„Wenn wir von den Enzyklopädisten reden hörten oder einen Band jenes ungeheuren Werkes aufschlugen, so war es uns zumute, als wenn man zwischen den unzähligen bewegten Spulen und Weberstühlen einer großen Fabrik hingeht und vor lauter Scharren und Rasseln, vor allen Aug’ und Sinne verwirrenden Mechanismen, vor lauter Unbegreiflichkeit einer auf das mannigfaltigste ineinandergreifenden Anstalt, in Betrachtung dessen, was alles dazugehört, um ein Stück Tuch zu fertigen, sich den eigenen Rock selbst verleidet fühlt, den man auf dem Leibe trägt“.



[2830] Sokrates lebte in Athen; er suchte nach Möglichkeiten der Selbsterkenntnis für den Menschen.

[2831] Plato war Schüler des Sokrates und lebte in Athen, in seinem philosophischen Werk suchte er unter anderem nach dem idealen Staatswesen.

[2832] Abspaltung der Benediktiner im Kloster Citeaux/Frankreich im 11. Jahrhundert, bedeutendster Ordensmann war Benedikt, der 1115 das Kloster Clairvaux gründete; bekannt ist der Orden für seine Landrodungen.

[2833] So wird jenes übernationale Großreich genannt, das bereits im 8. und 9. Jahrhundert seit Karl dem Großen zu entstehen begann und im 10. Jahrhundert das ostfränkische Reich ablöste. Der Kaisertitel dieses Namens wurde 1254 erstmals verwendet. Es bestand bis zum 6. August 1806, als Kaiser Franz II. die Kaiserwürde niederlegte. Damit fand das Reich sein Ende; seine Nachfolgestaaten waren unter anderem seit 1804 die Habsburgermonarchie sowie ab 1806 die deutschen Kleinstaaten bzw. ab 1815 der Deutsche Bund. Salzburg war reichsunmittelbares Fürstentum im Römischen Reich Deutscher Nation, also direkt dem Kaiser unterstellt. Auch der Privatbesitz der Habsburger, die Habsburgischen Erblande, waren Teil dieses Reiches.

[2834] 1794–1827, Dessau, Handwerkersohn, Dichter und Lehrer. Sein Gedichtzyklus „Die Winterreise“ wurde von Franz Schubert vertont.

[2835] 1842–1905, Sachsen-Meiningen, heute Thüringen, naturwissenschaftlicher Lehrer, 1870–1881 Herausgeber der Alpenvereins-Zeitschrift „Enzian“. Besonders bekannt sind seine Lieder „Hoch auf dem gelben Wagen“, „Die Lindenwirtin“ oder „Bin ein fahrender Geselle“.

[2836] Privatbesitz der Habsburger innerhalb des Reiches, u. a. Teile von Ober- und Niederösterreich, „Innerösterreich“ – etwa Steiermark, Kärnten, Krain, Görtz und Istrien, die Grafschaft Tyrol, die Königreiche Böhmen, Ungarn und Mähren …

[2837] Regentin der habsburgischen Erblande; 1745–1765 „Kaiserin“ als Gattin von Kaiser Franz I. und danach als Mutter von Kaiser Joseph II.

[2838] Komponist, Uraufführung der dramatischen Oper „Die Meistersinger in Nürnberg“ in München 1868.

[2839] U. a. in: Salzburger Handelsfrauen, Frätschlerinnen, Fragnerinnen: Frauen in der Welt des Handels am Ende des 18. Jahrhunderts. In: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 6. Jg., 1995, S. 23–45. – dieselbe: Der Handelsstand der Stadt Salzburg am Ende des 18. Jahrhunderts: Altständisches Bürgertum in Politik, Wirtschaft und Kultur. Phil. Diss Salzburg 1992.

[2840] Ab 1677 Hofprediger in Wien, ab 1690 Ordensprovinzial der Augustiner-Barfüßer.

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